Geschenk // Alexia Putellas x Mapi Leon

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Spieltag. Eigentlich einer meiner liebsten Tage in der Woche. Meistens warte ich die ganze Woche nur auf diesen Tag und den Moment, bis der Schiedsrichter endlich das Spiel anpfeift. Das Adrenalin geht hoch. Der Puls schlägt schneller und manchmal ist mir für einen kurzen Moment schlecht. So lange, bis ich den ersten Ballkontakt hatte und alles einfach automatisch läuft. Oder so lief es wohl eher früher. Mittlerweile bleibt das Gefühl. Das Gefühl des Adrenalins und der Angst. Die Angst davor wieder die Kontrolle zu verlieren. Einen falschen Schritt zu machen. Ein falscher Kontakt. Früher konnte ich die ganze Welt um mich herum ausschalten, sobald das Spiel beginnt. In gewissem Sinne funktioniert das immer noch, aber eine Sache ist anders. Eine besonders wichtige Sache. Das Vertrauen. Vertrauen in meine Beine. Dass sie das machen, was ich von ihnen möchte. Dass ich eigentlich nur auf meinen nächsten Gegenspieler schauen muss und der Rest von alleine funktioniert. Doch das funktioniert irgendwie nicht mehr. Es ist, als wären meine Beine manchmal eine Art Fremdkörper, die ich nicht kontrollieren kann. Sobald ich nicht gut genug aufpasse, verlieren sie die Kontrolle. Wenn ich nur schnell genug renne oder der Ball nicht genau da liegt, wo ich es mir vorgestellt habe, knicken sie einfach weg. Knickt mein Knie einfach nur weg.

Ich wusste, dass mein Knie nicht mehr das gleiche sein wird. Auch schon vor der Operation war mir klar, dass es danach nicht mehr dasselbe ist. Ich bin nicht mehr dieselbe. Die Alexia, die ich vor der Verletzung war, existiert nicht mehr. Eigentlich war mir das vorher schon klar, aber das jetzt so intensiv zu spüren zu bekommen, hätte ich nicht gedacht. Ich bin nicht nur mit einem neuen Knie aus der Operation gekommen, sondern auch mit einem anderen Kopf. Mich beschäftigen Dinge, die mich vorher nicht interessiert haben. Jeder Schritt ist so verdammt schwer. Jedes Training ist unfassbar anstrengend. Und die Spiele. Nicht mehr mit damals vergleichbar. Auch wenn es aus meiner Mannschaft noch keiner direkt gesagt hat, weiß ich, dass sie es alle denken. Die einzigen, die wirklich die Wahrheit aussprechen, sind die Menschen aus dem Internet. Ich muss mir nur ein paar Kommentare unter unseren Spielen durchlesen, da finde ich ganz schnell mindestens drei Leute, die aussprechen, was ich denke.

Erneut drücke ich auf die Fernbedienung und spule zu meinem letzten Ballkontakt zurück. An die Stelle, wo mein Kopf eigentlich oben sein müsste, um meine nächste Anspielstation zu suchen. Stattdessen ist mein Blick auf den Ball gerichtet. Aus diesem Grund kann ich auch meine Gegenspielerin nicht richtig sehen und verliere auch schon das Duell. Schnell kritzle ich ein paar Worte in mein Notizbuch und spule zur nächsten Stelle. Kopf ausschalten. Ich drücke wieder auf den Startknopf und sehe die nächste Situation, in der ich den richtigen Laufweg mache und dann der Pass nicht sauber genug ist. Erneut greife ich nach meinem Notizblock. Mein Stift fällt mir jedoch aus der Hand, wenn ich eine Stimme hinter mir höre. „Ale? Princesa, was machst du da?" Mapi, meine Freundin war anscheinend aufgewacht. Ich will schnell den Fernseher ausschalten, aber es ist bereits zu spät. Mit leicht verschlafenen Augen läuft sie an der Couch vorbei und stemmt die Hände in die Hüfte. Wäre die Situation nicht so ernst, würde ich vermutlich grinsen. Mapi war einfach zu süß mit ihren langen Barca Socken, die im kuscheligen Teppich verschwanden, ihrer kurzen Sporthose von der Nationalmannschaft, auf der die Elf abgebildet ist und ihrem etwas zu großen Oberteil. „Du schaust doch nicht schon wieder das Spiel oder?", fragt sie mich und lässt sich neben mir auf die graue Couch fallen. Es war meine Couch, die ich aus meiner Wohnung mitgenommen habe. Ich sage kein Wort, sondern spiele ein wenig mit dem voll geschriebenen Zettel auf meinen Beinen und spüre im nächsten Moment auch schon ihre Arme, die sich um meine Schultern legen.

Für eine ganze Weile sitzen wir so nebeneinander und keiner sagt ein Wort. Bis Mapi plötzlich ihre Hände von meiner Schulter auf meine Wange legt und mir tief in die Augen schaut. „Sag mir, was du denkst", fordert sie mich auf und ich atme tief durch. „Ich bin eine schlechte Fußballerin", spreche ich den Gedanken aus, der mich in den vergangenen Wochen immer wieder verfolgt hat. Ich habe versucht, ihn zu verdrängen, ihn nicht zu glauben. Versucht einfach die Augen zu schließen und an etwas anderes zu denken, aber das geht schlecht, wenn sich alles in meinem Leben nur um zwei Dinge dreht. Meine Freundin und natürlich Fußball. Fußball ist mein Leben, lange Zeit kannte ich nichts anderes als den Sport und jetzt macht es mich immer mehr kaputt. Mapi ist in dieser Zeit eine unglaubliche Freundin, die ich in meinen Augen nicht wirklich verdient habe. Ohne das sie es weiß, schafft sie es innerhalb von wenigen Minuten, alle schlechten Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben. Sie bringt die Stimmen zum Verstummen. Sie schafft es mit einer Leichtigkeit, mich zum Lachen zu bringen und alles andere, um mich herum zu vergessen. Sie schafft das, was damals nur der Fußball geschafft hat.

„Warum denkst du das?", fragt sie mich schließlich ernst und streicht eine Haarsträhne aus meinem Gesicht, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte. „Ich habe meine Leichtigkeit verloren. Ich spiele viel mehr mit meinem Kopf, als mit meinen Füßen", versuche ich der anderen zu erklären und sie nickt verstehend. Es ist für einen Moment ruhig und jeder geht für einen Moment seinen Gedanken nach. „Ich weiß es ist verdammt schwer, aber du hast schon so viel geschafft", beginnt meine Freundin und verschränkt unsere Finger miteinander. „Die Operation, die ganze Physiotherapie, der Wiedereinstieg ins Training und die Rückkehr auf den Platz. Das ist so ein unglaublicher Weg, den du hinter dich gebracht hast." Auch wenn sie recht hat, muss ich schnauben. Auch wenn ich das geschafft habe, kriege ich es nicht hin, einfach wieder Fußball zu spielen. Ich bin einfach nicht mehr die Gleiche.

„Ich verstehe einfach nicht, warum ich ihn nicht wieder ausschalten kann. Ich weiß nicht, wie ich dieses Gefühl der Unsicherheit wieder verlieren soll", erkläre ich und vergrabe meinen Kopf schließlich in meinen Händen, die ich aus denen von Mapi befreit habe. Erneut ist es still, aber Mapi beginnt diesmal leichte Kreise auf meinem Rücken zu ziehen. Ich merke, wie ich mich langsam wieder etwas beruhige und mich in den Armen von meiner Freundin entspanne. „Vielleicht musst du es auch einfach aus einer anderen Perspektive sehen", unterbricht sie erneut die Stille und ich hebe eine Augenbraue. „Fußball ist ein Geschenk, etwas ganz besonderes. Fußball kann einem alles geben. Spaß, Freiheit, Aufregung, das Gefühl, als würde man fliegen. Aber es kann einem auch alles nehmen. Verlierst du den Sport, verlierst du auch ein Stück von dir selbst", erklärt sie mir und ich kann nicht anders als an ihren Lippen zu kleben und ihr bis zum Ende zuzuhören.

