III

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Zweiter Tag

Ich stehe noch. Die Nacht war grausam und meine Beine schmerzen. Ich habe nicht wirklich gedöst. Als Frühstück habe ich den restlichen Müsliriegel und einen ganzen Proteinriegel gegessen. Er hat scheußlich geschmeckt. Ich vertreibe mir manchmal die Zeit, indem ich die Tropfen zähle, die aus dem Wasserhahn fallen.

Aber da ich grade den Stift und das Buch zur Hand habe, kann ich das Wenige teilen, was ich aus meinem Leben davor weiß.
Meinen Namen kenne ich nicht mehr, aber ich weiß, dass er mit einem harten Laut beginnt, wie T oder P.

Ich erinnere mich an eine Szene während des Essens. Ich sitze an einem Tisch mit drei weiteren Personen. Zwei Frauen und einem Mann, alle im frühen Erwachsenenalter. Ich erinnere mich an den Geruch von Fisch, von gebratenem Fisch, mit Zitrone. Wir essen. Ich weiß, dass es mir geschmeckt haben muss.

Ich erinnere mich an Michael Jackson, im Fernsehen. Und an Elton John. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr fällt mir ein, aber alles ist Bruchstückhaft. Wie verschiedene Puzzleteile, die nicht zusammenpassen. Ich mag Jazz. Ich mag das Geschichtenerzählen. Und jetzt erzähle ich ironischerweise meine eigene. Irgendwann bin ich hier aufgewacht, in diesem Raum. Es kann Wochen, aber auch Jahre her sein. Ich kann mich nicht mehr an diesen Tag erinnern. Meine gesamten Erinnerungen seitdem es begonnen hat sind verschwommen, wenn nicht sogar trügerisch.

Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich den ganzen Tag über nichts anderes mache, als zu leben. Zu überleben. Ich weiß nicht, wie es irgendjemand hier so lange aushält. Denn es ist nicht nur die Isolation, sondern natürlich auch das Ding vor dem Fenster, das einen in den Wahnsinn treibt. Es gab Tage, da habe ich es nur angestarrt. Zurück in das unendlich tiefe Loch, umrundet von den blauen Flammen der Hölle. Ich habe gehofft, darin Antworten zu finden. Ich habe es angeschrien. Verzweiflung hatte zu jener Zeit wie ein Dämon von mir Besitz ergriffen. Natürlich hat es nichts gebracht. Die Toilette zu benutzten war schwer, anfangs, aber zu duschen beinahe unmöglich. Aber ich habe es dennoch getan, weil ich keine andere Wahl hatte. Ich weiß so wenig über diesen Ort, aber ich weiß, dass ich hier so lange leben werden kann, bis mich das Alter zur Strecke bringt. Aber ich gehe davon aus, dass ich eher den Verstand verliere. Ich weiß nicht, wie lange ich hier schon schreibe, aber ich werde vorerst aufhören und mich wieder den Wassertropfen widmen. Es hat etwas beruhigendes.


Der Wasserhahn tropft nicht mehr.
Ich habe neunmal bis Tausend gezählt. Wahrscheinlich habe ich mich so oft verzählt, dass schon viel mehr Tropfen gefallen sind, aber jetzt ist das belanglos. Der Wasserhahn hat noch nie aufgehört zu tropfen. Von einem Zufall auszugehen wäre mehr als naiv und macht mir gewaltige Angst. Er weiß, dass ich mich verstecke. Vielleicht ist er aber auch schon weg. Es gibt keine Möglichkeit das zu überprüfen. Ich werde hier bleiben müssen, zumindest für etwas länger. Es hat doch grade erst angefangen.


Ich habe früher ein paar mal versucht, mit dem Augapfel zu kommunizieren. Es hat nicht funktioniert. 


Ich bin vielleicht der letzte lebende Mensch auf der Erde. Ich bin vielleicht gar nicht mehr auf der Erde. Ich bin vielleicht tot, auch darüber habe ich schon nachgedacht. Manchmal frage ich mich, was mit der Welt geschehen ist. Das Auge scheint mich einfach nur zu beobachten. Vielleicht lebt es davon. Das ist einer meiner Hoffnungsträger, denn dann kann ich es töten, indem ich hier stehenbleibe und mich verstecke. Aber selbst danach müsste ich die Tür öffnen, um diesen Raum zu verlassen. Es kann alles umsonst sein, daran denke ich oft. Aber es ist einen Versuch wert, das ist es immer.

Die Flasche ist beinahe voll und ich habe eine der anderen vier erst zu drei Vierteln geleert. Das könnte eng werden. Ich habe nicht vor, auf den Boden zu urinieren. Aber ich würde es tun, wenn es notwendig wäre. Meine Nase gewöhnt sich langsam an den Geruch.

Ich kann sehen, wie es draußen dunkler wird. Ich spüre meine Beine nicht, was immerhin bedeutet, dass ich dort keine Schmerzen mehr habe. Ich werde jetzt einen Riegel essen, mein Magen knurrt bereits. Dann habe ich noch sechs übrig.

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