10 - Müde

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"Nein."

"Doch."

"Nein."

"Warum denn nein? Sag bitte ja. Bitte."

"NEIN."

In den letzten zehn Minuten hatte ich dieses kleine Wort viel zu oft ausgesprochen. Wie eine Wörterschlange reihte es sich hintereinander immer wieder neu ein und spielte sich in Dauerschleife in meinem Gehirn ab.

Tate sackte in einer viel zu dramatischen Geste auf seinem Stuhl zusammen.

"Jetzt übertreib mal nicht." Tröstend tätschelte ich ihm den breiten muskulösen Rücken. Es fühlte sich nicht anders an, als wenn ich einen warmen Stein abklopfen würde.

Deutlich niedergeschlagen linsten seine Augen zu mir herüber. "Ich übertreibe ja gar nicht. Aber wie kannst du mir diesen Vorschlag, nein, diesen Wunsch nur abschlagen?"

Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und griff nach meinem kalt gewordenen Cappuccino. "Ich finde es einfach langweilig. Zutiefst öde langweilig."

"Wie kannst du sowas bitte langweilig finden?", schnappte er hörbar empört nach Luft. Jetzt hatte er sich wieder zu seiner vollen Größe aufgerichtet, jedenfalls soweit das im Sitzen möglich war.

Nochmals nippte ich an meiner Tasse, ehe ich sie augenverdrehend abstellte. "Tate, das Wetter ist heute total großartig, wir könnten zum Beispiel endlich wieder Tennis spielen."

"Es kann ja auch weiter die Sonne scheinen. Ich kann die Fenster aufmachen und dann haben wir genug frische Luft. Außerdem sind die Tore eh immer weit auf, das heißt, es gibt genug Licht und du kannst deine Sonne bewundern", argumentierte er weiter.

Entnervt schlug ich die Hände über meinen Kopf zusammen. "Tate, darum geht es doch gar nicht. Ich will draußen sein-"

"Bist du doch dann auch theoretisch", entgegnete er trotzig.

"Okay", ich holte tief Luft, um ihn nicht vor Ungeduld, dass er einfach nicht verstand, was ich meinte, anzubrüllen. "Ich sag es jetzt mal auf den Punkt. Ich habe keine Lust, meinen kostbaren Samstag zu vergeuden, um deine Schrottkarre in eurer nach Öl stinkenden Werkstatt zu tunen. Ich interessiere mich nichtmal für Autos, das solltest du langsam mal nach den paar Jahren Freundschaft gemerkt haben", erklärte ich, bemüht, nicht allzu giftig zu klingen.

"Aber Ivaaa-"

"Nein, kein Ivaaa. Ich will einfach nicht. So wie du mit mir niemals shoppen gehen würdest, so würde ich dich genauso ungerne in die Werkstatt begleiten und meine Nasenschleimhöhlen komplett zerstören, sodass ich die nächsten vier Wochen nur Benzin und Öl riechen kann", fiel ich ihm ins Wort.

Er setzte wieder sein freches Grinsen auf, dass ich nur allzu gut von ihm kannte. "Aber du könntest auch die Möglichkeit haben nur Diesel zu riechen oder den Geruch von Duftbäumen zu erschnuppern."

Von Sekunde zu Sekunde genervter, warf ich ihm einen müden Blick zu.

Ich war müde von der Woche, da sich mein Schlafmangel von Mittwoch bis einschließlich heute komplett durchzog. Und wenn ich dann mal im Bett lag, konnte ich an fast nichts anderes als an diesen Club denken. An den anderen Clubbereich, an den Kuss und besonders an Charon und Easton.

Es nervte mich - denn ich war mir sicher, sie verschwendeten wahrscheinlich keinen einzigen Gedanken mehr an mich.

Frustrierend.