„Fußball zieht ein unfassbar dünnes Seil auf dem wir balancieren. Zwischen dem Gefühl, wir stehen oben in den Wolken oder wir fallen. Du hast gesehen, wie es ist, von diesem Seil zu fallen. Du hast die andere Seite gesehen und weißt, was du verlieren kannst. Du siehst mittlerweile nicht nur die obere Seite des Seils, sondern weißt, wie es ist, auf den harten Boden zu schlagen. Den ganzen Weg, den du bisher auf dem Seil gegangen bist, ist durch einen falschen Schritt fast schon nutzlos gewesen. Wieder an dem Punkt zu kommen an dem du bist, ist so schwer und trotzdem hast du es geschafft. Wichtig ist jetzt, dass du das Positive aus der Sache ziehst. Du weißt, wie es ohne den Fußball ist und deswegen kannst du das Spiel viel mehr genießen. Jedes Spiel, jedes Training und jede Einheit sind ein Geschenk. Egal ob sie so laufen, wie früher. Du bist auf der oberen Seite des Seils, also denk nicht daran, wie es auf der anderen Seite aussieht, sondern genieße es einfach oben zu sein. Nimm das Geschenk an, solange du es noch in den Händen halten kannst", schließt sie ihren Vortrag ab und ich bin fast schon wie erstarrt. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. „Danke Mapi", ist alles was ich über die Lippen bringen kann und beuge mich schließlich nach vorne, um ihr einen Kuss auf die Lippen zu drücken. Ich versuche all die Gefühle, die ich gerade spüre, in diesen Kuss zu stecken.

„Wow, womit habe ich das denn verdient?", fragt sie mich grinsend und ich schaue sie einfach nur verliebt an. Sie erwidert den Blick und verschränkt wieder unsere Finger. „Ich bin irgendwie hell wach. Wäre es okay, wenn wir noch nicht direkt ins Bett gehen?", frage ich sie zögerlich und sie nickt. „Klar, hast du Hunger? Du hast heute nicht sonderlich viel zu Abend gegessen", stellt sie fest und ich nicke lächelnd. Ich bin immer wieder überrascht, wie Aufmerksam meine Freundin ist. „Worauf hast du Lust?", möchte sie von mir wissen und ich muss nicht lange überlegen, bis ich Pasta vorschlage. Mapi nickt und holt die Töpfe aus dem Schrank. Zusammen beginnen wir das Essen vorzubereiten und ich kann nicht verhindern, die Spanierin immer wieder von der Seite zu betrachten. Wir kennen uns schon so lange und trotzdem überrascht sie mich mit ihrer Art immer wieder. Schon seit Jahren befreundet und mittlerweile seit fast drei Jahren zusammen. Ich weiß nicht, wie ich ohne sie die letzten Jahre überstanden hätte.

„Alles okay Princesa?", fragt sie mich plötzlich und reißt mich ein wenig aus den Gedanken. „Mit geht's gut mi corazon", antworte ich ihr und gebe ihr einen Kuss. Auf der oberen Seite des Seils. Da befinde ich mich im Fußball, aber auch bei Mapi. Sie ist diejenige, die mich vom Boden aufgesammelt hat. Die mir die Hand gereicht und immer wieder den richtigen Weg gezeigt hat. Immer wieder, wenn ich ins Schwanken gekommen bin, war sie da und hat meine Hand in ihre eigene genommen. Sie hat mir das Gleichgewicht gegeben, was mir gefehlt hat und das gibt sie mir auch jetzt wieder. Nicht nur der Fußball war ein Geschenk. Mapi war definitiv auch eins. Sie ist mein größtes Geschenk.

WOSO // girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt