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- Mona -

Mit zufriedener Miene straffe ich meine Schultern und mustere mein Spiegelbild noch einmal mit einer Drehung zu beiden Seiten, ehe ich mir selbst abschließend zunicke.

Wer hätte gedacht, dass meine Lieblingsjeans in Kombination mit einem bauchfreien Top und der locker sitzenden Jacke meines älteren Cousins Simon ein derart perfektes Outfit für einen Jahrmarktsbesuch abgeben würden?
Nicht zu schlicht, aber auch nicht zu aufgedonnert.
Gemütlich und vielversprechend zugleich.
Und das allerbeste an dem Outfit…es lässt sich recht kompliziert wieder ausziehen…

Mein Lächeln im Spiegel nimmt wissende Züge an und ich kann ein fast schon kindliches Kichern der Vorfreude nicht unterdrücken.

Das wird ein Spaß.
Ich bin gespannt, wie Romy darauf reagieren wird.
Und noch viel gespannter, mit was für einem überflüssigen Stoffstück sie ihren überaus reizvollen Körper verdecken wird…zumindest für den späten Nachmittag und frühen Abend…

Aber nicht nur das…

Die Tatsache, dass Romy schon so lange keinen Jahrmarkt mehr besucht hat, wie sie mir in unserer Unterhaltung vor ein paar Tagen erzählt hatte, hatte mich doch nachdenklicher gestimmt, als ich anfangs geglaubt hätte.
Insbesondere, als ich den Schatten, der sich dabei über ihre wunderschönen blauen Augen gelegt hat, bemerkt habe.

Denn auch wenn Romy mir bislang noch nicht viel über ihre Kindheit erzählt hat, scheint diese nicht unbedingt die leichteste gewesen zu sein.

Besonders nach dem Tod ihrer Mutter, als der Ehrgeiz ihres Vaters, aus ihr eine professionelle Violinistin zu machen, keine Grenzen kannte und Romy viele Wochen, Monate und Jahre mit dem stundenlangen Lernen und Üben an einer Musikakademie verbringen musste, wodurch sie mehr und mehr die Freude am Spielen verloren hat, was bei ihrem Talent eine absolute Schande ist und fast schon einem Verbrechen gleichkommt…

Das abrupte Türklingeln, welches durch den Flur und weiter in mein Schlafzimmer dringt, lässt mich für einen Moment erschrocken zusammenzucken, bevor ich mit einem verwunderten Blick auf meine Armbanduhr die Augenbrauen hebe.

Ursprünglich hatten Romy und ich zwar vereinbart, dass wir uns erst in einer guten Stunde treffen würden, aber wenn sie jetzt schon da ist, würde ich sie ganz sicher nicht vor der Tür stehen lassen.
Zumal man diese überschüssige Zeit mit Sicherheit auch mit anderen Aktivitäten füllen könnte…

Ein verschlagenes Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen, welches nur noch breiter wird, als es ein weiteres Mal an der Tür klingelt.

„Ja, doch. Ich bin ja schon auf dem Weg“, rufe ich und kann dabei den freudigen Unterton in meiner Stimme nicht unterdrücken, als ich mich von dem Anblick meines grinsenden  Spiegelbildes löse, um durch den Flur der Wohnung zu schlendern und im Anschluss daran die Tür mit dem wohlbekannten Knarzen aufzuziehen.

„Na, endlich! Das wurde aber auch höchste Zeit!“, schnaubt mir meine Mutter vorwurfsvoll entgegen, während sie energisch mit den Nägeln ihrer fein manikürten Hände auf den Deckel ihrer Lacklederhandtasche trommelt.„Hättest du vielleicht die Güte mir zu verraten, weshalb du an einem derart wichtigen Tag so lange benötigst, um zur Tür zu kommen? Und dann auch
noch in dieser…mehr als unangebrachten Erscheinung? Was mich auch gleich zu der Frage führt, weshalb du dich in Gottes Namen noch nicht fertig gemacht hast?“

Wichtiger Tag?
Fertig machen?

„Ich…ähm“, setze ich stammelnd an, als ich entgegen meiner Erwartung, Romy vor der Tür zu treffen, meine naserümpfende Mutter vor der Tür betrachte, „von welchem wichtigen Tag sprichst du bitte?“

„Von dem Abendessen mit dem Geschäftspartner deines Großvaters und seinem Sohn Ludwig.“

„Das ist heute?!“

„Als ob dir das nicht bewusst gewesen wäre“, entgegnet meine Mutter spöttisch und bedenkt mich erneut mit einem abfälligen Blick, „ich dachte mir schon, dass du alles daran setzen würdest, um dich so effektiv wie möglich vor diesem Abendessen zu drücken, weshalb ich Martin auf seiner Abholtour zu dir auch begleitet habe. Er wartet unten im Auto auf uns und ich werde ihm Bescheid geben, dass es noch ein wenig Zeit in Anspruch nehmen wird, bis wir zu ihm hinunterkommen werden und er uns ohne weitere Umwege zum Restaurant fahren kann.“

„Aber…“, mein Hals schnürt sich vor wachsender Hilflosigkeit zusammen, während meine Gedanken zwischen diesem verfluchten Abendessen und meinen ursprünglichen Jahrmarktbesuchsplänen mit Romy hin und her springen, „aber, Mutter…ich wollte heute eigentlich…“

„Keine Widerrede, Mona“, unterbricht mich meine Mutter mit strengem Blick, bevor sie zweimal kräftig in die Hände klatscht „Und jetzt Abmarsch, junge Dame. Wir müssen dich dem Anlass angemessen herrichten und haben keine Zeit zu verlieren.“

- Romy -

Merkwürdig…

Mit gerunzelter Stirn drücke ich zum dritten Mal auf den Klingelknopf neben Monas Wohnungstür und klopfe sogar einmal kurz gegen das dunkle Holz, allerdings ohne auch nur die geringste Regung dahinter zu bemerken.

Wirklich merkwürdig…

Grübelnd lasse ich meine Hand wieder sinken und schaue stattdessen auf die Armbanduhr an meinem Handgelenk, nur um kurz darauf die angehaltene Luft in meinem Brustkorb in Form eines tiefen Seufzers auszuatmen.

Mona weiß doch, dass wir seit etwa zehn Minuten verabredet sind…
Warum ist sie also nicht da?

Ob sie irgendwo aufgehalten wurde?
Ist ihr etwas dazwischengekommen?
Aber dann hätte sie mir doch eigentlich Bescheid gesagt oder zumindest einen anderen Treffpunkt vorgeschlagen…

Oder hat…hat sie es schlicht und einfach vergessen?
Vielleicht hat sie sich spontan etwas anderes vorgenommen…oder jemand anderen…

Der Gedanke an diese mögliche Option schnürt mir den Hals zu und ich kann nicht verhindern, dass sich die Züge in meinem Gesicht für einige Augenblicke zu einer missgünstigen Fratze verziehen.

Nur weil wir uns mittlerweile auf einer fast schon regelmäßigen Basis sehen, ist es mir nicht entgangen, dass Mona sich nach wie vor noch mit anderen Frauen trifft, zumal sie daraus auch nie ein aktives Geheimnis gemacht hat.
Aber nichtsdestotrotz ist es komisch, wenn ich mit Zoe und Imke oder auch alleine in der Stadt unterwegs bin oder im Café arbeite und dabei Mona in Gesellschaft einer anderen Frau
sehe.
Wie sie miteinander reden und lachen und vor allen Dingen die Blicke, die bislang alle Frauen dabei Mona in regelmäßigen Abständen zugeworfen haben…

Der wachsende Druck umschließt meinen Hals noch etwas fester und verlagert sich mehr und mehr auf meinen Brustkorb, bis ich es kaum mehr aushalte und mir durch ein kräftiges Räuspern etwas Luft verschaffe.

Dann werde ich wohl warten.
Warten bis Mona zurückkommt…sofern sie denn zurückkommt…

Leben Auf Abwegen (Mona & Romy - Band 2) (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt