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- Mona -

Ich fasse es nicht…
Ich fasse es einfach immer noch nicht…

Voller Abscheu betrachte ich die Kleider, welche Wilhelmine mit mitfühlenden Blicken in meine Richtung vor zwei Tagen aus der schwarzen Tasche herausgeholt hat und die seitdem ohne bisherige Beachtung meinerseits fein säuberlich vor den geschlossenen Türen meines Kleiderschrankes hängen und vor sich hin verstauben.

Kein Wunder.

Was den Kleidungsstil betrifft, könnten meine Mutter und ich wohl kaum unterschiedlicher sein, so wie in allem anderen auch…

Während ich einen lockeren, fast schon leger wirkenden Geschmack in Sachen Mode habe, bevorzugt meine Mutter eher den klassisch eleganten Auftritt, mit welchem sie sich gegenüber den gehobenen Mitgliedern der Gesellschaft entsprechend präsentieren kann.
Und diese Intention spiegelt sich auch eindeutig in der Wahl der an meinem Schrank hängenden Kleider wider.

Dieser Schnitt…
Diese Farben…
Diese…diese ganze Ausstrahlung…

Angewidert verziehe ich das Gesicht und spüre, wie sich kleine gekräuselte Falten tief in meine Nase graben.

Wenn meine Mutter ernsthaft erwartet, dass ich zu diesem verfluchten Abendessen in einem von diesen umfunktionierten Zirkuszelten aufkreuze, kann sie das vergessen!
Es ist schon schlimm genug, dass ich überhaupt dorthin muss!
Und alles nur, weil Großvater und sie nicht einsehen wollen, dass ich nicht…dass ich niemals…ach, verdammt!

Mit einer Mischung aus Wut und Frustration schnaube ich auf und stoße mich von der gegenüberliegenden Wand meines Zimmers ab, um mit festen Schritten auf meinen Kleiderschrank zuzustapfen.

Dort angekommen reiße ich die sorgfältig aufgehängten Kleider von den Bügeln an den Schranktüren ab und stopfe sie wild zusammengeknüllt wieder zurück in die immer noch vor dem Schrank liegende Tasche.
Das Geräusch des sich schließenden Reißverschlusses, als ich diesen grob zuziehe und so die Tasche verschließe, schrillt in meinen Ohren, ehe diese kurz darauf von einem dumpfen Aufprallgeräusch eingenommen werden, als ich eine der Schranktüren aufziehe und die nun verschlossene Tasche dort unsanft hineinwerfe.

So…das hätten wir…

Ich schnaube noch einmal kräftig durch und werfe die Schranktür scheppernd zu, nur um im Anschluss daran mit dem Rücken dagegen zu lehnen.

Soll meine Mutter doch versuchen, mich dazu zu zwingen, diese abgrundtief hässlichen Kleider anzuziehen!
Soll sie doch weiterhin die Nase darüber rümpfen oder sich darüber echauffieren, dass ich mich für Frauen interessiere, anstatt ganz gesellschaftskonform für Männer!
Nur zu!
Soll sie doch!
Mir ist das egal!
Vollkommen egal!
Ich konnte es ihr doch noch nie recht machen, also warum sollte ich jetzt damit anfangen?!
Nein, das ist mein Leben!
Und das lasse ich mir nicht länger von ihr kaputt machen!

- Romy -

Nur mit Mühe unterdrücke ich das stolze Lächeln, als ich meine fein säuberlich mitgeschriebenen Unterlagen zu einem geordneten Stapel zusammenschiebe und in meiner dunkelbraunen Umhängetasche verschwinden lasse, während mir immer noch ein paar Bruchstücke der anerkennenden Worte von Professor Reinartz über meine Antwort durch den Kopf hallen.

Schlüssiger Argumentationsaufbau…
Eloquente Ausdrucksweise…
Korrekte Anwendung spezifisch definierter Fachbegriffe…

Vergnügt lache ich in mich hinein und erhebe mich von meinem Platz, während die übrigen Studenten um mich herum ebenfalls ihre Schreibblöcke und Ordner wegpacken und ohne sich großartig umzusehen im Eiltempo aus dem Hörsaal nach draußen verschwinden.

Zumindest die meisten Studenten, denn ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich den intensiven giftigen Blick, den Katja mir ein paar Sitzreihen vor mir aus schmal geformten Augen zuwirft, nicht bemerken würde, bevor sich meine werte Kommilitonin mit einem demonstrativen Naserümpfen abwendet und hoch erhobenen Hauptes davon stolziert.

Ihr werden die an mich gerichteten lobenden Worte seitens Professor Reinartz sicherlich nicht gefallen haben.
Insbesondere, nachdem er sie nur ein paar Minuten zuvor für ihre schwache und recht dürftige Antwort kritisiert hatte.
Aber gut, dass sollte nicht meine Sorge sein…

Ich seufze tief und schiebe mich an den hochgeklappten Stühlen der Sitzreihe vorbei, bis ich schließlich aus dieser hinaus auf den breiten Treppenmittelgang trete, dessen Stufen ich in beschwingtem Tempo hinabsteige.

Um ehrlich zu sein bin ich schon ein wenig überrascht, wie zufrieden Professor Reinartz mit meiner Antwort gewesen ist.
Gerade weil ich diese auch noch ungewollt gegeben habe, da er mich einfach so willkürlich und spontan während der Vorlesung ausgewählt hatte.

Und auch wenn Zoe und Imke diese Zweifel meinerseits nun wieder auf meine angeblich zu ausgeprägte Bescheidenheit oder mein vermeintlich brüchiges Selbstvertrauen schieben würden, kann ich dem Ganzen nicht unbedingt zustimmen.

Nein, ich bin wirklich einfach nur immer wieder aufs Neue verblüfft, wie sehr mir dieser medizinische Bereich doch scheinbar liegt.
Und das, wo ich doch all die Jahre über fest davon überzeugt gewesen bin, dass meine Interessen und Begabungen sich ausschließlich auf die Musik und mein Gegenspiel beziehen würden…

Aber so sehr, wie mein Vater mir das nach Mamas Tod eingeredet hat, ist das ja auch nicht besonders verwunderlich…

Bemüht schlucke ich den sich bildenden Kloß in meinem Hals hinunter und trete aus dem mittlerweile leeren Hörsaal hinaus auf den ebenso leeren Unikorridor.

Wärmend strahlt das Licht der spätnachmittäglichen Sonne durch die hohen Glasfensterscheiben, welche die rechte Seite des Ganges säumen und durch die man einen hervorragenden Blick über das Campusgebäude und die übrigen Fakultäten werfen kann.

Beispielsweise auf das Gebäude aus burgunderroten Ziegeln zwischen den beiden großen Eichen, in welchem Zoe einen großen Teil ihrer Lehramtsvorlesungen hat, genauso wie vermutlich auch Mo-…

Nein!

Ich kneife meine Augen fest zusammen, um meine Gedanken an der Vollendung dieses Namens zu hindern, was jedoch nicht wirklich von Erfolg gekrönt ist, da sich sogleich das fast schon zu vertraute Bild eines wunderschönen grünen Augenpaares vor meinen geschlossenen Augenlidern bildet.

Verdammt nochmal!

Was hat diese Frau nur an sich, dass ich sie einfach nicht aus dem Kopf bekomme?!
Das ist doch zum…arrgh!

Verärgert stampfe ich im Gehen auf und schnaufe tief durch, ehe ich meine Augen wieder öffne und meinen Kopf straffenden Schultern hebe.

Was soll’s?
Dann denke ich eben an sie.
Umso mehr ich mich dazu zwinge, es nicht zu tun, umso präsenter wird sie in meinen Gedanken, also warum sollte ich nicht einfach mal die umgekehrte Strategie probieren?
Genau!
Wer weiß, vielleicht verschwindet sie dann ja auch endlich aus meinen Gedanken und ich kann mich wieder vollkommen auf mein Studium kon-…

Meine Gedanken verstummen und ich bleibe stocksteif in meiner Bewegung stehen, als ich gerade um die Ecke in einen der linken Nebengänge abbiegen möchte und nun vollkommen fassungslos auf das sich vor mir abspielende Schauspiel blicke.

Ich kann mich nicht bewegen, nicht einmal die kleinste Regung oder Zuckung eines Muskels vollführen, während ich mit vor Entgeisterung geweiteten Augen Lea anstarre, die mit mir in den Vorlesungen von Professor Reinartz sitzt.

Lea, die mitten auf dem sonst leergefegten Gang steht und mir den Rücken zuwendet.
Lea, deren dezentes Stöhnen durch Monas Lippen gedämpft wird, welche sich fest auf ihre pressen, während Mona ihre Hände besitzergreifend an Leas Taille platziert hat.

Mona...

Mona, die immer wieder mit fliegenden Fingern über Leas Seiten streicht und ihr dadurch mit Sicherheit gänsehautartige Schauer bereitet.
Mona, deren Lippen sich forsch, aber dennoch etwas träge gegen Leas Lippen bewegen, so als wäre sie nicht vollständig bei der Sache.

Und dann Monas Augen…

Monas Augen, die genießerisch geschlossen sind…
Monas Augen, dessen Lider mit einem Mal flackern und sich langsam öffnen…
Monas Augen, die über Leas Schulter meinen Blick finden…und halten…

Leben Auf Abwegen (Mona & Romy - Band 2) (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt