62 - Nicht zu spät

3.2K 238 53
                                    

"Wo wollen wir denn hin?"

Ich schrie vor Schreck laut auf, dann wandelte sich meine Miene in deutlich empört um. "Dad! Was fällt dir ein, mich so zu erschrecken! Wie lange stehst du denn schon vor unserer Haustür?"

Mein Herz raste mir bis zum Hals. Ich hatte einfach nur die Tür öffnen wollen und plötzlich steht aus heiterem Himmel mein Vater davor.

Er grinste mich breit an und hob seine rechte Hand in die Höhe. Der Hausschlüssel kam zum Vorschein. "Ich wollte gerade eben aufschließen. Und du so? Bleibst du heute nicht zum Abendessen? Du hast gar nichts gesagt. Nachher hätte ich dich noch wie ein Trottel gesucht."

Ich schüttelte entschieden den Kopf. "Du bist kein Trottel, Dad."

Sein Grinsen blieb fest auf dem Gesicht verankert. "Danke mein Schatz, da bin ich ja beruhigt. Trotzdem bin ich überrascht, dass du dich wegschleichen möchtest."

"Ich will mich nicht wegschleichen."

"Ach nein? Und wieso gehst du ausgerechnet, wenn ich nicht da bin? Ich habe mein Training heute ein wenig früher beendet. Sonst hätte ich das gar nicht mitbekommen. Wo willst du denn in diesem Aufzug hin?" Er deutete auf meinen viel zu großen weinroten Hoodie und meine dunkelgraue Leggings. Dazu trug ich meine abgetragenen Converse.

Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht mich besonders aufzubrezeln und da es nur ein einfacher Filmeabend bei Easton sein wird und ich jetzt irgendwie doch nicht mehr den Plan verfolgte, ihn aus der Reserve zu locken, sondern stillschweigend zu warten, habe ich mir Kuschelsachen angezogen.

Wahrscheinlich auch für den eigenen Wohlfühlfaktor, da Adriana den Winter in das Haus der Henrys bringen würde und in dem Aufzug war ich gewappnet. Also die richtige Antwort wäre: Das ist mein Panzer für ein Gefecht. Nur mit den Haaren hatte ich mir Mühe gegeben und sie sorgfältig gekämmt, sodass sie ordentlich über meine Schultern fielen.

Immerhin.

"Ich habe irgendwie vergessen dir das zu sagen", gestand ich. "Du warst jetzt wieder so lange nicht da und dann vergisst man irgendwie Bescheid zu sagen", zuckte ich mit den Schultern.

Mein Vater schaute mich mit einem Blick an, der nur so vor schlechtem Gewissen stank. "Stimmt, in der Hinsicht kann ich dir gar keinen Vorwurf machen. Tut mir leid, Iva. Weißt du wie oft ich schon darüber nachgedacht habe, den Beruf zu wechseln, um dann mehr Zeit mit dir haben zu können?"

"Ach quatsch, nein Dad, bleib bei deinem Beruf. Es macht dich so glücklich. Du könntest gar nicht ohne Hockey und Eis."

Er seufzte. "Tja aber ist es mir dafür wert, so wenig Zeit mit meinem einzigen Kind zu verbringen?"

Ich schwieg, was ihm wohl Antwort genug war.

Ohne dass er etwas weiter sagte, zog er mich in seine Arme und umarmte mich fest, dabei bettete er sein Kinn sanft auf meinem Kopf ab. "Ach Iva", murmelte er und strich mir ein paar Haartsträhnen zurück.

Ich fühlte mich aufeinmal zurückversetzt in meine Kindheit. Da war er auf jeden Fall immer für mich da. Damals hatte er hier in der Umgebung Hockey gespielt. Doch weil er einfach ein sehr guter Spieler war, stand damals in Aussicht, dass er in eine erfolgreiche und berühmte Mannschaft wechseln konnte. Da war ich ungefähr sechzehn. So lange ist das noch gar nicht her und trotzdem ist in den drei Jahren die Welt irgendwie ein bisschen anders.

 Ja, ich konnte im Grunde machen, was ich wollte. Aber mir fehlte auch die Zeit mit ihm.

Ich erwiderte seine Umarmung, dann lösten wir uns voneinander. Er lächelte mich an. "Ich wollte dir heute sagen, dass ich am Wochenende auch noch da bin. Als Überraschung."

Dark ClubWo Geschichten leben. Entdecke jetzt