13 - Sorgen

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Hier mal ein etwas kürzeres Kapitel - ich hoffe, das stört nicht allzu sehr...

Sara Winter

Ich ging durch die Straßen von Hamburg und hörte Musik, während es regnete und ich gedanklich in eine ganz andere Welt abtauchte. Die Menschen und Geräusche um mich herum verschwanden, während ich ging und nur noch meine Wohnung als Ziel hatte. Und trotzdem dachte ich an Carmelina. Keinesfalls wollte ich ihr etwas vorwerfen, aber es fühlte sich für mich nicht gut an, dass sie mir gesagt hatte, ich solle gehen. Ich konnte es zwar ein wenig nachvollziehen und ich war auch bereit, ihr ihre Ruhe zu lassen, aber trotzdem hatte ich nicht wirklich das Gefühl, dass es ihr wieder so gut ging, dass ich sie alleine lassen konnte. Noch dazu fragte ich mich, was ihr überhaupt passiert sein musste, dass sie so reagierte und ob ich etwas tun konnte, um ihr zu helfen. In meinem Kopf bildeten sich sofort schreckliche Szenarien, dabei wollte ich mir gar nicht vorstellen, wie sie Schmerzen hatte und litt. Aber von irgendwoher musste ihre Reaktion kommen. Irgendetwas musste in ihrem Leben geschehen sein, was auslöste, dass sie bei jeder kleinen Berührung zusammenzuckte und manchmal, so wie vorhin, in einen emotionalen Ausnahmezustand geriet. Es machte mich traurig, zu wissen, dass ich nichts tun konnte, um sie von diesen Erinnerungen und der immer noch bestehenden Angst zu befreien. Und nun war sie auch noch alleine - ganz alleine auf ihrem kleinen, aber gemütlichen Speicherboden und vermutlich weinte und zitterte sie weiterhin. Ich begann, mir wirklich ein wenig Sorgen zu machen, während ich die verregneten Straßen Hamburgs entlangging. Ich musste daran denken, wie sie mir gesagt hatte, es sei besser, wenn ich gehen würde und wie sie mich danach sogar aktiv gebeten hatte, dies zu tun. Die Art und Weise, wie sie sich nach meiner Berührung von mir entfernt, sich dann in die Ecke zusammengekauert und mich schließlich mehr oder weniger sanft weggeschickt hatte, sagte mir, dass sie alleine sein wollte. Und das war auch in Ordnung, schließlich konnte ich es verstehen und respektierte es auch. Aber trotzdem dachte ich die ganze Zeit über daran, ob es wirklich so eine gute Idee war, diese ohnehin schon so nachdenkliche, emotionale und mysteriöse Frau alleine zu lassen. Dennoch - sie war erwachsen und ich war nicht für sie verantwortlich. Und trotzdem konnte ich das Gefühl nicht abschütteln, dass ich etwas falsch gemacht hatte und somit verantwortlich dafür war, dass dieser Zustand ihrerseits überhaupt entstand.

Als ich schließlich in der Wohnung ankam, zog ich sofort meine nasse Jacke aus und setzte mich mit meinem Handy in der Hand auf mein Bett. Draußen war es kalt und regnerisch und ich fror ziemlich. Also wickelte ich mich in eine warme, flauschige Wolldecke ein, die mich, wo ich darüber nachdachte, ein wenig an die Decke erinnerte, die ich hatte, als ich letzte Nacht auf dem Sofa in Carmelinas Wohnung schlief. Kaum hatte ich diese Feststellung getätigt, wanderten meine Gedanken sofort zu der schwarzhaarigen Frau, die ich auf ihre Bitte vollkommen alleine zurückgelassen hatte. Das war nun gerade einmal so eine Dreiviertelstunde her. Und meine Gedanken an sie wollten gar nicht mehr aufhören.

Nachdem ich einen Schluck von dem Tee, den ich mir gemacht hatte, getrunken hatte und mich dabei beinahe verbrannte, entschied ich mich dazu, nach meinem Handy zu greifen und Carmelina zu schreiben. Wenigstens fragen, wie es ihr ging und wie sie sich fühlte, wollte ich, immerhin machte ich mir irgendwie wirklich Sorgen um sie. Ich machte mir Sorgen um eine erwachsene Frau, die fast doppelt so alt war, wie ich. Eigentlich war es doch vollkommen absurd.
Ich öffnete den Chat mit Carmelina, umklammerte mein Handy dabei ganz fest mit meinen immer noch ziemlich kalten Fingern und begann auf die Bildschirmtastatur zu tippen. "Hey, ich wollte fragen, wie es dir jetzt geht? Ich hoffe, dir geht es wieder etwas besser". Das hatte ich soeben geschrieben, überlegte aber die ganze Zeit über, ob es die richtige Formulierung traf und es bei Carmelina nicht etwa zu einem Missverständnis kommen konnte. Gerade wollte ich die Nachricht abschicken, als ich plötzlich von einem Klingeln unterbrochen wurde. Etwas überrascht stelle ich fest, dass es Felix, mein Mitbewohner war. Ich wusste, dass er sich aktuell bei seiner Familie auf Sylt befand, da vor wenigen Tagen sein Großvater verstorben war. Sofort nahm ich den Anruf an.
"Hallo", begrüßte ich ihn und man konnte meiner Stimme anmerken, dass ich seit fast einer Stunde kein Wort mehr gesagt hatte, denn sie klang seltsam kratzig.
-"Hey Sara, wie geht es dir?" fragte Felix. Im Hintergrund waren Gespräche von anderen Menschen zu hören.
"Mir geht's ganz okay", antwortete ich und ließ meinen Blick durch mein Zimmer schweifen. "Es ist nur ziemlich kalt und nass hier... Irgendwie gar nicht weihnachtlich oder sowas...". Felix lachte daraufhin.
-"Von Hamburg kann man aber auch nichts anderes erwarten", meinte er. Ich stimmte ihm zu.
Dann war es für einige Sekunden still.
-"Ich vermisse dich schon, aber es tut irgendwie auch gut, hier bei meiner Familie zu sein... Auch, wenn es natürlich sehr unschön ist...", sagte er und ich konnte seine Trauer durch die Telefonleitung hören. Irgendwie machte es mich direkt ebenfalls traurig, meinen langjährigen besten Freund und Mitbewohner so zu erleben. Aber ich konnte es nachvollziehen.
"Es tut mir immer noch sehr leid wegen deines Großvaters", sagte ich und versuchte, besonders viel Mitgefühl in meine Stimme zu legen, denn dieses hatten Felix und seine Familie definitiv verdient,
-"Danke, es ist okay", antwortete er.

Wir redeten daraufhin noch eine Weile über das Leben auf Sylt und über seine Familie, die schon immer dort lebte. Er selbst hatte sich einige Jahre dort gewohnt und in Erinnerungen schwelgend erzählte er mir davon, wie er dort oft seinen Großvater besucht hatte. Er war, ebenso wie Felix, ein sehr künstlerischer Mensch. Das machte es für Felix und irgendwie auch für mich noch ein Stückchen trauriger. Ein paar Minuten telefonierten wir noch, bevor Felix von seiner Mutter gerufen wurde und auflegen musste. Ich blieb daraufhin alleine zurück und lehnte mich an die Wand hinter meinem Bett, bevor ich die Augen schloss und nachdachte.

SalvatoreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt