Kapitel 17

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    Es durchfuhr Anne wie ein Blitz, der in ihren Körper fuhr, sein Geäst um ihre Eingeweide wickelte. Sie riss die Augen auf, die Arme erwartungsvoll erhoben, bereit, sich zu verteidigen – gegen was auch immer. Der Stromschlag hatte jede Zelle elektrisch sirrend zurückgelassen, die Angst verbreitete sich in ihnen wie ein Gift. Ihr Atem ging in schnellen, flachen Stößen, ihre Augen wanderten durch die Dunkelheit, geschärft wie die eines Raubvogels bei der Jagd.

Magie flutete ihre Adern, wurde von ihrem Herzen mit jedem kräftigen Pochen weiter in ihren Körper gepumpt, zirkulierte in ihrem Blut, sammelte sich an vereinzelten Punkten. Sie entlud sich kribbelnd von ihren Fingerspitzen in die Luft, abertausende Teilchen, allesamt begierig, gegen die drohende Gefahr in die Schlacht zu ziehen. Die von ihnen ausgelöste Böe stob Annes Haar auseinander.

Doch außer dem Säuseln des Windes und dem Rascheln der Blätter, versank die Welt in atemloser Stille. Trügerischer Stille. Trügerischem Frieden.

Die Gefahr hing noch immer wie eine tiefliegende Wolke in der Luft, umhüllte sie wie Nebel. Ihr elektrisches Sirren wurde von dem Rauschen von Annes Blut in ihren Ohren übertönt.

Ein zweiter Stromschlag verästelte sich in ihrem Körper, traf sie heftiger als zuvor. Eine Welle brennenden Schmerzes überrollte sie. Der Schrei erstickte in ihrer Kehle, als sie auf die Knie fiel, die Augen weit aufgerissen. Flammende Atemlosigkeit überfiel sie. Sie meinte, den Geruch verbrannten Fleisches wahrzunehmen, als der Blitz ihre Eingeweide versengte. Ihr Magen rebellierte.

Ein Stich in ihrer Brust, als flöge ein Pfeil mitten hindurch. Sie sah sich selbst von außen, auf den Knien, die Hände über ihr Herz gepresst, als wolle sie verhindern, dass es zwischen ihnen hervorquoll. Ihr Körper war von einem Geflecht glühend weißer Adern überzogen. Sie hörte ihr eigenes Wimmern, bevor es vom Heulen des anschwellenden Sturmes verschluckt wurde.

Sie wurde zurück in ihren Körper katapultiert, spürte neben der Orientierungslosigkeit die Flammen sich durch ihren Körper brennen. Sie fraßen sich durch jeden Zentimeter ihres Fleisches, machten sich hungrig über ihre Sehnen und Muskeln her, verzehrten sie und hinterließen eine glühende Spur. Anne krümmte sich zusammen, fand keinen Atem. Rote Schlieren zogen sich durch ihre Sicht; verschwommene Sandkörner wirbelten immer schneller um sie herum. Sie wurde von unregelmäßigen, schwächer und heftiger werdenden Stromschlägen durchzuckt wie von Schüttelfrost, konnte sich unter dem elektrischen Sirren, das ihren Körper immer und immer wieder durchlief, nicht bewegen. Hitzewellen durchliefen sie, das Feuer war überall, brannte sich in ihre Ellbogen, ihre Knöchel, ihren Bauch. Ihr Körper zuckte immer heftiger, immer unkontrollierter. Sie wollte schreien und den Flammen, die begierig ihren Körper verzehrten, etwas entgegensetzen. Ihr Blut schien zu kochen, zu verdampfen.

In ihrer Verzweiflung sickerte unkontrolliert Magie aus jeder ihrer Poren, entfachte einen aufbrausenden Sturm, ein sich aufbäumendes, kreischendes Ungeheuer, dessen Wüten sie schwach wahrnahm. Die Tortur wiederholte sich immer wieder, Anne befand sich in einem fortwährenden Zustand verschwelender Innereien, dem sie nichts entgegenzusetzen hatte. Sie konnte sich nicht bewegen, konnte nur beten und hoffen, dass es vorbeiging, während die Ohnmacht an ihr zehrte.

Dann, endlich, ebbte es langsam ab. Die Blitze trafen sie immer schwächer, wie Wellen, die langsam ausrollten, sich schließlich zurückzogen. Anne hörte kaum mehr als das Rauschen des Blutes in ihren Ohren und ihren keuchenden, rasselnden Atem, spürte kaum mehr als das Zittern ihrer Glieder, das Vibrieren ihrer Muskeln. Ihr schnell in der Brust hin- und herpendelndes Herz gesellte sich langsam zu den Empfindungen, schien ätzendes Gift durch ihre Adern zu pumpen, die Säure der Angst, die sich in ihre Gefäße fraß.

Sekunden verstrichen, dehnten sich zu Minuten aus. Die Arme balancesuchend von sich gestreckt, stellte Anne sich vorsichtig auf die Füße, erhob sich Zentimeter für Zentimeter. Ihre Oberschenkel protestierten, bebten, zuckten unter der Last ihres Gewichts. Ihr Körper wurde kräftig durchgerüttelt, wollte sich wieder zu einer sicheren Kugel zusammenrollen, anstatt sich ungeschützt auf die Beine zu stellen. Anne atmete tief ein, die Augen auf einen unbestimmten Punkt gerichtet, die schwankenden Arme noch immer ausgestreckt. Sie fühlte sich bloßgestellt in dieser Position, als biete sie aufrechtstehend zu viel Angriffsfläche. Nur der Sturm, der noch immer um sie tobte, an Haut, Haaren und Kleidung zerrte, gab ihr Sicherheit. Ihr Atem wurde ruhiger, die Züge tiefer, gleichmäßiger. Der Wind war ihre Waffe, ihr Schutzschild, mächtig, von Angst und Verzweiflung geschürt. Die Welt vor ihr bestand aus wirbelnden, ineinanderlaufenden Farben, vom Sturm umhergeworfen, dessen schiere Kraft von Annes Magie genährt wurde. Anne schöpfte Mut aus diesem Gedanken, fühlte sich weniger verletzlich, weniger ungeschützt, weniger ausgeliefert. Was immer das gewesen war – sie konnte sich wehren.

Das Flüstern Kentairas I - Graues GiftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt