# 3

821 78 8
                                    

- Mona -

Schweigend betrachte ich Wilhelmine durchs Küchenfenster, wie sie mit gemächlichen Schritten über den Bürgersteig hinweg schreitet und seufze tief auf, als ihre rundliche Gestalt schließlich um die nächste Straßenecke herum verschwindet.

Sieht so aus, als wäre ich wieder allein…

Nicht dass es mich stören würde.
Ganz im Gegenteil.
Ich habe gerne meinen eigenen Raum, in dem ich ganz für mich bin.
In dem ich so sein kann, wie ich wirklich bin und ohne jemandem dafür Rechenschaft
schuldig zu sein…so wie früher…

Fast vergessene Erinnerungen drängen sich von meinem Gedächtnis in meine Gedanken und ich verziehe das Gesicht, als ich mit einem energischen Kopfschütteln versuche, sie wieder loszuwerden.

Erinnerungen an meine unliebsamen Jahren an der Privatschule und die Lehrer, die nicht müde wurden, mir das Leben zur Hölle zu machen.
Erinnerungen an die brüskierte Reaktion meines Großvaters, als ich mich, getrieben von dem Wunsch anderen Kindern und Jugendlichen eine solche Behandlung zu ersparen, nach meinem Abschluss an einer Uni eingeschrieben habe, um Lehrerin zu werden, anstatt einen wirtschaftlich geprägten Studiengang zu verfolgen, so wie es der Wunsch…oder vielmehr die Erwartung… meines Großvaters gewesen ist.
Und natürlich auch Erinnerungen an meine Mutter…

Mein Magen zieht sich zusammen und ich schnaufe tief durch, während ich mir gleichzeitig mit einer Hand durch die Haare fahre.

Schluss jetzt!

Was hat es für einen Sinn alte Schatten aus der Vergangenheit wieder aufleben zu lassen?
Genau, gar keinen!
Und deshalb sollte ich jetzt auch damit aufhören und mich stattdessen auf den heutigen Tag konzentrieren.
Und natürlich auch auf die Party heute Abend…

Mit einem Mal ist der Druck in meinem Magen wie verschwunden und ich spüre, wie sich nach und nach ein leichtes Schmunzeln auf meinen Lippen bildet.
Und da fällt mir ein, dass ich hierzu ja heute noch einer ganz besonderen Person einen Besuch abstatten muss…

- Romy -

„Kannst du die neuen Gäste draußen an Tisch vier übernehmen, Romy?“

„Klar“, erwidere ich und nicke Heidi, der Besitzerin des Cafés, bestätigend zu, während ich mich mit Block und Stift bewaffnet auf den Weg nach draußen auf die Terrasse mache, nur um kurz darauf in meiner Bewegung schlagartig innezuhalten.

Oh nein…

Warum denn ausgerechnet…ach, verflucht!

Nur mit Mühe schaffe ich es einen leisen Fluch zu unterdrücken und zwinge mich stattdessen zu meinem klassischen Cafélächeln, ehe ich mit einem kurzen, aber entschlossenen
Schulterstraffen an den Tisch auf der Terrasse trete.

„Einen wunderschönen guten Morgen. Was darf ich euch bringen?“

„Ist es in diesem Etablissement nicht üblich, dass die Kunden gesiezt werden?“

Das ist ja mal wieder typisch...

Nur mit Mühe verkneife ich mir den Kommentar, dass ich Katja und ihre abgehobene Art auf einer nahezu täglichen Basis im Hörsaal ertragen muss und sich derartige Förmlichkeiten dadurch eigentlich erübrigen sollten.

Stattdessen erwidere ich das ungetrübt künstliche und fast schon hämische Lächeln meiner blonden Kommilitonin, wohingegen das Lächeln ihrer beiden Begleiterinnen eher ein wenig dümmlich wirkt.

„Aber selbstverständlich“, sage ich mit aller Professionalität, die ich in diesem Moment zusammenraffen kann und lächle noch ein wenig breiter, „was darf ich Ihnen bringen, meine verehrten Damen?“

„Schon besser.“ Während Katja mit einem überlegenen Lächeln ihre Brille zurechtrückt und in aller Seelenruhe weiterhin die mehr als übersichtliche Karte des Cafés in ihren Händen studiert, klopfe ich derweil mit der Spitze meines Stiftes auf den kleinen Schreibblock.

Das macht sie doch wieder mit Absicht.
Sie will mich nur provozieren.
Sie will demonstrieren, dass sie etwas Besseres ist als ich.
So wie immer…

Um uns herum stehen derweil ein Pärchen und eine ältere Dame von ihren jeweiligen Tischen auf, während gleichzeitig zwei Herren im Anzug nach einem freien und vor allen Dingen tassen- und tellerfreien Tisch Ausschau halten.

Wenn ich mich nicht bald in Bewegung setze und einen der beiden Tische freiräume, werden die zwei Herren sicherlich wieder gehen.
Und das wird Heidi ganz bestimmt nicht gefallen.
Mal ganz abgesehen davon, dass ich hier wie bestellt und nicht abgeholt herumstehe und mit der Kugelschreibermine noch ein Loch ins Papier drücke…

Katja hingegen lässt sich davon nicht beeindrucken und dreht zum mittlerweile dritten Mal die beidseitig bedruckte Getränkekarte in ihren Händen um, wohingegen ihre Begleiterinnen diese mit einem Blick mustern, als wäre sie in Keilschrift geschrieben.

Na super…
Wenn das so weiter geht, stehe ich noch bis zum Schichtende hier…

„Wenn Sie mich für einen kurzen Moment entschuldigen würden“, sage ich schließlich, als Katja erneut ihre Brille demonstrativ zurechtrückt, und klemme meinen Stift an meinen Schreibblock, welchen ich wiederum an meinem Hosenbund festmache, bevor ich mich von Katjas Tisch wieder abwende.

„Moment mal!“, protestiert Katja und ich kann das leise Aufseufzen nicht verkneifen, als ich mich wieder zu ihr umdrehe, „was ist das denn hier für ein Service? Sie können doch nicht
einfach gehen! Wir haben ja noch gar nicht bestellt! Was für eine Kellnerin sind Sie eigentlich?!“

„Eine, die um das Wohl aller Gäste besorgt ist“, entgegne ich und wende mich wieder von Katja, um den beiden Herren freundlich zuzulächeln, als ich einen der freigewordenen Tische abräume und warte, bis sie sich ebenfalls lächelnd gesetzt haben.

„Das ist aber sehr aufmerksam von Ihnen, junge Dame. Vielen Dank.“

„Nicht dafür“, erwidere ich und balanciere in geübter Manier diverse übereinander gestapelte Tassen und Teller, „wissen Sie schon, was ich Ihnen bringen darf?“

„Oh, ich hätte gern einen Cappuccino.“

„Und für mich ein Latte Macchiato“, sagt der zweite Herr, der neben dem ersten Herrn Platz nimmt und sich mit einem verschwörerischen Lächeln zu mir vorlehnt, „und wenn es möglich ist, mit extra viel Milchschaum.“

„Sehr gern.“ Mit einem charmanten Nicken drehe ich meinen Kopf wieder zu Katja und ihren Begleiterinnen. „Und was darf es für Sie drei sein?“

„Äh, wir…ähm“, setzt Katja an und schaut zu den anderen beiden jungen Frauen, die die Karte des Cafés immer noch ein wenig befremdlich mustern, woraufhin ich erneut kurz nicke.

„Wissen Sie was, lassen Sie sich einfach alle Zeit der Welt. Ich mache unterdessen die Bestellung der beiden Herren hier fertig und sie drei rufen mich einfach, wenn Sie soweit sind…“

Ich muss mich arg zusammenreißen, um nicht aufzulachen, als ich das verärgerte Beben von Katjas Nasenflügeln und den funkelnden Blick ihrer schmaler werdenden Augen bemerke, als ich mich vollständig von ihrem Tisch wegdrehe.

Tja, vielleicht beim nächsten Mal, Katja…

Leben Auf Abwegen (Mona & Romy - Band 2) (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt