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zurück in der Gegenwart...

Das, was ich vorhabe, kostet mich einiges an Überwindung und ich weiß auch, dass ich es bereuen werde. Hättet ihr mir noch vor ein paar Tagen erzählt, dass ich Marie Reid tatsächlich mal um ein Date bitten würde... ja dann wäre meine Antwort mit Sicherheit gewesen, dass ihr euch mit solchem Quatsch verpissen könnt.
Tja und jetzt stehe ich, gegen die Backsteinmauer gelehnt, in der Aula und warte auf das nervigste Mädchen der ganzen Schule.

Ungeduldig lasse ich das Feuerzeug in meinen Fingern kreisen und halte nach ihr Ausschau. Schon fünf Minuten vor Schulbeginn und Miss Sunshine ist immer noch nicht da. Ich beobachte, wer alles durch die Eingangshalle schlurft und stelle fest, dass die meisten hier ebenfalls keine Lust auf diesen trostlosen Ort haben. Das sind wenigstens vernünftige Leute. Aber Marie ist nicht dabei. Verdammter Mist, elendiger. Wo bleibt die Kleine, wenn man sie einmal braucht?

Stattdessen erkenne ich Lea in den Massen der anderen Schüler/innen. Sie winkt mir gähnend und mit hängenden Schultern zu, deutend entschuldigend auf die große Uhr und macht sich direkt auf den Weg zu den Klassenzimmern. Ein paar Meter weiter kramt jemand in seiner Tasche rum. Ich wollte eigentlich zuerst gar nicht auf die Person achten, doch als sie sich in meine Richtung dreht, bleibt mir fast das Herz stehen. <Sie> ist hier. Sofort merke ich ein Ziehen in meinem Bauch. Und wie sie hier ist! In Lackstiefeletten und einem Kleid, das definitiv zu heiß für die Schule ist. Mir bleibt der Mund offen stehen. WOW. Sie sieht soo gut aus.

Unsere Blicke treffen sich. Genau einen Tag, nachdem sie mich abserviert hat. Naja okay, sie hat mich nicht direkt abserviert. Aber mir zu sagen, dass sie in Zukunft ein professionelles Lehrer-Schüler-Verhältnis anstreben möchte, ist so ziemlich dasselbe. Man merkt ihr deutlich an, wie unsicher sie unter meinem Blick wird, denn sofort zupft sie an ihrem Ausschnitt und den Haaren rum. Doch auch ich muss gestehen, dass mich ihre Anwesenheit nervös werden lässt. Wie von selbst bewegen sich meine Mundwinkel nach oben und ich muss ganz leicht lächeln. Sie zieht mich in ihren Bann, unmöglich zu entkommen. Ein paar Mädels aus der 10. rempeln mich absichtlich an, aber das nehme ich nicht einmal wahr.

Vielleicht sollte ich mir die Sache mit dem Date noch einmal überlegen, denke ich verzweifelt. Ich will eigentlich überhaupt nichts von Marie. Aber irgendwas muss ich doch tun, um mich abzulenken! Und wer weiß, vielleicht kann sie mir in Mathe helfen. Schließlich muss ich noch die blöde Klausur nachschreiben. Die ich ja auch nur verpatzt habe wegen Miss Gerstl. Diese Frau regt mich fast so sehr auf wie Marie und doch - ist da etwas, was mich fasziniert. Sie lächelt mich kurz und unscheinbar an. Ihr Lächeln hält leider nur für zwei Sekunden, denn da klingelt es zur 1. Stunde und sie verschwindet Richtung Lehrerzimmer. Mist. Ich hätte ihr gerne länger zugesehen. Ach was. Reiß dich zusammen!

Da ich mir kaum vorstellen kann, dass Marie zu spät kommen würde, krame ich mein Handy raus und suche nach dem Chat vor einiger Zeit. Ich hatte die Nummer nicht eingespeichert, jedoch lautete die Nachricht: „Hallo Laura, ich wollte nur kurz nachfragen, ob alles in Ordnung ist?" Das musste Maries Nummer sein, wer sonst sollte mir sowas schreiben? Lea und Jonas zählen nicht, die habe ich schließlich sowieso in meinen Kontakten. Genervt überlege ich, was ich schreiben soll. Vermutlich sowas wie: „Hi, können wir nochmal über die Sache im Club reden? Warte vor der Schule in der Mittagspause." Ja, das passt. Kann man so durchgehen lassen. Ich schicke die Message ab.

Ihr erinnert euch doch noch, oder? Als ich mit Marie getanzt habe? Nicht gerade eine meiner Lieblingsgeschichten, aaaber immerhin besser als Jonas' One Night Stand. Nach dem Club hat sich eine blonde „18-jährige" an ihn rangeschmissen, die sich im Nachhinein jedoch als 14 rausstellte.

Heute ist einer der wenigen Tage, an dem ich erst zur Zweiten Unterricht habe. Lea wollte unbedingt das Zusatzfach Politik und Recht belegen, aber für mich war das nichts. Ich schlurfe auf eine der Bänke zu und lege mich noch für ein Weilchen hin. Gerade als ich fast eingeschlafen wäre, ertönt ein „Ping!" Sauer krame ich mein Handy raus, stelle aber zufrieden fest, dass Marie mit „Okay." geantwortet hat.

Der restliche Tag verlief relativ ereignislos, bis auf die Tatsache, dass Marie heute fehlte und die Gerstl mich die ganze Englischstunde lang komplett ignorierte. Ich weiß zwar nicht wo Marie steckte, aber die wird wohl noch auftauchen, wenn sie ihr okay gab.

Um 13 Uhr suche ich meinen ganzen Krempel zusammen und mache mich auf den Weg zur „Krisensitzung". Innerlich bereite ich mich auf das schlimmste vor, immerhin muss ich zumindest 1 Minute mit Fräulein Streber überstehen können.

Vor der Schule sitzt allerdings jemand anderes. Sie begrüßt mich mit einem unsicheren Lächeln.
„Hallo. Ich habe nicht so viel Zeit, also was gibt es so dringendes zu besprechen?"

Mir fällt die Kinnlade runter. Es ist Miss Gerstl. Und da macht es klick. Die Nummer gehört nicht Marie, sondern ihr. Wow. Okay. Das ändert so einiges und bringt gerade mein ganzes Weltbild durcheinander. Céline Gerstl hat MIR geschrieben. Ich besitze ihre Nummer.

„Ähm, also ich weiß nicht was ich jetzt sagen soll.", bringe ich in meiner Überraschung heraus. „Ich dachte eigentlich die Nummer gehört jemand anderes.", gestehe ich.
„Achso. Na jetzt macht es Sinn. Ich hab mich schon gewundert, was du da noch bereden willst." Sie wirkt geknickt. Ich glaube eine Spur Enttäuschung auf ihrem Gesicht wahrzunehmen, bin mir aber nicht sicher.
„Ja, äh.. tut mir leid, da habe ich was verwechselt."
„Ist okay. Wer dachtest du, sollte es sonst sein?"
„Marie.", antworte ich wahrheitsgemäß.
„Verstehe. Dann sollte ich wohl besser gehen." Gequält lächelt sie mich an.

Nein, Nein, nein. Nicht gehen, hallt es in meinem Unterbewusstsein. Ich will nicht, dass sie schon wieder geht. Mit ihr alleine zu sein, raubt mir jeglichen Verstand. Warum muss sie ausgerechnet heute so gut aussehen?

„Nein! Ähm ich meine - also es ist so. Ich muss bis Freitag noch diese Matheklausur nachschreiben und naja ich wollte halt Marie fragen, ob sie mir eventuell mit dem Lernen helfen könnte."
„Okay. Das ist doch gut. Du musst dich nicht bei mir rechtfertigen, für das was du tust."
„Ich weiß. Äh. Ja. Klar, ist doch logisch.", lache ich gekünstelt. Ohmann ich mach mir hier nur wieder zum Deppen. Das komplette Gegenteil von eloquent.

„Kann ich sonst noch was für dich tun, Laura?"
Ich schüttle resigniert den Kopf, wende mich ab und zünde mir eine Zigarette an. Für heute habe ich echt genug von diesen ganzen Idioten hier. Ich spüre ihren Blick in meinem Nacken und bemühe mich, ruhig zu atmen.

„Laura, also mal wirklich, ich weiß nicht wie oft ich dir schon gesagt habe, dass du nicht rauchen sollst!", schimpft sie mit mir.
„Das ist doch meine Sache! Außerdem stehe ich nicht auf dem Schulgelände.", erwidere ich spitz.
„Ist mir klar. Ich mag es trotzdem nicht."
„Wieso? Küssen wir uns? Machen wir rum? NEin. Also was juckt es sie, wenn ich rauche?!", fahre ich sie an.
„Jetzt pass mal auf Fräulein Eaton.", mit erhobenem Zeigefinger kommt sie drohend auf mich zu. „Ich bin immer noch deine Lehrerin und so redest du nicht mit mir. Verstanden?"

Ich muss anfangen zu lachen, was sie noch näher auf mich zukommen lässt. Sie ist sauer, aber ein Grinsen kann sie sich trotzdem nicht verkneifen.
„Hör auf!" Sie sieht mich mit rollenden Augen an und beißt sich schließlich auf die Lippe. „Metallica, ja?" Sie nimmt meinen Pullover in Augenschein.

„Ja, das - war die Lieblingsband von-." Ich breche ab.
„Deinem Bruder.", ergänzt sie mit sanfter Stimme. Ich nicke als Antwort.
„Das war auch die Lieblingsband von meinem Vater. Er starb vor drei Jahren an Krebs."
„Wow, davon haben sie nie erzählt. Das tut mir leid."
Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich keine Probleme damit, jemandem ehrlich mein Mitgefühl zu zeigen.

„Naja, du bist schließlich auch meine Schülerin."
Muss sie das immer so erwähnen? Als wüsste ich das nicht selbst. Als wüsste ich nicht, dass sie meine Lehrerin und damit tabu ist.
„Du warst bisher auch nicht besonders freundlich zu mir. Obwohl ich dir nichts getan habe.", ergänzt sie mit hochgezogenen Augenbrauen.
Ich sage nichts. Natürlich hat sie Recht, das ist mir klar, aber das werde ich ihr bestimmt nicht auf die Nase binden.
„Was, wenn ich in Zukunft netter bin?"
„Das ist wohl das mindeste. Ich weiß schon, warum du so schroff bist. Du willst mich auf Abstand halten. Du willst dir nicht eingestehen, dass du kein eiskalter Klotz bist, sondern sehr wohl Gefühle hast."

Me, because of you. (girlxteacher)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt