Samstag, 28. Oktober – 10:23 Uhr
Gegen halb elf wollte Jay mich heute zu einer gemeinsamen Wandertour abholen. Als er von einer Überraschung gesprochen hatte, hatte ich mir darunter ehrlicherweise etwas anderes erhofft. Jedoch hat Jay sich fest vorgenommen, mich durch die verschiedenen Punkte auf der Liste zu begleiten und dies stand nunmal auf Punkt 11.
Eine Wanderung stellte für mich an sich keine Herausforderung dar, jedoch kamen bei dem Gedanken daran auch immer wieder Erinnerungen an Anton hoch.
Die meiste Zeit unserer Beziehung verbrachten wir entweder bei ihm oder bei mir zu Hause. Er war noch nicht bereit gewesen, unsere Beziehung öffentlich zu machen und ich hatte ihm versprochen, ihm die Zeit zu geben, die er brauchte. Zeit, um zu realisieren, dass er in einen Jungen verliebt war. Zeit, um zu erkennen, dass das auch völlig okay war. Zeit, um zu lernen, sich selbst so zu akzeptieren und zu lieben, wie ich es tat.
Ich war mir sicher, dass Anton sich irgendwann, in unbestimmter Zukunft, stolz mit mir in der Öffentlichkeit zeigen konnte. Und das war okay - auch wenn ich es mir anders gewünscht hätte, akzeptierte ich es. Denn in den heimischen und schützenden vier Wänden führten wir eine normale, glückliche Beziehung. Er war lieb und fürsorglich und hatte keine Scheu, mir zu zeigen, was er für mich fühlte - oder vorgab zu fühlen? Leider konnte ich aus heutiger Sicht nicht mehr so genau sagen, was von unserer Beziehung echt und was eine Lüge war.
Ehrlicherweise war das beinahe das Schlimmste an allem: Ich hatte verlernt, meinen eigenen Gefühlen zu vertrauen. Die Sache mit Anton fühlte sich nämlich verdammt echt an und ich war mir sicher, dass ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen konnte - bis er mir das Gegenteil bewies.
Und obwohl Anton stets darauf bestand, dass wir in der Öffentlichkeit so taten, als würden wir uns nicht kennen, machte er eine Ausnahme: In der Natur, mitten im Nirgendwo, schien er sich von seiner Angst, jemand könnte das mit uns herausfinden, etwas befreien zu können. Manchmal nahm er dann meine Hand und wenn wir uns etwas abseits des Weges befanden, passierte es sogar, dass er mich küsste - so richtig, als ob es in diesem Moment nur uns beide gäbe.
Ich hatte es in den letzten Monaten gemieden, darüber nachzudenken und auch jetzt lösten die Gedanken daran ein Wechselbad der Gefühle in mir aus. Doch wo in den letzten Monaten Trauer und Schmerz die Überhand hatten, fühlte es sich jetzt wie eine entfernte Erinnerung an, die allmählich zu verblassen begann. Wie eine Wunde, die langsam heilte.
Ich kontrollierte noch einmal, ob ich alles Wichtige in meinem Rucksack verstaut hatte.
Viele Informationen hatte mir Jay nicht gegeben. Er meinte nur, er würde mich um 10:30 Uhr abholen und ich bräuchte feste Schuhe und Wanderausrüstung. Wohin es ging und wie lange unser Ausflug dauern sollte, hatte er nicht verraten. Lediglich, dass ich mir heute nichts anderes mehr vornehmen sollte. Also stand ich nun mit meinen neuen Wanderschuhen und recht akzeptabler Wandermontur in unserer Einfahrt.
Wenige Minuten später fuhr Jays Auto in unsere Einfahrt und nach einer halbstündigen Fahrt bogen wir auf einen Waldparkplatz ein.
"Bist du bereit?", fragte Jay, nachdem wir unsere Rucksäcke geschultert hatten.
"Kann es sein, dass ich was vergessen habe?"
Mein Blick fiel auf Jays Rucksack, der etwa doppelt so groß war wie meiner, und prall gefüllt schien.
"Keine Sorge, ich habe alles dabei, was wir brauchen."
Das breite Lächeln, das Jay aufgesetzt hatte, war ansteckend und so antwortete auch ich lächelnd: "Na, dann schein ich bei dir ja in guten Händen zu sein."
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30 things to do
RomanceDer einst so offene und lebensfrohe Tim leidet seit der Trennung von seinem Freund unter Sozialer Phobie. Durch seine beste Freundin Hannah erfährt er von der 30-Tage-Challenge. Nachdem er diese zu Beginn wenig ernst nimmt, veranlasst ihn ein Ereign...