12 - Wiedersehen

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Tate's klappernde Karre polterte über eine Bordsteinkante.

Wie immer hatte er die paar letzten Zentimeter nicht abwarten können, bis wir die abgeflachte Auffahrt des Werkstatthofs erreichen würden und fuhr wie jedesmal schräg über die Bordsteinkante. Gerade noch so eingelenkt zwischen den Pfeilern, die die Einfahrt ausmachten.

Neue Reifen stapelten sich rechts von uns, ebenso erkannte ich ein neues Unfallauto, dass links von uns bei anderen heruntergekommenen Wagen abgeparkt wurde.

Der große Abschlepper, den Tates Dad immer fuhr, war nirgends zu sehen.

Anscheinend war er wieder unterwegs.

Ob nun zu einem Unfall getuckert oder doch zu dieser Zeit, kurz vor zwölf, an der Westseite der Stadt zur Mary's Currybude.

Trotz allem war das Werkstattor an der linken Hälfte des Wohnhauses weit geöffnet.

Eigentlich führte nur sein Dad diesen kleinen Betrieb, zusammen mit Tate, der im Moment noch neben dem Studium bei ihm arbeitete. Dann gab es außer den beiden noch Mrs Reedle, die den Bürokram erledigte und ihren kleinen Arbeitsraum direkt neben der Werkstatt hatte. Aber sie würde nie alles so offen lassen, ohne Beaufsichtigung.

Verwirrt runzelte ich die Stirn.

Tate hatte das natürlich mitbekommen, obwohl er zu dem Zeitpunkt meiner Verwirrung noch das Auto neben den Unfallwagen abgestellt hatte. "Dad hat jetzt endlich einen Mitarbeiter gefunden, der uns hilft", klärte er mich rasch auf und zog den Zündschlüssel ab. "Er hat seit Donnerstag bei uns angefangen."

"Achso", machte ich nur, bevor ich letztendlich mit ihm ausstieg und ihm über den Schotter laufend zur Werkstatt folgte.

Schon von der Ferne aus wehte mir dieser typische Geruch nach Werkstatt entgegen.

Motoröl, Benzin, Gummi und was weiß ich nicht noch alles.

Das alleine reichte aber schon aus, dass ich vor der kleinen Halle unter Tates Wohnhaus wie angewurzelt stehen blieb.

"Was?", fragte dieser mich zugleich überrascht. "Sag nicht, du hast es dir jetzt doch noch anders überlegt." Er zog zur Unterstreichung seiner Worte einen Schmollmund.

"Ich tune deinen bescheuerten Wagen nur unter einer Bedingung", antwortete ich darauf und drehte mich mit verschränkten Armen in seine Richtung.

Gerade noch so konnte er es sich verkneifen, nicht die Augen zu verdrehen. Stattdessen setzte er bemüht eine freundliche Miene auf. "Okay, Honey. Was wäre diese Bedingung?", fragte er schließlich widerwillig.

Ich zog meine Mundwinkel nach oben. "Wir tunen deinen Wagen draußen."

Seine Mundwinkel wanderten in der Zwischenzeit nach unten. "Och nö. Dann muss ich ja das ganze Zeug immer nach draußen schleppen... und wenn wir meinen Wagen am Eingang vom Tor parken? Halb in der Halle drin?" Bittend schaute er mich an.

Seufzend gab ich nach. "Oookaay."

"Perfekt. Ich suche nur schnell den Schlüssel für das zweite Tor, im ersten steht ja bereits ein Kundenwagen. Bis gleich." Damit verschwand er im Dunkeln der Halle, zwischen Maschinen und Autos.

Seufzend vergrub ich meine linke Fußspitze in den Kies, während ich zu dem Knirschen der Steine bei meiner Bewegung lauschte. Irgendwann war es aber so laut, dass das nur unmöglich von meiner Bewegung stammen konnte.

"Was wollen Sie hier? Sind Sie eine neue Kundin? Oder die Besitzerin von dem VW? Wenn ja, das Auto ist noch nicht fertig."

Ach du schande - diese Stimme!

Mein Herz setzte kurzzeitig aus und ich fühlte mich so, als hätte ich vorhin einen Stein bei meinem späten Frühstück verspeist, der jetzt meinen Magen nach unten zog. Immer noch mit dem Rücken zu dieser Stimme blieb ich zu einem Klotz erstarrt stehen.

"Hallo? Wenn Sie kein Kunde sind, dann verlassen Sie bitte umgehend das Gelände." Sein Unterton war scharf und nicht im Entferntesten so verspielt und sanft wie am Mittwochabend.

Mir überlief es eiskalt.

Deswegen kam Tate der Name wahrscheinlich auch so bekannt vor - sein Dad hatte ihm gegenüber bestimmt erwähnt, wer demnächst in der Werkstatt anfangen würde.

Und hier war er.

Hilfesuchend sah ich mich nach Tate um, aber er war nirgends ausfindig zu machen - und die forschen, festen Schritte näherten sich unaufhörlich.

Man man man, warum ist mein Leben nur so?

"Hören Sie schlecht?"

Ich biss mir auf die Lippe und beschloss, dass das Verstecken keinen Sinn mehr machte. Ich würde ihm so oder so öfter über den Weg laufen, wenn er sich gut in der Werkstatt machte. Also drehte ich mich widerstrebend um.

Charon hielt mitten in der Bewegung inne.

Zwei Schritte hätten gefehlt, dann wäre er eh bei mir gewesen.

Seine Augen weiteten sich überrascht etwas und das mir bekannte helle Blau verschlug mir wieder den Atem. In der Sonne sahen diese Augen nicht wie zwei Sterne aus. Eher als würde ich im Inneren von einem riesigen Gletscher stehen und das dicke Eis um mich herum betrachten. Diesen Vergleich zog ich, da ich mir solche Fotos auf Instagram gerne anschaute. Nie hätte ich jedoch gedacht, dass ein Mensch auch so eine Augenfarbe haben könnte.

Seine sehr maskulinen Gesichtszüge wirkten im Tageslicht noch kantiger und härter. Würde ich ihn jetzt zum ersten Mal treffen, könnte ich mir nicht vorstellen, wie es aussah, falls er mal lächeln sollte.

Aber ich hatte ihn schon lächeln sehen, es war also möglich.

Generell fielen mir immer mehr Kleinigkeiten in der hellen Nachmittagssonne auf.

Die Haare an den Seiten seines Kopfes wurden nach unten hin immer kürzer, sodass man am unteren Ende auf die Kopfhaut schauen konnte. Tättowierungen zierten sie. Verschlungene, aber auch abgehackte Muster drehten sich ineinander. Nur auf seinem Kopf direkt waren seine pechschwarzen Haare lang, wie ich es noch von diesem einen Abend in Erinnerung behalten hatte.

Seine Haarspitzen vielen in leichten Wellen und teils Locken auf seine Stirn. So durcheinander wie sie wirkten, hatte er sich anscheinend heute um seine Frisur keine großen Gedanken gemacht. Und trotzdem sah es gut aus.

Neu war mir allerdings der in der Sonne silber aufblitzende Piercing an seiner Unterlippe. Den hatte er letztes Mal nicht getragen.

Der verblüffte Ausdruck auf seinem Gesicht legte sich und seine Lippen verzogen sich zu einem frechen Lächeln, dabei steckte er die Hände in die Hosentaschen seines verschmierten blauen Overalls. Einer seiner Träger hatte er nicht in den dafür vorgesehenen Verschluss reingeschnallt, sodass dieser lässig seitlich herunterhing. Darunter trug er ein weißes Tanktop, was sich wie eine zweite Haut an seine trainierte Brust anschmiegte.

Bloß nicht sabbern, Iva.

"Na sieh mal einer an, dich kenne ich doch. Iva", betonte er meinen Namen genauso wie auch am Mittwochabend. "Hätte nicht gedacht, dass man sich nochmal wiedersieht."

Mein Mund war staubtrocken. "Ich auch nicht", rutschte es mir wie von selbst heraus.

Seine Augen wanderten an mir herunter und blieben an meinen nackten Beinen hängen. Ich hatte mir heute nur eine völlig durchgewaschene graue Shorts und ein dünnes Trägerhemd herausgesucht, da ich sonst in der Hitze kaputt gehen würde. Allerdings ging ich jetzt wegen einer völlig anderen Hitze kaputt, die nichts mit der Sonne zutun hatte.

Er blickte langsam wieder zu mir hoch und öffnete schon seine Lippen, um etwas zu sagen, als ihm jemand zuvor kam.

"Ach, Charon, da bist du also. Weißt du, wo der Schlüssel vom zweiten Tor ist? Ich finde den einfach nicht."



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