12.1 - Trauma

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Anxiété

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Sara Winter

Als Carmelina ihre Hände wieder vor ihr Gesicht legte und zu weinen begann, fühlte ich mich hilflos und unsicher. Ich saß ihr gegenüber und sah sie einfach an. Ehrlich gesagt wusste ich nicht wirklich, was ich tun oder sagen sollte. Es tat mir alles einfach schrecklich leid. Vor allem, da ich sie eigentlich beruhigen wollte. Nun schien es, als hätte ich alles nur noch schlimmer gemacht.
"Es tut mir sehr leid... Also, dass ich dich angefasst habe und du... Du dann so reagiert hast", sagte ich leise und unsicher.
Carmelina schüttelte den Kopf und sah mir dann für einen ganz kurzen Moment in die Augen, bevor sie ihren Blick wieder senkte.
-"Es sollte eher mir leidtun...", flüsterte sie, sah mich wieder an und ich konnte die Tränen in ihren Augen sehen. "Du bist keine Bedrohung... Du bist eine so wundervolle, sanfte Person... Aber damit kann ich auch nicht umgehen...", flüsterte sie mit rauer Stimme und weinte danach wieder.
Ich fühlte mich erleichtert, dass Carmelina meine Geste nicht als Bedrohung empfunden hatte, aber gleichzeitig brach es mir das Herz zu sehen, wie sehr sie unter ihrer Vergangenheit litt. Es musste irgendetwas ganz Schlimmes passiert sein. Etwas, was so schlimm war, dass es sie nachhaltig traumatisierte. Gleichzeitig freute ich mich irgendwo ganz tief in meinem Unterbewusstsein aber auch darüber, dass sie mich als wundervoll und sanft bezeichnet hatte und dass ich nach wie vor keine Bedrohung für sie war. Denn das war meine größte Angst, schließlich war mir diese interessante und mysteriöse Frau ziemlich ans Herz gewachsen. Mehr, als ich vielleicht wollte.
Aber in diesem Augenblick fühlte ich mich trotzdem ein wenig überfordert damit. Die große Frau, die immer so distanziert und dennoch gefasst wirkte, brach nun vor meinen Augen in der Ecke neben ihrem Bett zusammen und ich wusste nicht wirklich, wie ich darauf reagieren sollte. Jede andere Person, die mir auch nur ansatzweise nahestand, hätte ich vermutlich einfach umarmt, aber mit Carmelina ging das nicht, schließlich war schon ihre Reaktion darauf, dass ich sie vor wenigen Minuten am Arm berührt hatte, um sie zu beruhigen, nicht nur erschreckt, sondern sie scheinbar in eine Art Flashback versetzt. Es tat mir immer noch leid, obwohl sie mir schon gesagt hatte, dass es eher ihre Schuld gewesen sei.
Mehrere weitere Minuten saß ich einfach dort, mit einem Sicherheitsabstand von etwa zwei Metern zu ihr. Und ich sah ihr dabei zu, wie sie sich noch mehr zusammenrollte, noch mehr ihre schmalen Knie mit ihren dünnen Armen umarmte und dabei weiterhin heftig weinte. Und ich fühlte mich machtlos. Was sollte ich tun? Das war die einzige Frage in meinem Kopf und eigentlich drehte sich alles nur im Kreis, denn das einzige, was ich wollte, war, dass es Carmelina gut ging und sie in mir und meinen Handlungen keine Gefahr sah.

Ich saß noch einige Minuten schweigend bei ihr und sah dabei zu, wie ihre Tränen langsam trockneten und sie mich hin und wieder traurig, dann schüchtern und manchmal auch voller Angst ansah. Es war eine Mischung aus Gefühlen - wahrlich ein Chaos.
"Carmelina?", sprach ich sie dann an und sofort hob sie den Kopf. In ihren eisblauen Augen waren immer noch gewaltige Emotionen zu sehen und ich fühlte mich fast, als würde ich in zwei stürmische Ozeane blicken. Dabei waren es doch nur ihre wunderschönen, unfassbar tiefen Augen, die nun so wässrig und gerötet waren, wie ich es bei ihr noch nie zuvor erlebt hatte.
"Geht es dir jetzt ein bisschen besser? Also ich meine... Besser, als vorhin noch?", flüsterte ich und achtete darauf, dass ich möglichst sanft klang und nicht so, als würde ich ungeduldig sein oder sie gar verurteilen. Ein wenig verunsichert hatte mich ihre Reaktion schon und überfordert war ich auch, was nur dazu führte, dass ich es mit meiner Berührung noch schlimmer gemacht hatte. Dafür fühlte ich mich schlecht und im Gegensatz zu ihr durfte ich mich für mein Verhalten auch schlecht fühlen. Denn bei ihr war es etwas anderes und es war in Ordnung, dass sie Angst und Flashbacks hatte, schließlich schien es so, als hätte sie schon sehr viel erlebt. Meine Berührungen schienen nämlich eindeutig etwas bei ihr ausgelöst zu haben, was nicht gerade positiv behaftet war und es tat mir unendlich leid.
Sie nickte langsam und sah mich dann an. "J-Ja...", flüsterte sie immer noch mit zittriger und rauer Stimme. Dann fügte sie hinzu: Es tut mir leid, dass du das jetzt so... Naja... Miterleben musstest". Während Carmelina sprach, sah sie mich keine einzige Sekunde lang an. Stattdessen haftete ihr Blick an den verschiedensten Objekten im Raum, bis er schließlich bei einem Bild, welches direkt neben ihr auf dem Fußboden stand, ankam. Kurz sah ich auf das Gemälde, welches scheinbar die Elbe bei Gewitter zeigte, dann hob ich aber wieder meinen Kopf und mein Blick lag auf der schwarzhaarigen Frau, die mich immer noch nicht ansah. Aber das musste sie auch nicht. Genauso wenig, wie es ihr leidtun musste, dass ich ihre Angst und ihren Flashback miterlebt hatte.
Deswegen schüttelte ich vorsichtig den Kopf und zwang mich zu einem sanften Lächeln, als Carmelina sich endlich traute, mich anzusehen, wobei ich eine riesige Angst gepaart mit gefühlt allen anderen Emotionen dieser Welt in ihren Augen sah.
"Es tut mir leid, dass du... Dass du darunter so sehr leidest... Was auch immer es ist, was dir solch eine Angst macht...", erwiderte ich. Der Blick aus den eisblauen Augen meines Gegenübers wurde kälter. "Das verstehst du nicht, Sara", meinte sie einfach nur zischend und sah dann wieder auf den Fußboden, bevor Carmelinas Blick ein weiteres Mal zu diesem Bild wanderte, welches neben ihr an der Wand gelehnt stand. Das Gewitter.

Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen und atmete tief durch. Es musste wirklich unfassbar schwer für Carmelina sein, mit den Dingen, die sie belasteten fertig zu werden und ich wollte mir nicht einmal ausmalen, welche Dinge es konkret sein könnten. Ich wollte mir nicht vorstellen, dass solch eine sanfte, empfindliche Seele wie ihre unter emotionaler oder gar körperlicher Gewalt leiden musste. Und irgendwie tat es mir so weh, dieses innere Bild davon zu haben, wie seelische und körperliche Schmerzen hat, wie sie leidet. Mir wollen fast selbst die Tränen kommen, aber ich halte sie mit aller Mühe zurück.
-"Sara?", flüsterte Carmelina dann nach einigen Sekunden, mit einem sehr zittrigen Unterton in der Stimme und sah mich durchdringend an. Unsere Blicke trafen sich und ich erkannte, dass sich die starken Emotionen etwas gelegt hatten, dafür wirkte nun aber das eisige Blau ihrer Augen umso kälter und abblockender. Ich seufzte ein weiteres Mal tief, bevor ich nickte und meinen Kopf schief legte, als ich darauf wartete, dass Carmelina mit dem Sprechen beginnt.
-"Ich... Ich will nicht so... Unhöflich klingen... Aber... Kannst du bitte gehen? Ich... Ich muss alleine sein...". Gegen Ende ihres Satzes hin verstummte ihre anfangs so feste und deutliche Stimme zu einem uneindeutigen Wimmern und ich spürte, wie in mir irgendetwas ein wenig zerbrach. Es war ihr gutes Recht, einen Moment für sich zu brauchen, aber es tat mir gleichzeitig irgendwie weh, sie alleine lassen zu müssen. Ich machte mir Sorgen um sie. Und das in dem Augenblick, in dem ich noch ihr gegenüber auf dem Fußboden saß schon. In einem Moment, in dem ich ihre Wohnung, den alten Speicherboden, noch nicht einmal verlassen hatte, hatte ich schon Angst um sie.

SalvatoreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt