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Ich weiß nicht, wie lange ich vor dieser Kerze saß, weinte, schrie, völlige Verzweiflung in mir spürte und an meinen Bruder dachte. Ich dachte daran, wie wir uns als Kinder und Teenager stritten, uns beinahe gehasst haben. Daran, wie uns der Tod unserer Eltern näher zueinander brachte, was wir seitdem alles erlebt haben, wie wir fast eins zusammen waren. Wie wir uns immer aufeinander verlassen konnten, wie wir uns bei dem Jäger-Spiel wieder fanden. Ich dachte an sein Lachen, an seine warme Ausstrahlung, die er hatte, wenn er mich in den Arm nahm. Und neben all den schönen Erinnerungen, kommen immer wieder die selben schlimmen Bilder in meinen Kopf. Wie er Arisu beinahe tot prügelte, weil er in seinem eigenen Hass und Zorn versunken war. Wie er dann im Feuer verschwand, als er merkte, dass er so nicht mehr Leben und es besser machen will.

Ich schreckte auf, als ich etwas zu Boden fallen hörte und blickte hinter mich. Chishiya stand in der Tür und sah mich an, schnell wischte ich mir meine Tränen weg. "Es tut mir leid, ich wollte dich nicht stören", entschuldigte er sich. "Wie lange stehst du schon da?" "Sagen wir lange genug, um dir bei deinen Worten zu zu hören." Ich blickte zu Boden, drehte mich wieder zur Kerze um. Ich hörte, wie Chishiya auf mich zugelaufen kam, dann kniete er sich zu mir und legte seine Hand auf meine Schulter. "Das waren sehr schöne Worte von dir", sagte er sanft, woraufhin ich leicht lächelte. "Eigentlich ist das ein Ritual von Aguni und mir. Jedes Jahr, am Todestag unserer Eltern, haben wir eine Kerze aufgestellt, fest an sie gedacht, die Kerze angezündet und dann unsere Gedanken ausgesprochen. Er hat dieses Ritual eingeführt, um mir bei der Verarbeitung zu helfen. Als ich die Kerze im Schrank sah, musste ich dasselbe für ihn tun", erzählte ich, noch immer mit einem Lächeln auf meinen Lippen. "Ich bin mir sicher, dass er sich sehr darüber freut, dort, wo er jetzt ist. Und er wird auf dich von dort aus aufpassen. Er ist immer noch dein Bruder", sprach Chishiya. Ich blickte währenddessen in die Flamme der Kerze. "Er hat mich alleine gelassen", sagte ich dann und erneut liefen mir Tränen über mein Gesicht. "Er hat dafür gesorgt, dass du weiterleben kannst", entgegnete Chishiya. "Du und deine Freunde", fügte er hinzu. Ich sagte nichts, sondern ließ mir seine Worte durch den Kopf gehen. "Außerdem bist du nicht alleine", murmelte er dann. Ich richtete meinen Kopf auf, sah ihn an. "Was meinst du?", fragte ich.

"Auch, wenn dein Schmerz gerade unendlich groß ist, bist du nicht alleine. Du hast Arisu, Usagi, Kuina und.. du hast mich." Er beendete seinen Satz zögerlich, sah mir dann in die Augen. "Chishiya", wollte ich gerade anfangen, zu sprechen, doch er unterbrach mich: "Nein, lass mich bitte kurz sprechen. Ich weiß, wie egoistisch mein Plan war. Ich habe nur an mich gedacht. Ich habe nicht daran gedacht, was ich damit anderen Menschen antun könnte, dass ich sie verletzen könnte. Ich wollte dich nie hintergehen Saskia, um ehrlich zu sein, habe ich einfach nicht soweit gedacht. Es tut mir leid, was ich gemacht habe und was passiert ist, es tut mir aufrichtig leid. Wenn du willst, wenn du es zu lässt, dann bist du nicht alleine. Dann hast du mich an deiner Seite und gemeinsam können wir es schaffen, in die reale Welt zurück zu kommen." "Während Chishiya sprach, griff ich an meine Kette, die er mir schenkte. Ich spürte die Form des Herzens und dachte an seine Worte: "Damit ist mein Herz immer bei dir und du bist nie allein."

Wir sahen uns in die Augen, meine Finger berührten immer noch die Kette. Niemand sagte etwas, es war still um uns herum. "Ich", fing ich an, doch stockte. Chishiya sah mich fragend an, dann nickte ich: "Ich verzeihe dir." Chishiya schreckte etwas zurück. Es schien, als müsste er meine Worte erst verarbeiten, doch dann kam er mir näher. Kurz bevor sich unsere Lippen berührten, sahen wir uns noch einmal an. Er zögerte, doch ich schloss die letzte Distanz zwischen uns. Der Kuss war ruhig, gefühlvoll und leidenschaftlich zu gleich. Nachdem sich unsere Lippen trennten, lächelte ich ihn an. "Möchtest du wieder offiziell mein Partner sein?", fragte ich. "Klar", antwortete er, so cool, wie er es sonst tat. Ich lachte, dann küssten wir uns noch einmal.

"Usagi und Kuina sind vor einer Weile wieder zurück gekommen. Komm, wir sollten etwas Essen und dann Schlafen gehen. Wer weiß, was uns morgen erwartet", sagte Chishiya. Ich nickte, dann pustete ich die Kerze aus. Chishiya half mir hoch und zusammen gingen wir zu den anderen. Was auch immer uns erwarten würde, ich weiß, dass ich es schaffen kann. Mit meinen Freunden um mich herum, Aguni in meinem Herzen und Chishiya an meiner Seite.

Magical Hearts » Chishiya || Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt