Anker // Lena Oberdorf x Alexandra Popp

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Lenas Sicht

Kreuzbandriss. Immer und immer wieder lese ich die zusammengesetzten Buchstaben auf dem weißen Papier, um, sicherzugehen, dass ich sie mir vielleicht doch nur eingebildet habe. Doch das Wort verschwindet nicht auf magische Weise oder verändert sich zu einem anderen. Es bleibt dasselbe. Ich habe mir das Kreuzband gerissen. Noch nie hatte ich eine wirklich große Verletzung. Immer nur kleine, die nach wenigen Wochen meistens wieder vorbei waren. Doch das hier war etwas ganz anderes. Das würde nicht nur ein paar Wochen dauern. Nein. Es wird mich mehrere Monate kosten. Eine Operation, Physiotherapie und so gut wie alles noch mal neu lernen. Ein Kreuzbandriss war keine Seltenheit in diesem Sport. Jeder wusste, was das zur Folge hatte, aber was da wirklich auf einen zukommt, weiß man erst, wenn man es erlebt hat. Ich wollte keine davon sein.
Frustriert knülle ich den Arztbericht zusammen und schmeiße ihn an das andere Ende des Raumes. Die Ärzte haben mich nach der Diagnose erst mal alleine gelassen, damit ich es in Ruhe verarbeiten kann. Aber wie verarbeitet man sowas? Ich habe das Gefühl, mein Kopf ist noch gar nicht richtig klar geworden, was gerade passiert ist. Frustriert raufe ich mir die Haare und greife nach meinem Handy, was ich vorhin auf den Nachttisch abgelegt habe. Fünf unterschiedliche Nachrichten und zwei verpasste Anrufe. Ich hatte Poppi gestern Abend extra gesagt, dass sie heute zum Training gehen soll. Sie soll nicht verzichten und mit mir hier angespannt herumsitzen. Nachdem ich gestern ins Krankenhaus eingeliefert worden bin, ist sie nicht von meiner Seite gewichen, wofür ich ihr unfassbar dankbar war. Trotzdem hat es mich auf irgendeine weise überfordert. Ich mache Dinge gerne mit mir alleine aus und blende eher aus, was andere zu sagen haben. Deswegen wollte ich meine Ergebnisse von der Untersuchung auch erfahren, wenn keine andere Person dabei ist. So langsam bereue ich ein wenig die Entscheidung.
Unsicher gehe ich auf WhatsApp und lese mir die Nachrichten durch.

>>Bin jetzt auf dem Weg zum Training mein Schatz.<<

>>Ich denke an dich!<<

>>Schreib mir, wenn du etwas weißt.<<

>>Oder melde dich, wenn du bereit dazu bist.<<

>>Das Training ist jetzt vorbei. Weißt du schon was oder brauchst du gerade einfach deine Ruhe?<<

Ich lasse meinen Finger über die Tastatur schweben und überlege, was ich schreiben soll. Soll ich ihr sagen, was los ist? Das ich mir das Kreuzband gerissen habe und für lange Zeit kein Fußballfeld mehr betreten werde? Das sie diese Saison ohne mich beenden muss? Ich sehe wie sich das symbol von online zu schreiben ändert.

>>Was ist es Schatz? Was hat der Arzt gesagt?<< steht dort geschrieben und ich weiß, dass ich es nicht mehr ignorieren kann.

>>Kreuzbandriss<<

Noch nie in meinem Leben hätte ich gedacht, dass ich es so sehr bereuen würde, nicht nach einem Erdgeschoss in einer Wohnung gesucht zu haben. Klar regt man sich etwas darüber auf, wenn man die Einkäufe nach oben tragen muss oder wenn man nach dem Training sowieso schon so schwere Beine hat. Ganz anders ist es jedoch, wenn jede Treppenstufe einzeln genommen werden muss und jeder Schritt einen bitteren und schmerzhaften Nachgeschmack hinterlässt. So gut es geht, umklammere ich mit einer Hand das Geländer und stütze mich mit der anderen Hand auf meiner Krücke ab. Genauso wie ich es bereits im Krankenhaus üben musste. „Bist du dir sicher, dass ich dir nicht helfen soll?", höre ich die Stimme meiner Freundin hinter mir, die meine Tasche für mich genommen hat. „Nein, schon gut, geh du ruhig schon mal vor", bitte ich sie und mache ihr den Weg frei. Der Gedanke, dass sie mich dabei beobachtet, wie ich wie ein Anfänger die Treppen nach oben hüpfe, macht das alles sowieso nicht besser. „Bist du sicher? Ich kann dich auch einfach hochtragen, dann kannst du dich ausruhen. Der Tag war anstrengend genug." Ich weiß, dass sie recht hat. Für meinen Körper, war es nach einer Woche im Krankenhaus, als würde er auf einmal einen Marathon laufen. Erst der Weg zur letzten Wundkontrolle, dann der Weg zur Abmeldung und Beratung für die nächsten Tage. Danach der Weg zum Parkhaus, indem Poppi ihren Wagen abgestellt hat und dann auch noch der Weg vom Auto zu meiner Wohnung. So viel Bewegung hatte ich die ganzen sieben Tage zuvor nicht und das scheint nicht nur meinem Knie, sondern auch ein wenig meinem Kreislauf zuzusetzen. „Alles gut. Der Arzt hat gesagt, Treppenlaufen ist gut für mich und die Muskulatur", streite ich ab und setzte meinen Weg fort, nachdem meine Freundin mich eingeholt und überholt hat. Sie atmet einmal tief durch und läuft die paar letzten Treppenstufen nach oben. Ich konzentriere mich wieder voll und ganz auf meine Bewegung. Ein Bein vor das Andere. Schritt für Schritt. Überrascht schaue ich hoch, wenn Poppi wieder neben mir steht und mir die Krücken aus der Hand nimmt. „Der Arzt hat aber auch gesagt, dass du es nicht übertreiben sollst", erwidert sie und legt meinen Arm um ihre Schulter, um mich zu stützen und etwas mehr Gewicht von meinem Bein zu nehmen. Ich protestiere gar nicht erst, weiß ich genau, dass ich sowieso keine Chance habe.

WOSO // girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt