•𝑬𝑰𝑵 𝑺𝑪𝑯𝑹𝑬𝑪𝑲𝑳𝑰𝑪𝑯𝑬𝑹 𝑨𝑳𝑩𝑻𝑹𝑨𝑼𝑴 •

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                                     𝑀𝑎𝑟𝑖𝑏𝑒𝑙𝑙𝑒

»Hast du Mum heute schon erreichen können?«, frage ich Joleene stirnrunzelnd, nachdem ich ihre Zimmertür ohne einer Ankündigung öffne. Etwas Merkwürdiges geht in diesem Haus vor sich! »Sie nimmt keine meiner Anrufe entgegen, weder reagiert Sie auf irgendwelche Nachrichten, die ich ihr vor einer Stunde hinterlassen habe. So allmählich mache ich mir darüber Gedanken, Joleene. Nicht dass unserer Mutter noch etwas Schreckliches widerfahren ist«, rufe ich verzweifelt klingend und blicke beinahe schon mit panischen Augen auf meine Schwester herab, welche mir jedoch nur bloß einen genervten Gesichtsausdruck entgegenbringt und mir anschließend den Rücken zu kehrt. »Jetzt übertreib doch nicht gleich! Sie wird schon bestimmt, ihre Gründe dafür haben. Möglich, dass ihr Handy einfach nur kein Akku mehr besitzt und deswegen keine deiner Nachrichten Sie erreichen können. Geh doch nicht gleich vom Schlimmsten aus, Schwesterherz« Ihre smaragdgrünen Augen blicken mich über den überaus großen LED-Spiegel an, während Sie mit einem rockigen, dunklen roten Lippenstift ihre überfüllten Lippen übermalt. Anscheinend bin ich die einzige im Haus hier, welche über die Abwesenheit unsere Mutter ziemlich beunruhigt ist. Wie kann Sie in dieser Situation nur so entspannt und gelassen wirken? Wenn ich heute Morgen nicht mit einem schrecklichen Gefühl das Bett verlassen hätte, welches sich über den Tag hinaus noch bestärkt hat, wäre ich wahrscheinlich genauso entspannt wie Joleene im Augenblick. Ich kann nicht beschreiben, was es ist, doch ich bekomme das schreckliche Gefühl nicht losgerissen, dass heute noch etwas Furchtbares eintreten wird. Das treibt mich nahezu schon in den Wahnsinn! Ich sollte bloß nicht die innere Ruhe verlieren. Mich jetzt noch verrückt zu machen, bringt mir im Grunde auch nicht viel. Ich sollte abwarten! Wohl möglich hat Joleene auch vollkommen recht und meine Mutter hat einfach nicht die Möglichkeit, mich oder einen anderen Familienangehörigen zu kontaktieren.

»Sag jetzt nicht, dass du bei Mitternacht noch hinausgehen möchtest? Oder hast du mal wieder eine Verabredung mit einem mysteriösen Mann?«, frage ich unsicher und mit erhobener Augenbraue, während ich Sie grüblerisch mit meinen misstrauischen Blicken im Visier behalte. Ansicht finde ich es auch nicht wirklich dramatisch, jedoch bevorzuge ich Verabredungen mit irgendwelchen unbekannten Männern ehe bei Tageslicht. Wer wusste denn schon, was solche älteren Männer alles für schmutzige Gedanken beabsichtigen! Zudem kenne ich meine Schwester nur allzu gut! Sie würde jeden Mist über sich ergehen lassen. Wie viele Männer waren es diese Woche schon gewesen? Wenn ich es noch richtig im Kopf behalten habe, dann müsste das jetzt der dritte Mann sein, welcher ihr in einem Lebensmittelladen über den Weg gelaufen ist. Welch ein großer Zufall aber auch! »Könntest du ein einziges Mal damit aufhören, die ältere Schwester zu spielen? Das ist so verdammt anstrengend, Maribelle«, somit lenkt Sie mal wieder unsere Konversation mit erhobener Stimme ab, als Sie allmählich ihr Gesicht in meiner Richtung dreht und mir mit ihren giftigen grünen Augen entgegenblickt. »Du machst dir sinnlose Gedanken. Ich werde schon auf mich achtgeben.« Natürlich glaube ich ihr kein einziges Wort, welches Sie mit einem schelmischen Grinsen über die Lippen brachte. Noch vor ungefähr zwei Wochen war ich diejenige, die ihr aus ihrer misslichen Situation heraushelfen musste, bevor meine Eltern ihr eigenhändig den Kopf abgerissen hätten. Ich hatte tatsächlich eine Menge an Rauschmitteln in ihrer Handtasche ausfindig machen können, als ich nach meinem Autoschlüssel gesucht hatte. Das giftige Zeug hatte ich schleunigst die Toilette herunterspülen lassen, bevor ich ihr überhaupt die Möglichkeit gab, mich an diesem Handeln noch aufzuhalten. Meine Eltern wären nämlich durchgedreht, hätten Sie das Zeug ebenfalls plötzlich entdeckt.

»Wenn du mir dieses Mal versprichst keine alkoholischen Getränke oder irgendwelche Drogen zu konsumieren?«, frage ich mit erhobener Augenbrauen, dabei betone ich das letzte Wort mit mehr Nachdruck in meiner Stimme und warte ungeduldig auf eine Zustimmung ihrerseits. Zumindest wäre ich dann nicht allzu besorgt über Sie, wobei jedoch ihre wildfremden Männer ehe das Hauptproblem hierbei sind. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum Sie sich ständig mit irgendwelche männliche Personen außerhalb unsere Stadt verabreden muss? Zu gerne wüsste ich, was für Leistungen Sie dadurch erbringt? Denn mit großer Sicherheit tätigt Sie diese Art von Freizeitbeschäftigung keinesfalls nur zu ihren eigenen Gunsten. Unerwartet erscheint ein lauter Krach in unmittelbarer Nähe, als wäre jemand im zweiten Geschoss die ganzen Treppenstufen hinuntergestürzt und zu Boden geprallt. Ich zucke schlagartig vor großer Schreck zusammen, ehe ich blitzartig mein Kopf zu meiner Schwester drehe. Unsere Blicke kreuzen sich wenige Sekunden zueinander. Die gewaltige Angst übernimmt meinem gesamten Körper ein, als ich gleichfalls die Angst meine Schwester bemerke, verstärkt sich meine Vermutung schlagartig. Keine einzige Sekunde lassen wir vergehen, ehe meine Schwester plötzlich ihre Handtasche zu Boden fallen lässt und daraufhin in Panik versetzt, ihr Zimmer eilig verlässt und die Treppenstufen hinunter sprintet, was ich ihr umgehend gleich tue und meine Schritte um das doppelte sogar beschleunige. »Dad?«, brüllen wir beide durch das gesamte Haus, doch wie zu vermuten, erhalten wir keine Antwort von ihm, was uns bloß dazu veranlasst, wie wild durch das ganze Haus zu rennen, dabei schlägt mir das Herz bis zum Hals. Vereinzelte Tränen laufen mir über meine glühenden Wangen. Meine Angst vergrößert sich mit jedem weiteren Atemzug, bis wir schließlich im Schlafzimmer meiner Eltern fündig werden können. Jedoch anders als zu erwarten entdecken wir plötzlich unsere Mutter, mit einer tiefen Schnittwunde, welche oberhalb ihre Stirn ziert. Ich bemerke die vereinzelten Glassplitter auf dem Boden, welche mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem zerbrochenen Spiegel stammen. Winzige Blutstropfen sind auf dem Teppichboden zu sehen, was mir eine unglaubliche Angst bereitet. Was um aller Welt ist in dem Schlafzimmer meiner Eltern geschehen? Und wie konnte ich bloß nicht bemerken, dass meine Mutter wieder nachhause eingetreten war?

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