Youtube Oneshots

Der Junge aus der letzten Reihe

Er saß wie immer in der letzten Reihe, und ich war von ihm so weit entfernt wie nur möglich. Ich probierte mich so unauffällig umzudrehen wie es ging, schaute auf die Uhr, und ließ meinen Blick kurz über den strohblonden Schopf schweifen. Er war dicht über das Papier gebeugt, einen Bleistift in der Hand. Nur einen kurzen Blick erlaubte ich mir, bevor ich mich wieder dem Lehrer zu wendete. Ich wusste nicht viel über ihn, die Lehrer nannten ihn Samuel, und wenn sie seinen Namen sagten, geschah dies nicht selten mit einem scharfen Unterton. Doch ich hatte ein oder zweimal mitgekriegt wie seine Freunde ihn Stegi nannten, und ich vermutete dass es sein Spitzname sein musste. In meinem Kopf nannte ich ihn so, jedes Mal wenn ich über ihn nachdachte. Dies passierte immer öfter, immer öfter verlor ich mich in Gedanken. Ich hatte fast zwei Monate gebraucht um zu akzeptieren, wie es war: Ich stand total auf ihn. Seit er zum ersten Mal den Bioraum betreten hatte, eigentlich schon. Es würde mir jedes Mal bewusst wenn er sich seine eine goldene Haarsträhne aus dem Gesicht blies, wenn er lachte, wenn er dem Lehrer eine freche Antwort gab oder wenn ich ihm in die Augen sah. Diese grünen Augen, mit dem leichten Gelbstich... "Bastian!" Mein Biolehrer blickte mich höchst verärgert an, und eine steile Falte hatte sich knapp über seiner Brille gebildet. "Tut mir leid, was war ihre Frage?" murmelte ich zerknirscht und konzentrierte mich die letzte halbe Stunde ganz auf den Unterricht. "Und nun noch eine Sache: Ich denke, ich habe oft genug die Präsentation demnächst erwähnt, Und nach langem Überlegen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es wirklich am besten wenn wir auslosen" Durch die Klasse ging ein kollektives Stöhnen, und ich gab ihnen vom tiefsten Herzen Recht. Gruppenarbeit war so oder so schrecklich, denn ständig pfuschte mir jemand in meine Arbeit rein, aber mit unbekannten Menschen war das noch schlimmer. Der Lehrer holte eine Blechdose mit vielen Zetteln hervor und begann die Zettel zu ziehen. "Nathanael, Oskar"
"Nina, Linus" "Ella, Sunny" „Erik, Bishop“ „Iman, Ottilia“ "Fridolin, Fipps" "Lia, Tobi" "Raphael, Frieda" Mein Freund neben mir verdrehte nicht direkt die Augen, aber seine nicht sonderlich große Begeisterung war deutlich zu spüren. „Romy, Milena“ "Bastian..." Der Lehrer begann erneut in der, für seine Wurstfinger viel zu kleinen, Dose herumzuwühlen. "Tanja" Tanja war letztes Jahr gegangen, glaubte ich zumindest, ganz sicher war ich mir nicht. "Ähh, Tabak ist doch nicht mehr da?" Meldete ich mich. "Tatsächlich du hast Recht" wunderte sich unser Lehrer und zog er erneut. "Samuel"

Ich hatte mich verhört garantiert. Garantiert. Ich drehte mich auf meinem Stuhl um, umklammerte die Lehen mit meinem Fingern und blickte ihn die letzte Reihe. Gerade wurde Stegi von einem seiner Freunde angestoßen, und sie flüsterten leise miteinander. Sein Kumpel mit der Brille,  ich glaube hieß er Heiko, deutete unauffällig mit seinem Kuli auf mich.  Mein Gesicht brannte, wurde ich gerade ernsthaft rot? Raphael sah mich fragend ab: „Seit wann ist der in unserem Kurs?“ „Seit ‘nem halben Jahr?“ vielleicht klang ich leicht vorwerfend, aber es war ein Rätsel wie Man ihn nicht bemerken konnte. Beim Herausgehen stupste Stegi Raphael an der Schulter an. „Eyy, du bist doch Bastian oder?“ Ich weiß nicht was genau ich erwartet hatte,  jede Fruchtfliege in der Ecke war auffälliger als ich, trotzdem tat es weh. Alles was ich wollte war gesehen zu werden. Raphael schüttelte den Kopf und verschwand dann aus dem Klassenzimmer. Jetzt standen nur noch zwei Jungen in ihm, einer mit einem dunklen Schopf, der andere mit Haaren, die Sonnenstrahlen ähnelten. „Dann bist du wohl Bastian, oder?“ er hatte die unangenehme Stille unterbrochen und nun war es an mir etwas zu antworten, ich wusste das. Doch es gab zu viele Worte in dieser Welt, zu viel was ich erwidern konnte, zu viel was ich ihm erzählen könnte. Deshalb blieb ich stumm, beschränkte mich auf ein einfaches Nicken.

Um ihm nicht länger ins Gesicht starren zu müssen, schaute ich auf den Boden, auf die zwei Paar Füße auf diesem blaugrauen Boden. Er hatte weiße Vans an, ein Schnürsenkel war offen. Ich betrachtete seine schmalen Handgelenke, die fast vom großen, hellgrauem Hoodie bedeckt wurden. Schwach meinte ich ein Regenbogenarmband aufblitzen zu sehen, aber sicher war ich mir nicht. „Wollen wir vielleicht, Telefonnummern oder so austauschen?“  er klang nicht mehr so selbstbewusst wie vorhin, seine Stimme hatte einen leicht zögerlichen Ton angenommen. Ich holte mein Handy heraus, trotz des Risikos erwischt zu werden. So egal war mir ein Verweis noch nie gewesen, aber war hier, und solange er hier war, war alles andere egal. Wir tauschten Nummern aus. Erneut entstand diese Stille diesmal war sie jedoch nicht so unangenehm. Er blähte die Wangen aus, und stieß dann die Luft aus. „Was hast du denn gleich?“ erkundigte ich mich. „Mathe beim ollen Graumeier“ er verdrehte die Augen. „Oh, der mag mich auch nicht“ Das stimmte sogar, er war bisher der erste und einzige Lehrer geblieben. „Nicht mögen der hasst mich“ „Ja ich führe auch eine ungesunde Beziehung mit ihm“ bestätigte ich und ein grinsen stahl sich auf seine schmalen Lippen. Das er Sommersprossen hatte war mir noch nie aufgefallen, und diese Narbe über der Augenbraue... Er starrte auf seinen linken Oberarm und schmiss sich dann erschrocken seinen Schulrucksack über die Schulter. „Shit, ich muss los! Wir müssen unbedingt nochmal schreiben“ Mit diesen Worten ließ er mich allein im leeren Klassenraum stehe. Die Tafel war noch nicht gewischt und so ergriff ich seufzend den Schwamm. Nach der Schule machte ich nicht wie sonst die Hausaufgaben, sondern speicherte einen gewissen „Stegi <3“ in meinen Kontakten ab, schickte ihm dann sofort ein „Hey :^)“ Ich drehte mich hin und her auf dem Schreibtischstuhl, wendete meinem Blick jedoch nicht vom Display ab. Bis mein Vater mir mein Handy mit einem „Konzentrier dich auf das Lernen!“