#12 Sushi essen

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Montag, 30. Oktober – 17:04 Uhr

Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke zu, als ich nach der Arbeit aus dem Bürogebäude trat. Ein eisiger Wind fegte heute durch die Straßen und ich hob instinktiv meine Schultern an, um meinen Nacken vor der frostigen Luft zu schützen. Verdammt, ich hätte heute doch meinen Schal mitnehmen sollen.

Suchend ließ ich meinen Blick über die Straße gleiten und entdeckte, eingehüllt in einen knielangen Mantel und Schal, meine beste Freundin. Wir haben uns heute zum Sushi Essen verabredet.

Ich vergewisserte mich kurz, dass kein Auto angefahren kam und lief dann kurzerhand über die Straße. Mit einer warmen Umarmung begrüßten wir uns.

"Hi, Timmy!"

"Hi Hannah! Schön, dass ich dich auch mal wieder zu Gesicht bekomme", scherzte ich. Es war eine Weile her, seit wir uns das letzte Mal getroffen haben. "Kann sein, dass ein gewisser Herr Leopold Schuld daran ist?"

"Vielleicht...", grinste sie verlegen. "Vielleicht hat aber auch mein gutaussehender, charmanter Kollege etwas damit zu tun, dass du deine Freizeit anderweitig nutzt." Sie zwinkerte mir zu.

Ich hakte mich bei ihr unter. "Ich hab dich vermisst!"

"Das ist auch gut so!", lachte sie. "Ich hatte schon die Befürchtung, du hast mich vergessen!"

"Spinnst du? Wie könnte man dich jemals vergessen? Du bist wie Kaugummi an der Schuhsohle meiner Lieblingsschuhe, der manchmal etwas lästig ist und nicht mehr abgeht, aber es sind meine Lieblingsschuhe und jetzt gehört der Kaugummi eben dazu..."

"Ähm... danke? Falls das ein Kompliment war."
"Ein halbes!", grinste ich. "Gern geschehen! Und außerdem stimmts. Schau!"

Ich blieb stehen und hob meinen Fuß - soweit ich ihn eben heben konnte - um Hannah den Kaugummi an der Schuhsohle zu zeigen.

"Siehst du, immer noch da! Hartnäckig dieses Ding."

Hannah beäugte mich von der Seite und begann plötzlich schelmisch zu grinsen. Ich fühlte mich etwas beobachtet, versuchte es aber zunächst zu ignorieren. Doch als Hannah weiterhin mit einem Seitenblick zu mir vor sich hin grinste, konnte ich doch nicht anders.

"Was ist los? Wieso grinst du so?"

"Sag du es mir!"

"Wenn ich wüsste, was du meinst, würde ich nicht fragen", scherzte ich.

"Du wirkst heute irgendwie... anders."

"Anders? Anders wie?"

"Naja, gut gelaunt, glücklich, fast schon etwas aufgedreht. Ein bisschen so, wie... früher?"

Ich wusste nicht warum, aber das Wort früher hatte einen bittersüßen Beigeschmack. Einerseits wusste ich nicht, ob ich zu dem Tim von früher zurückkehren wollte - zu der Version meiner selbst, die die Welt stets durch eine regenbogenfarbene Brille gesehen hatte und naiverweise angenommen hatte, dass es nicht nötig sei, einen Schutzwall um sein Herz hochzuziehen. Die Überzeugung, dass in jedem Menschen etwas Gutes steckt und dass durch das Ausstrahlen von Positivität auch Positives zurückkommt, hat mein Leben erleichtert. Nicht fortwährend in Alarmbereitschaft sein zu müssen vor möglichen Enttäuschungen oder dem Urteil anderer, hat mein Leben zweifellos einfacher gemacht, als mir damals bewusst war. Doch die Realität holt uns alle irgendwann ein.

Auf der anderen Seite fühlte sich mein Leben in letzter Zeit tatsächlich wieder etwas leichter an. Als wären die schweren Päckchen auf meinen Schultern etwas geschrumpft. Oder als ob jemand beim Tragen helfen würde.

"Du hast recht, ich habe heute tatsächlich gute Laune." Meine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen.

"Ich habe dich lange nicht mehr so gesehen. Ich habe dich vermisst!" Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht so recht deuten. Sie wirkte traurig und glücklich gleichermaßen.

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