Freitag, 29. September - 20:30 Uhr
Um Punkt halb neun klingelte es an meiner Haustür. Fast schon war ich überrascht, dass Hannah einmal pünktlich war, aber dann erinnerte ich mich, dass es um eine Party ging. Da wollte Hannah natürlich so wenig wie möglich verpassen. Bei dem Gedanken daran schüttelte ich den Kopf und musste schmunzeln.
Ich lief die Treppe nach unten und warf noch einmal einen letzten Blick in den Spiegel. Meine hellbraunen, leicht gewellten Haare habe ich mit etwas Haarspray aufgepeppt, damit sie mir nicht ins Gesicht fallen. Ich trug meine Lieblingsjeans, die schon etwas verwaschen war und einen schwarzen Oversize Pullover. Ich war zufrieden mit meiner Outfitwahl - Hauptsache es war bequem. Dann schlüpfte ich in meine Sneaker und öffnte die Haustür."Wow, du schaust aber heiß aus!" Hannah zwinkerte mir zu und umarmte mich zur Begrüßung.
"Das sagst ausgerechnet du!", antwortete ich meiner Freundin, die in einem purpurrotem, knielangen Kleid erschienen ist und musterte sie demonstrativ von oben bis unten.
Sie warf dramatisch ihre langen, dunkelblonden Haare nach hinten, drehte sich einmal um die eigene Achse und lachte. Dann trat sie einen Schritt zur Seite und zeigte in die Einfahrt. "Das ist übrigens Jay, mein Arbeitskollege."
Erst jetzt bemerkte ich einen Jungen, der lässig in der Einfahrt am geparkten Auto lehnte. Bei der Erwähnung seines Namens drückte er sich vom Auto ab und kam auf mich zu. Jay war etwa einen Kopf größer und ich schätzte ihn auf etwa zwei-drei Jahre älter als ich. Unter einer senfgelben Mütze standen seine dunkelbraunen Haare hervor. Er trug eine locker sitzende Jeansjacke über einem eng anliegenden weißen T-Shirt. Da durch zeichneten sich seine Muskelpartien ab, sodass man sofort erkennen konnte, dass er gut trainiert war. Mein Blick landete schließlich auf seiner Hand, die er mir ausgestreckt entgegen hielt. Dabei lächelte er mich freundlich an. "Hi, ich bin Jay!"
Etwas verlegen schlug ich ein. "Hi, ähm... ich bin Tim!" Seine Hand war warm und sein Händedruck war angenehm. Ich mochte es nämlich gar nicht, wenn jemand zu fest zudrückte, oder aber wenn man das Gefühl hatte, man hätte einen leeren Handschuh in der Hand."Dann lasst uns starten!", verkündete Hannah und hakte sich bei mir unter. Jay nickte und ging voraus. Wir folgten ihm mit etwas Abstand. "So war das aber nicht ausgemacht", flüsterte ich Hannah zu, ohne genau zu wissen, ob ich über Jays Anwesenheit verärgert oder erfreut sein sollte.
"Ich habe nie gesagt, dass ich alleine komme." Sie grinste mich an. "Eigentlich ist Jay sogar derjenige, der mich, also uns, eingeladen hat. Er ist sozusagen unsere Eintrittskarte", flüsterte sie weiter, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Jay uns nicht hörte. "Und außerdem ist er doch unglaublich heiß, oder?"Ich schüttelte lachend den Kopf. Ich wusste zwar nicht, was das Eine mit dem Anderen zu tun hatte, aber ich konnte nicht leugnen, dass Jay, meiner Beobachtung nach, tatsächlich verdammt gut aussah. Aber das war auch schon alles. Hätte ich gewusst, dass Hannah bereits von Jay begleitet wurde, hätte ich ihr nicht zugesagt. Doch jetzt kam ich aus der Sache nicht mehr raus.
Um kurz nach neun Uhr erreichten wir unseren etwas abgelegenen Zielort. Wir hielten vorher noch kurz an einem Kiosk, um eine Flasche Vodka zu besorgen. Mit leeren Händen kreuzt man ja bekanntlich nicht einfach so auf Partys auf. So langsam gewöhnte ich mich an den Gedanken, gleich auf eine kleine, aber nette Party zu gehen. Als ich jedoch die vielen parkenden Autos bemerkte, verflog dieser Gedanke sofort wieder.Jay parkte das Auto am Straßenrand. Kaum stellte er den Motor ab, sprang Hannah auch schon aus dem Wagen. Ich zögerte jedoch einen Moment und merkte, wie sich Schweiß auf meinen Handinnenflächen bildete. Ich atmete tief durch. Eine kleine Party, meinte Hannah. Den vielen Autos nach zu urteilen, war es wohl doch eine etwas größere Party. Also hatte sie mich auch in dieser Sache im Ungewissen gelassen. Aber ich schaffe das, redete ich mir gut zu.
"Alles okay bei dir?" Jay schaute mich über den Rückspiegel an."Äh, ja. Alles okay!" Ich nickte. Jay stieg nun ebenfalls aus dem Auto und ich nutzte dies, um noch einmal tief durchzuatmen, ehe auch ich ausstieg.
"Da ist Lara! Ich bin gleich wieder da!", rief mir Hannah zu, als ich die Autotür zugeschlagen hatte. Dann verschwand sie in der Menge."Lass uns inzwischen reingehen", meinte Jay und schritt den gepflasterten Weg über den Rasen entlang zur Veranda, auf der sich bereits einige der Partygäste versammelt hatten. Nur widerwillig folgte ich ihm. Als ich endlich die Veranda erreichte, stürmte jemand aus dem Haus und rempelte mich ungebremst an. Dabei machte ich eine halbe Umdrehung und konnte noch gerade so das Gleichgewicht halten. Die Person, die in mich hinein gelaufen war, blieb stehen und drehte sich zu mir um. Unsere Blicke trafen sich.
"Tim?" Als ich in diese vertrauten, haselnussbraunen Augen blickte, blieb mir fast das Herz stehen und für einen Augenblick hielt ich die Luft an.
"Anton!"
Es dauerte wahrscheinlich gerade einmal eine Sekunde. Eine Sekunde, in der wir beide nur so dastanden. Aber es kam mir vor wie eine Ewigkeit.
Anton öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, aber er bekam keinen Ton heraus."Anton Schatz, da bist du ja". Ein braunhaariges Mädchen kam auf uns zu und hakte sich bei ihm unter. Ich erkannte sie auf den ersten Blick wieder. Es war das Mädchen jenes Silvesterabends. Sie lächelte mich an. "Hey, ich bin Sarah! Und du bist?"
Ohne ihr zu antworten, wandte ich den Blick von den beiden ab und ging schnellen Schrittes an ihnen vorbei, runter vom Grundstück.
"Tim!", hörte ich Hannah hinter mir rufen. Aber ich blieb nicht stehen. Ich musste weg von hier. Ich rannte los, aber ich kam keine hundert Meter, dann übermannte mich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Mein Herz raste und ich konnte meinen Herzschlag in meinem ganzen Körper fühlen. Das Atmen fiel mir zunehmend schwerer und mir wurde schwindelig. Ich kannte diese Anzeichen. Oft genug hatte ich in den letzten Monaten eine Panikattacke erlitten. Ich blieb stehen und stützte die Hände auf meine Knie. Ich versuchte meine Atmung zu regulieren. Ich atmete tief ein, aber mein Körper schrie weiter nach Sauerstoff. Stoßartig atmete ich wieder aus und meine Atmung wurde wieder flach.
"Tim!" Hannah tauchte neben mir auf. "Was ist los, Tim?" Ich hörte Angst in ihrer Stimme mitschwingen. Sie nahm mich an den Schultern und schüttelte mich, was mich dazu veranlasste, sie anzuschauen."Ich... ich..." Ich zitterte am ganzen Körper.
"Das ist eine Panikattacke", vernahm ich eine tiefe Stimme. Aus dem Augenwinkel erkannte ich ein Auto. Jays Auto. Mein Blick war verschwommen und mir war immer noch schwindelig. Ich schloss meine Augen wieder und legte meine Hände darüber.
"Tim... Hörst du mich?", hörte ich erneut Jay. "Tim, schau mich an!"
Ich öffnete meine Augen. Jay stand mir gegenüber und legte seine Hände sanft auf meine Schultern. Er wartete, bis sich unsere Blicke trafen, ehe er weitersprach. "Ich zähle jetzt ganz langsam bis vier. Ich möchte, dass du in dieser Zeit tief durch die Nase einatmest. Dann hältst du deinen Atem für 7 Sekunden an, okay?" Ich nickte. "Eins. Zwei. Drei. Vier. Gut! Jetzt versuche den Atem anzuhalten." Ich gehorchte. "Und wenn ich jetzt bis acht zähle, atmest du langsam durch den Mund aus, laut, so dass ich dich höre." Jay begann wieder zu zählen und ich befolgte seine Anweisung. Dann startete er von vorne. Beim dem dritten Durchgang fühlte ich, wie sich der Druck auf meiner Brust langsam löste und mein Herzschlag sich etwas beruhigte. "Geht's wieder?" Jay und Hannah sahen mich besorgt an.
Der Tim von früher hätte jetzt einen passenden Spruch auf Lager gehabt. Er hätte irgendetwas gesagt, um die Stimmung wieder aufzulockern. Vielleicht hätte er die Nähe zu Jay sogar genutzt, um mit ihm zu flirten. Aber der Tim von früher ist schon seit Monaten nicht mehr auffindbar. Der Tim von heute schafft es gerade so zu nicken.
"Dann lasst uns einsteigen! Ich bringe euch nach Hause."
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30 things to do
RomanceDer einst so offene und lebensfrohe Tim leidet seit der Trennung von seinem Freund unter Sozialer Phobie. Durch seine beste Freundin Hannah erfährt er von der 30-Tage-Challenge. Nachdem er diese zu Beginn wenig ernst nimmt, veranlasst ihn ein Ereign...