Freitag, 13. Oktober - 17:57 Uhr
"Ist wirklich alles okay?" Jay schaute mich besorgt von der Seite an. Ich sog die frische Luft durch die Nase ein und ließ sie stoßartig durch meinen Mund entweichen, ehe ich stumm nickte.
Die letzten Gäste verließen das Five Stars. Wir standen noch immer mitten auf dem Weg, weshalb sie sich links und rechts an uns vorbeischlängeln mussten. Um ihnen etwas Platz zu machen, trat Jay unerwartet vor mich. Dabei trafen sich unsere Blicke und ich sah direkt in seine dunkelbraunen Augen. Für eine Sekunde fühlte es sich an, als würde die Zeit stillstehen. Unvermittelt begann mein Herz wie wild zu pochen. Jays Nähe machte mich plötzlich nervös und ich konnte dem Blickkontakt nicht länger standhalten. Rasch senkte ich meinen Blick, der stattdessen auf unseren immer noch ineinander verschränkten Händen landete.
Jays Augen folgten meinen. "Oh, sorry!", langsam ließ er meine Hand los. "Ich hoffe, das war okay, dass ich... deine Hand genommen habe, ich... ich hatte das Gefühl, dass du Unterstützung brauchtest. Nicht, dass ich damit sagen will, dass du das nicht alleine hinbekommen hättest. Ich dachte mir nur... naja, ich weiß auch nicht was ich dachte... ich hoffe, ich habe damit nicht eine Grenze überschritten." Jays Blick lag noch immer auf meiner Hand, die jetzt einsam an meiner Seite baumelte. Vorsichtig schaute er hoch. Er wirkte verlegen. Diese Seite hatte ich an dem sonst so taffen und selbstbewussten Jay bislang noch nie gesehen. Wollte er sich etwa vergewissern, dass er mir damit keine falschen Signale gesendet hat?
"Die Unterstützung habe ich tatsächlich gebraucht. Du bist genau zur richtigen Zeit gekommen." Ich lächelte. "Danke, dass du da warst! Du bist echt ein guter Freund!" Ob ich ihn bereits als einen Freund bezeichnen konnte? So lange kannten wir uns immerhin noch nicht. Trotzdem war er in letzter Zeit überraschend oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und immer wieder ist er mir zur Seite gestanden. Immer wieder hat er mir eine helfende Hand gereicht, als ich nicht in der Lage war danach zu fragen.
"Ähm... kein Ding!" Er steckte beide Hände in die Hosentaschen und zuckte mit den Schultern, dabei verzog er seine Lippen zu einem Lächeln. Dann wandte er seinen Blick ab. Kurz standen wir schweigend da. "Du schaust aus, als könntest du einen Drink vertragen", durchbrach er schließlich die Stille, eine Augenbraue fragend nach oben gezogen. "Was sagst du?" Lässig machte er eine halbe Drehung und stand nun wieder schräg neben mir. Er nickte Richtung Eingang.
"Das klingt gut!"
***
"Was darfs denn sein?", Jay stand hinter dem Tresen der Cocktailbar und band sich gerade den schwarzen Schurz um.
"Erstmal einen Tequila, bitte!"
"Zwei!" Hannah untermauerte die Bestellung, indem sie Jay symbolisch zwei Finger entgegen streckte.
Dieser nickte wissend. "Kommt sofort!"
"Sorry nochmal, Tim! Ich war nur kurz hinten im Vorratsraum, um einen Entkalker für die Kaffeemaschine zu holen und plötzlich wart ihr weg!" Entschuldigend sah mich meine Freundin an.
Ich schüttelte lächelnd meinen Kopf. "Mach dir keine Gedanken! Ist ja alles gut gegangen."
"Zum Glück war Jay da."
Als hätte er seinen Namen gehört, kam er mit zwei Shotgläsern zu uns zurück, stellte sie vor uns auf den Tresen und schenkte uns bis zum Rand Tequila ein. Mit einer Barzange fischte er zwei Zitronenscheiben aus dem extra dafür vorgesehenen Behälter und legte sie auf die Shotgläser. Zum Schluss stellte er noch das Salz auf den Tresen. Dann stützte er sich auf die Arbeitsplatte und widmete sich wieder unserem Gespräch.
"War das dein Ex, von dem du mir letztens erzählt hast?"
"Mhm!" Ich nickte. Mit der Zunge leckte ich über meinen Handrücken und streute etwas Salz darauf. Ich wartete bis Hannah ebenso weit war und dann tranken wir zeitgleich unseren Tequila. Der Biss in die Zitrone ließ mich mein Gesicht unkontrolliert verziehen. Trotzdem fühlte ich mich sofort besser.
"Jetzt hast du es aber endlich hinter dich gebracht und kannst nun endgültig mit diesem Arsch abschließen", munterte mich Hannah weiter auf. "Und außerdem kannst du jetzt einen weiteren Punkt von deiner Liste streichen."
"Liste?" Jay runzelte die Stirn und blickte mich fragend an.
Ich lachte auf. "Lange Geschichte!"
"Ich finde, du solltest es gleich abhaken. Für das Gefühl und so!", meinte Hannah.
Zustimmend nahm ich die Liste heraus und Hannah kramte aus ihrer Handtasche einen Kugelschreiber hervor. Während ich diesen Punkt abhakte, lugte Jay neugierig über den Tresen.
"Ist das sowas wie eine To-Do Liste?"
Noch bevor ich antworten konnte, erzählte Hannah Jay von der 30-Tage-Challenge und von meinem Vorhaben. Es war mir etwas unangenehm, dass Hannah dies vor Jay erwähnte. Zwar war nichts Schlimmes daran, aber trotzdem wollte ich damit nicht unbedingt hausieren gehen.
"Das ist eine coole Idee!", antwortete Jay überraschenderweise. "Was steht denn darauf?"
Ich überlegte kurz, war mir unsicher, ob ich Jay die Liste zeigen sollte. Glücklicherweise wurde Jay in diesem Moment von seinem Arbeitskollegen gerufen, eine große Cocktailbestellung war eingegangen. Dies nutzte ich und steckte meine Liste schnell wieder ein. Dann schaute ich Jay hinterher, der sich daran machte, den ersten Cocktail zu mixen. Interessierte es ihn tatsächlich, was auf dieser Liste stand? Interessierte er sich tatsächlich dafür, was zurzeit bei mir los war, für meine persönlichen Herausforderungen? Für mich?
"Willst du mir erzählen, was passiert ist?"
"Wie meinst du, was passiert ist?", verwirrt schaute ich meine Freundin an.
"Na vorhin. Mit Anton..."
"Achso, ja!" Ich schob meine Gedanken an Jay beiseite und berichtete ihr von unserem Treffen, wobei ich mich bemühte, das Gespräch so detailgetreu wie möglich wiederzugeben. Dabei versuchte ich mir nicht anmerken zu lassen, wie verletzt mich das Gespräch dennoch zurückließ, obwohl ich mich in dem Moment taff gegeben habe. Ich schielte kurz zu Jay, um mich zu vergewissern, dass er mich nicht hören konnte, ehe ich flüsternd hinzufügte: "Dann kam plötzlich Jay und nahm meine Hand. Den Blick von Anton hättest du sehen müssen. Es hat ihm total die Sprache verschlagen und dann ist er wortlos davon gestapft."
"Er hat deine Hand genommen?!", flüsterte Hannah aufgeregt."Ja, aber da ist nicht viel dabei, oder?"
"Naja, ich weiß nicht... Wie ich dir neulich gesagt habe, ich habe da so ein Gefühl, dass Jay vielleicht auf dich stehen könnte."
"Hör auf mir Flausen in den Kopf zu setzen!", ich stupste ihr sanft mit dem Ellenbogen in die Seite."So, da bin ich wieder. Was habe ich verpasst?" Mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht stand Jay wieder vor uns.
"Wir haben bloß über dich gesprochen, also nichts Wichtiges!", neckte Hannah ihn.
"Alles klar!", lachte nun auch Jay. "Kann ich euch noch etwas bringen, oder wollt ihr vielleicht inzwischen eine Kleinigkeit essen?"
"Wie spät ist es denn?" Hannah griff nach ihrem Handy. "Oh sorry, ich muss leider gleich los. Bin gleich mit Leo zum Kino verabredet." Mit einem Blick auf mich fügte sie hinzu: "Außer dir ist lieber, ich leiste dir noch etwas Gesellschaft, damit wir uns ausgiebig über Anton auslassen können. Dann verschiebe ich das Date mit Leo."
"Ach was!"
"Sicher? Irgendwie habe ich ein schlechtes Gefühl, dich alleine zu lassen, nach dem Aufeinandertreffen von heute.""Was heißt denn hier alleine?", mischte sich Jay ein.
"Siehst du, ich bin in bester Gesellschaft!", pflichtete ich ihm bei. "Viel Spaß bei deinem Date!"
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30 things to do
RomanceDer einst so offene und lebensfrohe Tim leidet seit der Trennung von seinem Freund unter Sozialer Phobie. Durch seine beste Freundin Hannah erfährt er von der 30-Tage-Challenge. Nachdem er diese zu Beginn wenig ernst nimmt, veranlasst ihn ein Ereign...