Kapitel 31

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"Oh Gott, was hab ich mir nur dabei gedacht.", mit zitternden Händen Tiger ich auf meinen Highheels vor einem belebten Club hin und her. Es ist viel zu lange her, dass ich mich so zurecht gemacht und geplant habe so richtig feiern zu gehen, um mich von meinen Sorgen abzulenken. Alkohol ist nie die richtige Lösung, aber ich bin alt genug, um selber Entscheidungen treffen zu können und jetzt stehe ich hier. Oder laufe ich, besser gesagt. Es fühlt sich irgendwie nicht richtig an jetzt hier zu sein, aber wahrscheinlich spricht da auch nur mein kontrollierendes-Ich aus mir, welches unbedingt ihre über Jahre aufgebaute Struktur braucht. Ich mache einen Schritt in Richtung Schlange, jedoch gehe ich wieder zwei Schritte zurück. Nein, ich kann da jetzt nicht rein. Ich sollte lieber zuhause bleiben und irendetwas sinnvolles machen. Meine Achter warten auf ihre Klausuren, vielleicht kontrolliere ich einfach deren Klausuren zur Ablenkung. Nein, Lola! Du hast dich jetzt nicht Stundenlang fertig gemacht, um dich jetzt vor deinen Schreibtisch zu setzen und die Klausuren der Achter zu kontrollieren. Außerdem würde mich alles in dieser Wohnung an meine aktuelle Lage erinnern. Es ist schon richtig, dass ich jetzt hier bin, ich wünschte nur, ich hätte noch irgendwen eingeladen, damit ich jetzt nicht so allein hier bin. "Willst du eventuell rein?", höre ich eine tiefe Stimme und schaue in Richtung des Türstehers. "Bitte?", verwirrt tapsel ich ein paar Schritte in seine Richtung. "Möchtest du in den Club oder wartest du noch auf irgendwen?", fragt er etwas happig. "Na, du läufst hier die ganze Zeit auf und ab, dabei wärst du schon 3x rein gekommen.", erklärt er mir, nachdem ich ihn verdutzt anschaue. "Ach so, ja, ja ich möchte rein.", stammel ich überfordert. "Na, dann hopp jetzt!", er geht einen Schritt zurück und öffnet die Tür, aus der nun laute Musik und dampf uns entgegen kommt. Ich gehe an ihm vorbei und werde auf meinem Weg zu Bar von MARINA mit "Venus Fly Trap" begleitet. Ohne mich weiter umzuschauen nehme ich die Musik ganz in mich auf. An der Bar angekommen bestelle ich mir vier kurze, kippe die bittere Flüssigkeit meinen Rachen hinunter und begebe mich auf die Tanzfläche. Egal was die letzten Wochen bis Monate war, das alles wartet vor der Tür, denn jetzt bin ich ganz und gar nur für mich. Es gibt keine Schüler, die ich aufs Abitur vorbereiten muss, keine nervigen Vertreter, keinen Sohn, der in der Klinik ist und keine Frau, die zugedröhnt in einem Krankenhausbett liegt. Keine Arbeitskollegen, die mir über die Finger schauen. Keine Ivy, die mich verwirrt. Hier bin nur ich und die Musik. Nur ich und der Klang der dröhnenden Lieder, die der DJ spielt. Mit geschlossenen Augen lasse ich mich einfach so treiben. Es fühlt sich an, als würde nur mir dieser Moment gehören. Jetzt kann mich niemand stören. Nicht die junge Frauengruppe, die lautstark zur Musik gröllt, nicht die Männer, die mich immer wieder kurz von hinten antanzen, nicht der Fakt, dass ich wahrscheinlich die älteste Person hier im Raum bin. Dieser Moment gehört ganz allein mir und ich darf es genießen. Ich darf es genießen in einer schwierigen Zeit abzuschalten. Ich darf auch runter kommen und auf mich achten. Meine Emotionen überkommen mich ein wenig und ich spüre, wie trotz geschlossener Augen mir heiße Tränen die Wangen runter rollen, doch ich lasse mich nicht beirren. Es ist okay. Mir kann so egal sein, was die anderen hier über mich denken, sie alle werden mich wahrscheinlich eh nie wieder sehen und ich darf meinen kurzen Me-Moment haben.

Nach einigen weiteren Liedern beschließe ich eine Trinkpause zu machen und tanze zurück zur Bar, wo ich mich auf einem Barhocker setze und zwei Drinks bestelle. Noch immer berauscht von diesem Freiheitsgefühl wippe ich hin und her und nippe an meinem ersten Getränk. Ich lasse meinen Blick durch den Raum wandern und lande an einer Person direkt gegenüber von mir. Sie sitzt auf einem der Barhocker, die an der runden Bar stehen und schaut mich aufmerksam an. Ihre tief braunen Augen starren mir in meine Seele und ich schenke ihr zögerlich ein sanftes Lächeln. Auf ihren vollen Lippen bildet sich ein süffisantes Lächeln und sie lässt eine lockige, braune Haarsträhne zwischen ihren Fingern tanzen. Ich nippe an meinem Drink, aber lasse die Unbekannte nicht aus den Augen. Sie nickt in Richtung meines zweiten Drinks und peinlich berührt nehme ich dieses ebenfalls in die Hand und zucke mit den Schultern. Es sieht kurz so aus, als würde sie lachen und dann nickt sie in die Richtung des Hockers neben mir. Sofort springt mir Charly's Gesicht vor meine Augen und auch, wenn ich mich heute ablenken soll, heißt es nicht, dass ich mir hier einen Flirt angeln oder gar ihr fremdgehen sollte odermöchte. Also hebe ich meine Hand, an der sich unser Ehering befindet und halte ihn schulterzuckend hoch. Sie schaut beeindruckt und nickt dann lächelnd in meine Richtung, ehe sie sich wieder umdreht und in der Menge verschwindet. Seufzend kippe ich mir beide Getränke runter und schlendere zurück zu Tanzfläche. Dieses Gefühl ist zu berauschend. Wie kann es sein, dass ich so lange nicht mehr in Clubs war. Wo ist die Zeit nur geblieben? Gerade, als ich wieder kurz davor war mich in diesem Gefühl zu verlieren, stoße ich mit einer Person zusammen. Und obwohl ich heute mit so vielen Person bereits zusammengestoßen bin, war es jetzt irgendwie anders. Schlagartig öffne ich meine Augen und alles um mich herum wird so langsam, sodass es sich wie in Zeitlupe anfühlt. Vor mir tanzt eine kleine Blondine mit dem Rücken zu mir. Ihre Haare sehen schon wild in einige Richtungen gewirbelt worden aus und einer ihrer Träger ist bereits herunter gerutscht, doch das scheint sie nicht zu stören. Sie geht einige Schritte nach hinten, wodurch sie wieder mit meinem Körper in kontakt kommt und mich antanzt. Und plötzlich ist es so, als hätte ich vergessen, wie man tanzt. Sie greift nach hinten und zieht meine Hände zu sich nach vorne. Unbeholfen lege ich sie auf ihre Hüften und lasse mich von ihrer Hüftbewegung führen. Alles um mich beginnt sich zu drehen und wie in langsam lasse ich meinen Kopf nach hinten fallen. Eine leichte Honig-Note bahnt sich ihren Weg in meine Nase und ich öffne meinen Mund ein stück. Es fühlt sich an, als würde mich der Duft durch den Raum tragen, meine Bewegungen steuern und mich daran hindern normal denken zu können. Die zierliche Person hebt ihren rechten Arm hoch und legt diesen zurück bis sich letztendlich ihre Hand in meinen Haaren vergräbt. Ich schließe meine Augen und lasse mich einfach treiben, bis die Person vor mir sich dazu entschließt sich um zu drehen und ihre Arme um meinen Hals zu legen. Widerwillig öffne ich langsam meine Augen und Blicke in zwei erschrocken aufgerissene Augen. "Jayden.", wispert sie gegen mein Gesicht so leise, dass ich durch die basshaltige Musik eigentlich nur erahnen konnte, was sie da von sich gibt. Mein Herz beginnt zu rasen und ich kann nicht anders, als zwischen ihren Augen hin und her zu schauen. Ihre Hände, die sich mittlerweile in meinem Nacken festgekrallt haben, ziehen mich leicht zu sich und ich erkenne neben dem erschrockenen Blick einen Funken Sehnsucht. Ein ungutes Gefühl breitet sich in mir aus und ich spüre, wie Angstschweiß meinen Nacken hinunter rollt. Meine Ohren werden heiß und wie vom Blitz getroffen reiße ich mich mit einem raus gedrückten "Verzeihung" los und stürme in Richtung des Ausgangs. Draußen angekommen taumle ich noch einige Schritte vom Club weg ehe ich begirdig nach Luft schnappe, da ich anscheinend vergessen habe weiter zu atmen. Ich stütze meine Arme auf meinen Knien ab und atme lautstark durch. Was war das gerade? Was ist nur in mich geraten? Ich hätte nicht her kommen sollen. Was auch immer ich da gerade gespürt habe, hätte ich nicht spüren dürfen. Nicht hier, nicht jetzt, nicht bei ihr oder einer anderen Person außer Charlotte. Warum ist sie überhaupt hier? Was macht sie mitten in der Woche hier in einem Club? Und was mache ich mitten in der Woche in einem Club, während meine Frau und mein Sohn in Klinikbetten liegen? Meine Atmung wird immer hektischer und unbeholfen gehe ich in die Hocke und lege meine Hände auf mein Gesicht. "Scheiße."

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"It's over, honey" | Crazy in love 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt