Kapitel 8

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    Stechender, pochender Kopfschmerz holte Anne aus tiefem Schlaf. Wellenartig drückte er gegen ihre Schädeldecke, als wolle er sie zum Bersten bringen. Die Augen waren kaum zu öffnen; schwere Gewichte klebten an ihren Lidern, hielten sie geschlossen. Kein Zucken konnte Anne ihnen entlocken. Ihr Kopf sank tiefer in das Kissen.

    Deutlich hörte sie ihren eigenen, ruhigen Atem. Sie spürte ihm nach, wie er in ihren Körper gelangte und ihn wieder verließ. Die Wärme der Decke hüllte sie wohlig ein. Sie wollte sich tiefer hineinkuscheln, wieder schlafen. Alles fühlte sich so schwer an. Die Müdigkeit zerrte sie nach unten, lockte ihren Geist mit dem süßen Reich des Schlafes. Wach zu bleiben, war viel zu anstrengend.

    Anne wollte schlaftrunken nach dem Stoff greifen; ihre Hand verweigerte ihr den Dienst. Ein weiteres Mal befahl sie ihrer Hand, die Decke zu greifen. Sie reagierte nicht. Probehalber versuchte sie, einen Finger zu krümmen. Nichts geschah. Ihre Lider wollten sich flatternd öffnen, doch sie klebten schwer, so sehr sie auch dagegen andrückte. Sie wollte sich auf die andere Seite drehen – ihr Körper bewegte sich kein Stück. Die Müdigkeit bröckelte von ihr ab, wich mehr und mehr Verwirrung.

    Beim Klang ihres noch immer ruhigen, gleichmäßigen Atems sirrte Angst durch ihre Adern. Dennoch schlug ihr Herz ruhig weiter, stoisch. Unberührt von ihren Gefühlen, die es zum Flattern bringen sollten. Nicht einmal mit den Mundwinkeln zucken konnte sie, die Augenbrauen zusammenziehen, und ihre sirrende Angst zum Ausdruck bringen. Die steten Luftzüge schienen sie zu verhöhnen. Sie kam sich vor wie im Körper einer Fremden. Ihr Geist war wach, der Körper schlief. Sie konnte nichts dagegen tun.

    Die Fäden der Angst hielten ihr Herz fest im Griff. Sie konnte nichts hören außer ihrem Atem, nichts sehen außer der absoluten Schwärze unter ihren geschlossenen, unbeweglichen Lidern. Sie wollte mit den Armen und den Beinen strampeln, einfach um sich sicher zu sein, dass sie noch lebte, doch kein Glied ließ sich rühren, nichts gehorchte ihr.

    Ihr Kopf wollte fliehen aus dieser absurden Situation, weit weg, dem Kontrollverlust und den Fäden der Angst entkommen, wieder eigenständig atmen können. Doch das Gefängnis entließ sie nicht. Und mit jeder weiteren Sekunde darin wurde der Schmerz in ihrem Kopf größer, schnitten die Flechten der Angst mehr in ihr Fleisch und gaben sie nicht frei; mit jeder Sekunde näherte sie sich dem Wahnsinn ein Stück mehr. Mit jedem gleichmäßigen Atemzug.

    Innerlich kämpfte sie an gegen die unsichtbaren Fesseln. Mit nichts als ihrem Geist als Waffe. Schwindel erfasste sie, gab ihr das Gefühl, im Raum umhergeschleudert zu werden wie eine leblose Puppe. Obwohl sie weiterhin an das Bett, an ihre Starre, gebunden war. Dazu verdammt, immer weiter zu atmen. Nur zu atmen, ganz ruhig und gleichmäßig. Obwohl sie schreien wollte.

    Wie aus weiter Ferne meinte sie, Stimmen zu hören. Doch sie waren zu undeutlich und leise, als dass sie sie verstehen konnte. Ihr Klang verschwamm zu einem Strudel an Geräuschen, auf den sie sich nicht konzentrieren konnte. Vermutlich hörte sie es nur, weil sie die Stille nicht ertragen konnte. Dieses unendliche Schweigen, nur durchbrochen von ihrem Atem, der sie ihre Situation keine Sekunde vergessen ließ. Ein. Aus. Immer im selben Rhythmus. Ohne Unterbrechung. Immer gleich. Tief ein. Tief aus.

    Die Stimmen wurden lauter, deutlicher. Sie bekamen klarere Konturen, entwirrten sich immer mehr; das große Knäuel löste sich langsam auf. Doch Anne konnte noch immer nicht verstehen, was sie sagten. Ihre Konzentration flackerte, sprang zwischen den Stimmen und ihrer eigenen Panik hin und her, während ein Teil von ihr den Fokus einfach gänzlich fallen lassen wollte, sich von einer Wolke der Gedankenlosigkeit einhüllen lassen wollte.

    Hilfe. Sie wollte um Hilfe schreien. Wollte rufen, wollte weinen, wollte zeigen, dass sie da war. Dass sie Hilfe brauchte. Noch immer schlang die Angst ihre Krallen tief in ihr Herz, war nicht bereit, es freizugeben. Anne war sich sicher, dass es ihr die Luft abschnüren musste, doch sie spürte nur immer weiter diesen gleichmäßigen Atem, der es noch so viel schlimmer machte. Der ihr mit ständiger Gewissheit den Kontrollverlust vor die blinden Augen führte.

Das Flüstern Kentairas I - Graues GiftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt