Kapitel 11

2 1 0
                                    

    Annes Hinterkopf schlug hart auf den hölzernen Dielen des Bodens auf, die Lehne des Stuhls bohrte sich schmerzhaft in ihre Schulterblätter. Sie presste die Lider zusammen, alle Luft entwich ihren Lungen.

    Anne riss die Augen auf, sprang wieder auf die Beine. Sirrender Schmerz durchfuhr ihren Kopf. Tausend Geräusche prasselten auf sie ein. Sie sah, wie eine Rauchwolke nach der anderen hochstieg, mit lautem Knallen jeder Zentimeter des Raumes explodierte. Holzsplitter flogen umher, Menschen schrien. Anne konnte die Bilder nicht greifen. Sie blinzelte. Atmete Rauch. Die Welt wurde von einem Fiepen in ihrem Ohr dominiert, das alles übertönte. Rauchwolken verschmolzen mit fliegenden Splittern und Feuer zu einem sich drehenden Strudel. Zu schnell, zu langsam, zu alles.

    Sie drehte sich um sich selbst, atmete die ätzende Luft und begriff nicht. Peng. Das nächste Was-auch-immer wurde zerfetzt. Intuitiv schloss sie die Augen. Ihr Ärmel wanderte wie vor selbst vor Mund und Nase. Aus ihren zusammengekniffenen Augen quollen Tränen. Der Rauch kratzte in ihrer Luftröhre. Sie zitterte. 

    Sie hörte es, hörte es immer wieder, dieses dumpfe Knallen, das wie aus weiter Ferne an ihr Ohr drang. Das Fiepen wurde lauter, schriller. Jeder Knall durchdrang ihren Kopf wie ein sirrender Pfeil.

    Passierte das gerade wirklich? Mit jeder verstreichenden Sekunde, über die ihr überlaut pochendes Herz wachte, entglitt ihr die Realität ein Stückchen mehr. Sie fühlte sich, als wäre sich gar nicht richtig da, als wäre sie über dem Geschehen und stünde doch mitten darin. Als wäre sie gefangen in der Glaskugel einer Lampe, die inmitten des Feuers stand. Noch leckten die Flammen nicht an ihr, doch sobald das fragile Material zersprang, das sie vor der Außenwelt schützte, würden sie sie unerbittlich verzehren.

    Sie hatte die Hände auf die Ohren gelegt, um sie zu schützen vor den tausend Geräuschen, die so ewig weit weg und zugleich viel zu nah waren. Ein Ärmel noch immer über Mund und Nase. Wann hatte sie sich auf dem Boden zusammengekauert? Die Zeit schien einem quälend langsamen Fluss zu folgen, drückte schwer auf Annes Brust und wollte ihr den Atem stehlen. Ein Wimmern entfloh ihr. Ihre Ohren schrien, ihre Mimik verzerrte sich. In ihrem Kopf die stumpfen Schläge, das dumpfe Pochen, das mit jedem Knallen neu entfacht wurde. Ihre Lunge atmete saure Luft, die in ihrer Luftröhre stach und biss, mit jedem Atemzug ein Stückchen dünner zu werden schien.

    Lass es aufhören. Dieser eine, quälend laute Gedanke füllte all ihre Gedanken aus. Lass es einfach nur aufhören.

    Es hörte auf. Das Knallen verklang, von einer Sekunde auf die andere. Stille kehrte ein um sie herum, eine unheimliche, trügerische Stille, über die sich das Fiepen legte, lauter denn je.

    Und als ein grausames, ein irres und unmenschliches Lachen erklang, das Annes Augen größer werden ließ, das ihr Herz voller Angst in ihrer Brust flattern ließ – da wusste Anne, dass es noch lange nicht vorbei war.

    Die Angst war da, sie nistete sich in ihrer Brust ein und umschlang sie flink mit ihren seidenen Fäden. Doch sie war nicht von Dauer, verschwamm mit allem anderen, bis nur noch eine dumpfe Leere übrig war. Eine dumpfe, irreale Gefühllosigkeit.

    Anne erhob sich zitternd aus ihrer Hocke, die Hände noch immer vorsichtig auf den Ohren liegend. Alles erschien ihr falsch. Sie drehte sich im Kreis auf der Suche nach dem irren Lachen, torkelte, wankte. Ihr Blickfeld drehte sich. Die Zeit floss zu langsam, der Schmerz machte die Bewegungen schwer und träge. Vage nahm sie Splitter wahr, die sich in ihre Haut gebohrt hatten.

    Sie blinzelte, kniff die Augen zusammen. Sah nichts als undurchdringlichen Rauch und Staub. Jeder Atemzug, den sie von der verpesteten Luft nahm, reizte ihre Kehle, brannte wie Feuer darin und entlockte ihrem Hals unaufhörlich ein trockenes Husten wie Erbrochenes.

Das Flüstern Kentairas I - Graues GiftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt