Ordinary People
Sara Winter:
Es waren ganze zwei Wochen vergangen, seitdem ich mit Felix auf dieser Vernissage war. Ich hatte in der Zwischenzeit unendlich viel für mein Studium gelernt, jede Menge Vorlesungen besucht und eine Klausur geschrieben, bei dir ich mir absolut nicht sicher war, wie sie lief. Aber eine Sache war die ganze Zeit über gleich geblieben. Es war mir ein wenig unangenehm, aber trotzdem war es eine maßlose Untertreibung zu sagen, ich würde manchmal noch an Carmelina Salvatore denken. Verdammt, meistens dachte ich den ganzen Tag lang an sie. Diese interessante, faszinierende, aber ebenso mysteriöse und abblockende Frau mit den schwarzen Haaren war sehr häufig in meinen Gedanken. Sie selbst hatte mich sicherlich schon längst vergessen, schließlich war unser Gespräch weder besonders lang, noch besonders positiv gewesen. Wir hatten eigentlich über gar nichts geredet. Trotzdem war mir ihre unwahrscheinlich leise und raue Stimme im Kopf geblieben, ebenso wie ihr Auftreten. Das verunsicherte und gezwungene Auftreten auf der Bühne und das isolierte, abblockende draußen. Und ich dachte an alles, was ich mit ihr verband.
Vor allem an diesem Tag, dem 13. November, gab es wirklich eine Art von Anlass dazu, an sie zu denken. Mein bester Freund Felix, der mir schon öfters bei meinen Projekten und Präsentationen im Astronomiestudium geholfen hatte, brauchte nun meine Hilfe in Kunst. Am Anfang hatte ich mir nichts darunter vorstellen können, aber nachdem ich erfahren hatte, dass ich nur Bilder für die Präsentation auswählen und eventuell bei dieser assistieren könnte, sagte ich zu. Und auch, wenn ich es mir irgendwie nicht eingestehen wollte, weil das Gefühl und die ständigen Gedanken noch viel zu neu und chaotisch waren, war ein eindeutiger Faktor, dass Felix erzählt hatte, Carmelina Salvatore und noch ein paar andere Künstlerfreunde seien von seiner Professorin eingeladen worden. Mit ein wenig Angst dachte ich zwar auch an meinen ehemaligen Kunstlehrer, aber schon diesen Gedanken schnell zur Seite. Stattdessen kam die ganze Zeit jemand anderes in meinen Kopf. Ungebeten, aber in einem schwarzen Kleid, einer unwahrscheinlich starken Ausstrahlung und eisblauen Augen, die mich interessiert ansahen. In meinen Gedanken wirkte Carmelina Salvatore so wunderschön, faszinierend und auch irgendwie unerreichbar. Ich wusste gar nicht, wo diese Gedanken herkamen.
-"Warum bist du so nervös?", lachte Felix, als wir im Bus zur Universität saßen. Er lernte in einem ganz anderen Gebäudekomplex, als ich. Meine Vorlesungen und Seminare fanden immer im Physikzentrum der Universität statt, Felix studierte gefühlt in einem anderen Stadtteil. Auch deswegen fuhren wir mit dem Bus. Und meine Hände zitterten irgendwie, ich spürte die ganze Zeit eine komische Hitze durch meinen Körper schießen.
-"Sara?", sprach Felix mich nun erneut und dieses Mal deutlich besorgter an. Ich sah zu ihm auf und legte einen fragenden Ausdruck in meinen Gesichtsausdruck.
"Ach so... Ja, keine Ahnung... Ich freue mich ein bisschen für dich...", meint euch einfach. Ich wusste nicht einmal, wo meine Gedanken in den Momenten vor Felix' Frage waren. Zwischendurch waren sie sicherlich auch wieder einmal bei Carmelina Salvatore, aber das konnte ich Felix nicht einfach so sagen. Ich merkte schließlich schon seit fast zwei Wochen, wie komisch er jedes Mal reagierte, wenn ich von ihr sprach.
In dem großen Seminarraum, in welchem sich auch schon ein paar andere Kunststudenten eingefunden hatten, fühlte ich mich ziemlich verloren, nachdem ich Felix geholfen hatte, seine Bilder dorthin zu tragen und aufzuhängen. Wir saßen nebeneinander auf einem Tisch am Rande des Raumes und warteten auf die Professorin und ihre zwei Assistenten, die sie scheinbar ebenfalls eingeladen hatte.
"Soll ich wieder gehen, oder...", begann ich, aber Felix sah mich an und meinte: "Wenn du willst, du kannst aber auch gerne hier bleiben...". Dann lehnte er sich etwas näher zu mir und flüsterte mit einem verschwörerischen Blick in meine Augen: "Carmelina Salvatore wird auch kommen... Sie ist seit der letzten Woche die zweite Assistentin meiner Professorin...". Warum er mir diese Information so und auf diese Art und Weise mitteilen musste, wusste ich auch nicht, aber in meinem Körper kam ganz kurz ein seltsames Zittern auf, welches ich nicht vollständig deuten konnte. Zudem musste ich unwillkürlich lächeln.
-"Na ja, was auch immer...", meinte Felix schließlich nach ein paar Sekunden Stille zwischen uns, entfernte sich wieder und ging zu ein paar seiner Kommilitonen. Ich blieb alleine auf dem Tisch zurück und sah mich in dem Raum um - überall hingen bunte Bilder, scheinbar war das hier nun eine Art interne Vernissage der Kunststudenten. Alles wirkte immer noch ein wenig offen und konfus auf mich, aber ich begann, etwas in den teilweise ziemlich abstrakten Bildern zu sehen. Keine Ahnung, was.
Mit meinen Fingernägeln strich ich nachdenklich über den Jeansstoff meiner langen braunen Hose und bemerkte ganz nebenbei, dass ich ziemlich fror, schließlich trug ich nur einen dünnen Pullover und eine beige Strickjacke.
Schließlich ging direkt neben mir die Tür auf, ein wenig erschrak ich mich, bemerkte dann aber die Professorin von Felix, eine ältere Frau mit blonden Haaren in Begleitung eines wesentlich jüngeren Mannes, der asiatisch aussah. Ich glaubte, dass Felix mir schon einmal von ihm erzählt hatte. Er war einer von den Assistenten. Und dann, als ich gerade die zwei neuen Menschen in dem Raum wahrgenommen und ohne eine Antwort begrüßt hatte und eigentlich wieder wegsehen wollte, kam eine dritte Person durch die alte Tür. Carmelina Salvatore. Nun fiel mir tatsächlich auf, wie groß und dünn sie war. Sie trug ihre dunkelbraunen, fast schwarzen Locken an diesem Abend zu einem hohen Zopf, ihr eher blasses, schmales Gesicht wurde jedoch von zwei einzelnen Haarsträhnen umrahmt. Es hatte ohne Zweifel etwas echt Ästhetisches an sich, wie sie aussah. Ansonsten trug sie eine dunkelgraue Schlaghose und einen Rollkragenpullover in demselben Grauton. Wieder sah ich sie viel zu lange an, ich war fasziniert.
-"Auch mal fertig mit dem Gucken?". Ihre raue Stimme riss mich vollkommen aus den Gedanken und ertappt sah ich erst auf den Boden und dann, ganz langsam und unsicher, wieder in das Gesicht von Carmelina Salvatore. Der Ton ihrer Stimme klang zwar nicht verärgert, dennoch aber sehr verwirrt und so, als wäre ihr der Fakt, dass ich sie ansah, nicht ganz geheuer.
"Tut mir leid...", meinte ich und traute mich, in die eisblauen Augen zu sehen. In ihrem Gesicht waren keine Emotionen. Es schien fast, als würde eine hochgezogene Augenbraue Verwirrung bedeuten, zitternde Lippen Angst, verengte Augen Wut. Und als würde ein leichtes Zucken des Mundwinkels dieselbe Wirkung haben, wie es bei anderen Menschen ein breites Lächeln hätte. Ich musste vollkommen verrückt dabei aussehen, wie ich Carmelina Salvatore die ganze Zeit ansah.
-"Ist schon gut". Damit ließ sie mich alleine, betrat den Raum und schien alles erst einmal auf sich wirken zu lassen. Sie ging nicht wie der Rest direkt zu den anderen Menschen und redete, sondern nahm die Atmosphäre des Raumes wahr, betrachtete alles ganz genau. Zumindest fühlte ich irgendwie, dass sie das tat. Das faszinierte mich so sehr, auch wenn es nur vage Vermutungen von mir waren.
Ich kam mir ein bisschen komisch vor - ich fühlte etwas. Das klang nicht nach einem Wort, welches ich, eine an Zahlen und Fakten gebundene Astronomiestudentin verwendete. Trotzdem tat mein Gehirn es. Und auch, wenn ich Carmelina Salvatore erst zweimal in meinem Leben gesehen und erst wenige Worte mit ihr gewechselt hatte, fühlte ich irgendetwas. Nicht unbedingt, dass ich verliebt war oder so etwas. Schließlich passierte das nicht so schnell und noch dazu war sie doch schon über vierzig. Wie alt genau, daran konnte ich mich nicht erinnern, sie hatte es bei der Vernissage, soweit ich mich erinnern konnte, nicht erwähnt. Aber trotzdem. Verliebtsein war dieses Gefühl eher nicht, viel mehr war es eine Art Verbindung, die auf einer anderen Ebene passierte. Obwohl ich mir durch das abweisende Verhalten von dieser interessanten Frau langsam Sorgen machte, ob dieses Gefühl, welches ich hatte, nur einseitig war.
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Salvatore
Romance~ ˢᵃˡᵛᵃᵗᵒʳᵉ ~ (Aus persönlichen Gründen vorzeitig beendet!!!) Eigentlich wollte Sara zu Hause bleiben und für ihre finale Klausur im Astronomiestudium lernen. Eigentlich wollte sie gar nicht mit ihrem besten Freund Felix, einem begeisterten Kunststu...