Der kühle Wind umspielte mich und ich vergaß zu frieren. Viel zu fasziniert war ich von der Aussicht, die sich mir bot. Der Wind ließ die Äste der Trauerweide tanzen. Es war wunderschön. Dieser Ort hatte etwas Besonderes. Diese Tatsache war mir wohl schon immer bewusst gewesen, denn seit ich laufen konnte kam ich hierher. Unter der Trauerweide, auf der Bank war der einzige Platz an dem ich wirklich zur Ruhe kam. Wie ein alter Freund empfing sie mich täglich. Schon einige Bücher hatte ich hier verschlungen. Heute las ich ein Buch über die Dracheninsel. Ich hatte dieses Buch von dem Bibliothekar gestohlen, da mein Vater alle Werke über die Dracheninsel verboten hatte. Gerade als ich mich wieder meinem Buch widmen wollte sah ich Helena auf mich zukommen. Sie war in einen dicken Wintermantel gehüllt. Ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht und sie rief laut: „Vater kommt heute zurück!" Mein Gesicht hellte sich auf. Ich packte das Buch ein und stand eilig auf. Seit etwa einem Jahr hatten wir ihn nicht mehr gesehen. So schnell wir konnten rannten wir den Weg entlang, Ich vor Helena. Im Hof angekommen stand bereits unsere ganze Familie in einer Traube zusammen. Unsere Mutter Shanea, mein Zwillingsbruder Lucian, unser jüngerer Bruder Timothy, sowie eine Reihe an Dienern und Adeligen, die ihrerseits die Rückkehr ihres Königs feierten.
Und schon kam der König durch den Marmor-Bogen geritten. Stolz, mit erhobenem Kopf, ganz in Leder gekleidet kam er. Trotz seines eher abstoßenden Äußeren, denn er war bedeckt mit Blut, doch ließ er sich nichts anmerken und spielte die Rolle des Helden perfekt. Die des mutigen Kämpfers, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte die Menschen aus der Not zu befreien. Dass es nicht mehr als eine Rolle war wurde mir sehr früh bewusst.
Doch mein Vater war, seinem Volk gegenüber ein guter König, etwas was niemand abstreiten konnte.
Der Hof füllte sich mit Applaus, Freudenrufe und sogar Freudentränen. Es war nicht so als wären wir im Kampf im Nachteil gewesen, ganz im Gegenteil, jedoch überkam auch mich eine Erleichterung, die mir Tränen in die Augen trieb.
Vor uns half man ihm aus dem Sattel und seinen abscheulichen Gestank in den Hintergrund drängend umarmte Shanea ihn freudig. „Du bist zurück. Du bist zurückgekehrt.", flüsterte sie unter Tränen.
„Sie hatten gar keine Chance! Diese Familie aus Dämonenbeschwörer ist keine Gefahr mehr.", prahlte Matheyo stolz. „Wieso denn Dämonenbeschwörer?", fragte Timothy verwundert. „Hast du nicht die Geschichten gehört, die sich alle erzählen?", fragte ich ihn verblüfft. „Man sagt die Familie Tarys hätte sich mit dem Teufel selbst eingelassen.", erklärte Lucian. „Du weißt ja, dass das Gebiet der Familie Tarys nicht sehr groß ist?", fragte Lucian Timothy. Er nickte. „Naja und weil die Familie Tarys sich bis heute ihre Ländereien verteidigen konnte und dass ohne Hilfe, kamen Gerüchte auf, welche erklären wieso sie ihre Ländereien solange halten konnten.", meinte Lucian und sah dabei Timothy mit einem belehrendem Blick an. Ich musste mir das Lachen verkneifen.
„Das war ja alles schön und gut, bis Lord Tarys diese Schnepfe an Frau heiraten musste! Machthungrig wie sie war hat sie ihm eingeredet, dass Ihnen mehr Land zusteht. Immer mehr Land haben sie an sich gerissen. Doch das ist jetzt kein Problem mehr.", meinte Matheyo. „Wieso das denn?" rief Shanea überrascht. Jetzt begann Matheyo erst recht zu strahlen. „Ganz einfach: Weil sie tot sind.", erklärte er mit einem von sich selbst überzeugten Lächeln. Zufrieden mit der Reaktion der Anwesenden widmete er sich wieder seiner Frau. Ein paar Liebkosungen wurden ausgesprochen, bis er laut bekannt gab: „ Lasst uns nun herein gehen, das Fest soll bereitet werden und ich will ein Bad nehmen!"
Ohne anzuklopfen lief ich in sein Arbeitszimmer. An den Wänden hingen verschiedene Gemälde in Goldrahmen, auch standen alle möglichen Kunstwerke im Zimmer verteilt. Matheyo sah erschrocken auf. „Luciana.", stellte er beruhigt fest. „Du weißt doch, dass du nicht einfach in mein Arbeitszimmer spazieren kannst.", gab er tadelnd von sich. „Besonders ohne zu klopfen.", fügte er hinzu. Er selbst saß an einem Schreibtisch im Zentrum des Raumes. Ich neigte meinen Kopf entschuldigend auch wenn schon diese Geste meinen Stolz verletzte. „Was gibt es?" „Ich habe nachgedacht." Ich ließ ein paar Sekunden Pause vergehen, in denen er die Blätter vor sich sortierte. Ich brauchte seine volle Aufmerksamkeit. „Ich möchte Joshua auf die Dracheninsel folgen." Ich konnte eindeutig sehen, dass ihn meine Worte wütend machten. Man konnte es daran erkennen wie er immer röter anlief. Ich wartete ab bis er nach ein paar geschrieenen Schimpfwörtern anfing zusammenhängende Sätze in derselben Lautstärke zu brüllen.
„Das kannst du nicht ernst meinen! Ich sage dir Ungläubige leben dort! Der Abschaum der Gesellschaft!" Er wollte gerade weiterschimpfen als ich ihn unterbrach: „Dennoch wären die Fähigkeiten, die ich erlernen könnte für Euch von Vorteil." Es war ein Fakt und trotzdem sprach ich es aus wie eine Frage. „Selbst wenn eine solche Fähigkeit existiert, ist die Chance klein, dass du sie erlernen kannst." Sein Blick zeigte deutlich, dass er nicht nachgeben würde, ich hatte aber keine andere Wahl als nicht aufzugeben. „Joshua hat auch daran geglaubt." Es war ein unnützer Versuch und das war mir bewusst. „Joshua ist ein Idiot.", antwortete er mir kalt. Ich behielt meine Maske aufrecht. „Mein Vater, was Sie wollen ist Macht und ich als ihre Tochter würde nichts lieber tun, als ihnen diese Macht zu schenken." Ungläubig sah ich wie er den Köder schluckte. Es schien als wäre er unter all den feinen Kleidern nichts als ein einfacher Mann. Er ließ den Kopf müde sinken. „Ich werde Euch nicht hindern.", gab er auf. Es war definitiv leichter gewesen als ich es mir ausgemalt hatte. Zufrieden lief ich in mein Zimmer und packte in Eile das Nötigste ein: Kleidung, Proviant, sowie ein paar Bücher, die ich während der Fahrt lesen könnte. Ich hatte mich im Vorhinein schon über den Schiffsverkehr informiert und wusste deshalb von einem Schiff, welches in etwa einer Stunde ablegen würde. Schnell lief ich zum Hafen. Die Zeit rannte mir davon. Immer wieder stolperte ich, doch stehen bleiben konnte ich mir nicht leisten. Als ich ankam überraschte mich meine Familie, die schon auf mich wartete. Da erst fiel mir ein, dass ich Helena von meinem Plan erzählt hatte, mit Vater zu sprechen. Sie musste den anderen Bescheid gesagt habe. Alle waren da: Lucian, Helena, Timothy und Shanea. Als ich gerade fragen wollte, was denn los sei, kam Helena auf mich zu und flüsterte mir kurz zu: „Ist doch klar, dass du dich verabschieden musst." Irgendwie machte es mich glücklich mich verabschieden zu können. Vor allem wegen der Tatsache, dass ich nicht wusste wie lange ich weg sein würde. Schnell umarmte ich alle und meine Mutter gab mir noch einen selbst gehäkelten Schal, indem ein Dolch eingewickelt war. „Nur für den Fall". Flüsterte sie als ich ihn bemerkte. Danach betrat ich das Schiff und von meiner Familie wurde definitiv eine Abschiedsszene gemacht. Meine Mutter weinte, Helena rief mir Abschiedsworte zu und alle winkten mir. Es war mir bei den anderen Passagieren peinlich, erfüllte mich aber auch mit einer gewissen Sentimentalität. Ich musste gegen meine eigenen Tränen ankämpfen. Als sie nur noch kleine Punkte in der Ferne waren ging ich unter Deck und bezog mein Lager.
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Erbsünde
FantastikLuciana, Tarmin, Theriza und Victoria müssen, so wie jeder von sich denkt der rechte Thronfolger zu sein, um die Macht über Migorien kämpfen und überleben.