Ich war immer wieder kurz davor gewesen, Tate von diesem Kuss zu erzählen und dann hatte ich es doch wieder sein lassen. Er war ebenfalls mit den Ereignissen von diesem Abend noch beschäftigt. Beziehungsweise eher mit Venice, die sich einfach nicht meldete.

Ich war sauer auf sie, obwohl ich sie nichtmal kannte. Schließlich behandelte man meinen besten Freund nicht so.

Stichwort bester Freund - ich war auch müde von dieser Autowerkstattdiskussion. "Ich verzichte", sagte ich also.

"Och Iva."

"Kein Och Iva", äffte ich ihn nach. "Dann frag Cole, ob der Zeit hat. Der schraubt bestimmt gerne mit."

Tate schnaubte wenig begeistert von meiner Idee. "Der schraubt ja lieber an mir herum. Lass mal, da verzichte ich."

"Jetzt lass mal dein homophobes Gehabe nicht zu weit heraushängen."

"Wenns mich betrifft, dann schon." Es herrschte kurz Stille, nur das Geräusch vom laufenden Backofen war zu hören.

Langsam müsste die Pizze auch mal fertig sein-

"Ivaaaaaa."

Erschrocken schaute ich zu meinem Füßen. "Tate, was zur Hölle machst du da? Steh wieder auf. Der Boden wurde gestern schon gewischt."

Er verharrte stur auf seinen Platz, umfasste mit seinen Hände meine Knie und blickte hockend zu mir hoch. "Nur so eine Frage... wie könnte man dich denn umstimmen?"

Die Küchentür öffnete sich weit und mein Vater blieb im Türrahmen stehen. Seine blonden Locken standen in allen Richtungen ab, sein Shirt war vom Schlafen zerknittert und seine zu Schlitzen geformten Augen suchten die Gegend wie oft um diese Uhrzeit nach Kaffee ab.

Allerdings stoppten sie statt bei der Kaffeemaschine bei Tate.

Peinlich.

Seine Augenbrauen wanderten ganz langsam hoch, während Tate stocksteif etwas überrumpelt am Boden sitzen blieb.

Laut räusperte er sich, ehe er mit in die Seite gestämmten Arme anfing zu reden. "Was genau machst du dort, Tate? Ich dachte ihr seid Freunde und jetzt machst du ihr schon einen Heiratsantrag? Zumal dein Gejaule und Gebettel bis ins Schlafzimmer herübergeschwebt ist, was mich aufgeweckt hat. Wenn sie jetzt noch immer nicht ja gesagt hat, dann steh vom Boden auf, das ist ja erbärmlich." Trotz der Verärgerung in seiner Stimme, grinste mein Dad ihn an und zwinkerte ihm kumpelhaft zu.

"Ähhh", machte Tate verdattert, dabei erhob er sich rasch und hätte mit seinem Körper fast den kompletten Tisch angehoben und umgeschmissen. "Mr Westwick, es war nicht so, wie es vermutlich aussah", kratzte sich mein bester Freund verlegen am Nacken.

Mein Dad, der mittlerweile schon an der Kaffeemaschine angekommen ist, drückte auf den Knopf zum Einfüllen der Tasse, bevor er sich mit einem lauten Seufzer umdrehte. "Tate, wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mich um Himmelswillen nicht Mr Westwick, sondern Adam nennen sollst?"

"Ich... ich werde es mir bestimmt bald merken."

Amüsiert verdrehte ich meine Augen.

Wird er eh nicht.

Tate hatte oft einen viel zu großen Respekt vor Dad und deshalb verfiel er oft in die Schiene, diese förmliche Anrede zu benutzen.

Mein Dad lächelte ihn erneut an. "Und ich weiß auch, dass du mit meiner Tochter unbedingt in die Werkstatt fahren willst - aber du kannst sie mal schön ruhig selbst umstimmen." Im Vorbeigehen strich er über meinen Kopf, dann war er mit seiner dampfenden weinroten Lieblingskaffeetasse außer Sichtweite.





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