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Das Spiel war nicht einmal eine Minute vorbei, da wurde der Räuber wieder vor meinen Augen von seinem Halsband erschossen. Schockiert sah ich die Leiche auf dem Boden an. "Ist alles okay?" Chishiya kniete sich zu mir runter und legte seine Hände auf meine Schultern. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und konnte ihm direkt in die Augen gucken. Er sah mich fragend an und ich konnte nicht anders reagieren, als ihn zu umarmen. Erst wirkte er überrascht, dann jedoch erwiderte er meine Umarmung. Meine ganze Anspannung fiel in dieser Sekunde von mir ab.

Als wir uns dann lösten, kam eine kurze, fast schon peinliche, Stille auf. "Entschuldigung, ich wollte dir nicht zu Nahe kommen", sagte ich dann und stand auf. "Alles in Ordnung. Ich freue mich auch, dass wir noch leben", entgegnete er. Wir nickten uns beide zu und verließen dann das Gebäude. Kurz bevor wir das Auto ansteuerten, ertönte eine Frauenstimme hinter uns. "Entschuldigt bitte", sagte sie und wir drehten uns zeitgleich um. "Ich habe euch beim Spiel beobachtet. Ich habe meinen Freund leider beim letzten Spiel verloren", erzählte sie und ihre Stimme wurde brüchig. Ich wollte gerade einen Schritt auf sie zugehen, da fing sie sich wieder. "Eure Beziehung erinnert mich sehr an meine, denn ihr habt super zusammen gearbeitet, alles war so vertraut. Ich hoffe, dass ihr noch lange zusammen sein werdet und wollte euch viel Glück in dieser Welt wünschen", brachte sie ihren Satz zu Ende und wischte sich die Tränen von der Wange. "Danke, aber.." "Vielen Dank. Wir wünschen dir auch viel Glück in dieser Welt und sprechen dir von Herzen unser Beileid aus", unterbrach ich Chishiya. Die Frau nickte, dann ging sie fort.

"Wieso hast du mich unterbrochen? Ich wollte nur die Wahrheit sagen." "Du bist sehr schlau, Chishiya und sehr gut in den Spielen, aber was Gefühle betrifft, musst du noch viel lernen. Es ist doch ganz egal, ob wir ein Paar sind oder nicht. Diese Frau hat in uns einen Teil von sich und ihrem verstorbenen Partner gesehen. Wenn ihr das bei der Verarbeitung hilft, dann lassen wir sie in diesem Glauben. Uns schadet es doch nicht, oder?" Chishiya schnaufte, dann stiegen wir ins Auto ein.

Im Beach zurück trennten sich unsere Wege schnell, nachdem wir noch gemeinsam die Spielkarte abgaben. Ich zog mir gerade wieder einen Bikini an, damit ich nicht gegen die Regel verstieß, da klopfte es an der Tür. "Herein", sagte ich und Aguni trat ein. Schweigend setzte er sich auf mein Bett, ich setzte mich neben ihn. So saßen wir dort für eine Weile und starrten beide die Wand an. Das haben wir früher schon immer getan, wenn wir uns gestritten haben und versuchten, uns wieder auszusprechen.

"Ich bin froh, dass du noch lebst", brach er das Schweigen. "Glaub mir, ich auch", stimmte ich zu und dadurch lachten wir beide kurz. "Ein Pik 8 Spiel. Die Karte hat uns noch gefehlt. Takeru hat sich sehr gefreut." "Chishiya und ich haben uns auch gefreut." "Erzähl mir von dem Spiel." Aguni neigte seinen Kopf in meine Richtung. "Interessiert dich das wirklich?" Ich blickte ihm in die Augen. "Mich interessiert, was dich bewegt, also ja", nickte er. "Es wirkte erst gar nicht wie ein Pik 8 Spiel. Wir waren alle in einem großen Raum. Das Spiel hieß Räuber und Gendarm, das Ziel war es die Gegenstände der Räuber zu finden und in die Kiste zu legen." Aguni legte seine Stirn in Falten. "Das schwierige dabei war, dass der Raum mit verschiedenen Fallen ausgestattet war. Ist man zum Beispiel auf einen Knopf getreten, wurde man erschossen." Ich schluckte kurz. "Am Ende, beim letzten Gegenstand, schoss ein Räuber auf mich. Ich warf Chishiya den Gegenstand zu und sprang auf den Räuber drauf. Ich hatte Todesangst, aber habe es geschafft, ihn lang genug abzulenken, damit Chishiya den letzten Gegenstand in die Kiste legen konnte. Dann haben wir gewonnen." "Das ist meine kleine Schwester", lachte er und legte dabei seinen Arm um meine Schultern, zog mich etwas näher zu sich und ich lachte mit.

"Aguni?", fragte ich dann und er sah mich an. "Wenn Chishiya nicht gewesen wäre, wäre ich jetzt nicht hier. Er hat mich davor bewahrt, von Pfeilen durchbohrt zu werden und hat das Versteck von dem Schlüssel der Tür, hinter der sich der letzte Gegestand befunden hatte, gefunden. Er hat mir seine gesamte Vorgehensweise erklärt und hat versucht, mich zu beruhigen. Er geht mit einem unglaublichen Feingefühl an die Spiele ran und weiß genau, wie man überlebt. Ich glaube nicht, dass es eine dumme Idee war, mit ihm zu spielen", erklärte ich meine Sichtweise, doch er sagte nichts. "Ich glaube, man kann ihm Vertrauen", fügte ich hinzu. "Du hast Recht Saskia, du bist alt genug, um deine eigenen Entscheidungen zu treffen und ich akzeptiere das. Ich habe doch nur Angst, dich wieder zu verlieren, nachdem ich dich erst gefunden habe. Vergiss bitte nicht, dass ich schon etwas länger hier bin." Agunis Augen drückten dasselbe wie seine Worte aus. Ich konnte deutlich erkennen, dass ihm der Streit heute Morgen leid tat. "Ist alles schon vergessen", sagte ich und umarmte ihn dann.

Nach dem Gespräch verließ Aguni den Raum. Ich ging zum Fenster und konnte von dort aus den Poolbereich vom Beach sehen. Dank dem heutigen Spiel hatte ich nun viele Tage auf meinem Visum und Chishiya ging es ähnlich. Beim beobachten der Menschen musste ich außerdem an Arisu, Karube, Chota und Saori denken. Wie es ihnen wohl geht? Welche Spiele sie gespielt haben? Ob sie überhaupt noch leben? Bestimmt, denn ich glaube, dass man alle vier schnell unterschätzen könnte. Trotzdem würde ich sie alle gerne wieder sehen. Ob sie irgendwann auch zum Beach finden werden?

Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu und ich entschied mich dafür, mich in mein Bett zu legen, anstatt nochmal zum Pool zu gehen. In den letzten Tagen passierte so viel Gutes und Schreckliches gleichzeitig. Ich war teilweise viele Stunden wach, hatte wenig Schlaf und brauchte jetzt einmal einen Moment Ruhe, um all das bisher Erlebte zu verarbeiten.

Magical Hearts » Chishiya || Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt