Kids
Sara Winter:
Mittlerweile war der dritte Dezember und ich saß mit den Ergebnissen meiner Klausur in der Hand an meinem Schreibtisch. Ich hatte fast die volle Punktzahl, dabei hatte ich während des Lernens im Zeitraum nach der Vernissage die Angst gehabt, ich könne mich wegen der ständigen Gedanken an Carmelina Salvatore gar nicht konzentrieren. Aber scheinbar ging es doch - trotzdem dachte ich auch jetzt an diese mysteriöse, geheimnisvolle, aber so unwahrscheinlich interessante Frau. Ich fragte mich, ob sie mich schon vergessen hatte, schließlich war unsere letzte Begegnung fast einen Monat her, seitdem hatte ich nichts mehr von ihr gehört. Felix erzählte mir manchmal davon, dass sie an der Universität herumlief und mit den Kunstdozenten und -professoren sprach, aber das war oberflächlich, es interessierte mich kaum. Mein Unterbewusstsein sagte mir, es wolle wieder zurück in die Situation, in der Carmelina und ich am Abend des 13. November zusammen auf dieser Treppe saßen. Es war schön und irgendwie angenehm, wie wir miteinander geredet hatten und ich stellte das erste Mal fest, dass es gar nicht schlimm, wenn ich ungewollten Körperkontakt mit anderen Menschen hatte. Manchmal betrachtete ich sogar nachdenklich meine rechte Hand und dachte mitten am Tag daran, wie es sich angefühlt hatte, als sich unsere Fingerspitzen berührten. Irgendwie schön und als wäre eine Art von Energie geflossen. Doch schon immer im nächsten Moment sagte mir der logische Teil meines Gehirns, wie idiotisch sowohl der Gedanke als auch die Ausführung dessen war. Es floss keine Energie zwischen Menschen - das müsste ich als Physikerin doch am besten wissen.
Und ich dachte auch daran, dass ich Carmelina meine Telefonnummer auf einen kleinen Post-it Zettel beschreiben hatte. Für den Fall, dass sie sich mal mein Teleskop ausleihen wollte - aus meiner Sicht war das Ganze aber auch eine Art von Chance. Ich hatte zwar keine Ahnung, was das war, was ich die ganze Zeit über fühlte, aber es glich einem Verliebtsein. Denn es kam immer ein glückliches bis triumphierendes Lächeln in mein Gesicht, wenn ich daran dachte, dass sie nun meine Nummer hatte. Aber ebenso schnell verschwand das Lächeln auch wieder, als mein Gehirn mir erzählte, dass es doch gut möglich war, dass Carmelina den Zettel verlegt oder das Ganze schon wieder vergessen und aus ihrem Gehirn gelöscht hat. Aus den Augen, aus dem Sinn. Das war, obwohl es vollkommen unsinnig klingen musste, meine Sorge, was Carmelina betraf, denn irgendwie wollte ich sie wiedersehen und wieder mit ihr reden. Ich wollte, dass sie sich bei mir meldet. Dabei war mir nicht einmal klar, ob sie den Post-it mit meiner Nummer überhaupt noch besaß. Und mir war auch nicht klar, warum das überhaupt mein Ziel war. Sie faszinierte mich unendlich, das war keine Frage, aber dennoch gab es einen großen Unterschied zwischen bloßer Faszination und Verliebtsein. Noch dazu war sie mit Sicherheit fast doppelt so alt, wie ich und so mysteriös, schön und freundlich sie wirkte, war sie sicherlich nicht alleinstehend - solch eine interessante Frau hatte doch mit Sicherheit einen Partner oder eine Partnerin. Daneben sah ich, die in ihrem Leben noch nie eine ernste Beziehung hatte, vermutlich ziemlich armselig aus. Ich erinnerte mich zwar an mehrere 'Beziehungen', diese waren aber alle in dem Zeitraum zwischen der ersten und der achten Klasse, deshalb nahm ich sie nicht ernst.
Ich passte vollkommen in das Klischee der nerdigen Wissenschaftlerin. Hauptsächlich aufgrund meiner ausgefallenen Interessen, meiner Liebe zur Astronomie und vor allem als Single. Ich seufzte.Es verging einige Zeit, in der ich immer wieder an Carmelina Salvatore denken musste. An diesem Donnerstagabend war der zehnte Dezember und es war schon kurz nach 18 Uhr. Ich dachte darüber nach, ob sie sich jemals bei mir melden würde, oder ob das Ganze nur eine einfache, nicht durchdachte und ernst gemeinte Sache war.
-"Worüber denkst du nach?", fragte Felix, der neben mir auf dem Sofa saß, plötzlich und ich wendete meinen Blick vom unserem kleinen Tannenbaum, auf den ich während meines Gedankenganges durchgängig sah, ab. Felix grinste und auch ich musste irgendwie lächeln.
"Allgemein... ". Ich hielt es nach meiner Antwort nicht lange aus, ohne in ein Lächeln zu verfallen, bei welchem meine Wangen merklich rot wurden.
-"Und über jemanden ganz Besonderes", meinte Felix daraufhin und sah mich von der Seite an. Er hatte seine rechte Augenbraue angehoben und musterte mich. Meine Wangen waren immer noch glühend heiß und ich wusste gar nicht, warum genau.
"Ja, vielleicht... Ein ganz bisschen".
-"Ist doch schön", antwortete der braunhaarige junge Mann einfach nur. Ein bisschen verwirrt sah ich ihn an - ich hatte eigentlich schon etwas panisch vermutet, er könne immer noch denken, dass ich von Carmelina unendlich fasziniert war und mich möglicherweise in sie verliebt hatte. Immerhin dachte er dies bis vor ein paar Tagen noch.
-"Wo hast du sie denn kennengelernt?". Er ging immer noch davon aus, dass ich einfach von irgendeiner Frau sprach, in die ich mich ein wenig verknallt hatte.
"In der Uni...", meinte ich deswegen einfach. Ich war mir zu diesem Zeitpunkt auch unsicher, ob ich meine Antworten und Gedanken überhaupt auf Carmelina, für die ich zwar irgendetwas, aber ganz sicher nichts Romantisches fühlte, oder auf eine fiktive Person in meinem Kopf bezog.
-"Und wie heißt sie?", hakte Felix nach - langsam wurde es ein bisschen schwierig und ich dachte nach. Zwei Sekunden lang war es still, bis ein anderes Geräusch uns von dieser unangenehmen Ruhe erlöste. Felix' Handy klingelte.
-"Sorry", entschuldigte er sich und nahm den Anruf entgegen. Er entfernte sich ein paar Meter von mir und ich beobachtete ihn - es hatte sich schon herauskristallisiert, dass es seine Mutter war, mit der er telefonierte. Bestimmt, weil Felix in den Winterferien immer zu seinen Eltern in eine ganz andere Stadt, fast 80 Kilometer von Hamburg entfernt fuhr, dort mehrere Tage lang blieb und deswegen einiges zu besprechen hatte. Eigentlich hasste ich diese Zeit des Jahres - Felix hatte mir zwar schon mehrmals angeboten, mitzukommen, allerdings lehnte ich immer dankend ab, schließlich wollte ich nicht die seltsame Wissenschaftlerin auf der gemütlichen Weihnachtsfeier von Felix' Familie sein. Wir kannten uns zwar schon seit der Oberstufe, aber mit seiner Familie hatte ich noch nie viel zu tun gehabt. Nachdem ich meinen Blick von Felix, der kein bisschen fröhlich, sondern langsam eher angespannt wirkte, gelöst hatte, ging der junge Mann mit den braunen Haaren auf unseren kleinen Balkon und sah während des Telefonierens in den abendlichen Himmel über unserer Stadt. In den Straßen glitzerten und leuchteten überall Weihnachtssterne. Und ich sah nachdenklich von dem Balkon zu unserem kleinen Fernseher.
Nach einiger Zeit machte ich mir ein wenig Sorgen. Felix stand schon seit fast zehn Minuten auf unserem winzigen Balkon und telefonierte mit seiner Mutter. Dabei sah er ernst und angestrengt aus, was mich nichts Gutes vermuten ließ. Ich saß währenddessen mit meinem Handy in der Hand auf dem Sofa, und nahm eher nebenbei das wahr, was im Fernseher lief. Es interessierte mich, ehrlich gesagt, nicht besonders, denn es drehte sich wieder einmal alles darum, dass die Weihnachtszeit begonnen hatte. Das Fest war in Ordnung und machte sicherlich Spaß, wenn man wirklich Menschen hatte, mit denen man es gemeinsam feiern konnte, aber das Ganze drumherum nervte mich total. Gerade lief irgendein Weihnachtsfilm, ich war kurz ein wenig vertieft in eine schrecklich kitschige Szene, als ich merkte, dass ich eine Benachrichtigung auf meinem Handy bekommen hatte. Seufzend setzte ich mich ein wenig auf und sah zu meinem Handy - eine neue WhatsApp Nachricht. Wer schrieb mir denn bitteschön auf WhatsApp, ausgenommen von ein paar Freunden und weit entfernten Verwandten, die mir nicht einmal zum Geburtstag gratulierten? Mit zusammengezogenen Augenbrauen und einem vermutlich angestrengten Blick betrachtete ich den Bildschirm meines Handys, bevor ich auf die Nachricht tippte und dabei mein Herz für einen kurzen Moment stehen blieb.»Hallo Sara,
Ich hoffe, dich erreicht diese Nachricht...
Nun ja, es hat sich mir noch nicht
die Gelegenheit geboten, ein Teleskop
verwenden zu wollen, aber trotzdem
wollte ich dich fragen, ob man sich
irgendwann in den nächsten Tagen
vielleicht mal zu einem kleinen
Spaziergang an der Elbe treffen könnte...
Liebe Grüße
Carmelina Salvatore«
- 22:29 UhrTatsächlich - sie hatte mich nicht vergessen. Ich konnte es kaum glauben, so sehr freute ich mich in diesem Moment und wusste gar nicht genau, warum. Klar, es war etwas wie Faszination für sie bei mir geblieben, aber ich fühlte nichts. Zumindest nichts Romantisches.
Sofort machte ich mich mit leicht zitternden, aber warmen Händen daran, eine Antwort zu verfassen.»Hallo Carmelina,
alles gut - ich würde mich
über ein Treffen sehr freuen...
Wann hättest du denn Zeit?
Liebe Grüße
Sara «
- 22:32 UhrDanach musste ich erst einmal durchatmen. Ich konnte mir ehrlich nicht erklären, warum es mich in einem Sinne der Nervosität so fertig machte, ihr zu antworten und ich wusste auch nicht, warum ich mich direkt fragte, ob ich zu schnell oder zu komisch geantwortet hatte. Ich hatte keine Erklärung dafür und trotzdem war es einfach so.
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Salvatore
Romance~ ˢᵃˡᵛᵃᵗᵒʳᵉ ~ (Aus persönlichen Gründen vorzeitig beendet!!!) Eigentlich wollte Sara zu Hause bleiben und für ihre finale Klausur im Astronomiestudium lernen. Eigentlich wollte sie gar nicht mit ihrem besten Freund Felix, einem begeisterten Kunststu...