„Der gierige Mund der Habsucht wird nicht gefüllt, außer mit der Erde des Grabes."
☆☆☆
Die Zeit bei Sitty zerfloss viel zu schnell, denn wir hatten uns einiges zu erzählen.
Ich berichtete ihr von meiner Hochzeit mit Wali und von unserer Reise durch die Wüste mit fünfundvierzig Ziegen und sie im Gegenzug schilderte mir, wie sie von meinem Verschwinden erfahren hatte.
Anscheinend hatte mein Vater sie mithilfe einer Brieftaube informiert, dass man mich suchte, doch das hatte Sitty nicht gereicht und so war sie selbst jeden Morgen an den Stadtrand gegangen und hatte in den Ostwind gesprochen, in der Hoffnung, ich könnte ihre Stimme hören und ihr nach Hause folgen.
„Ich habe zurückgefunden", sagte ich und drückte ihre Hand, um ihr zu verdeutlichen, dass es nun keinen Grund mehr zur Sorge gab.
Sie tätschelte meine Finger, in ihren Augenwinkeln schimmerte ein silberner Tränenfilm. „Und ich danke Altair und seinen Brüdern dafür!"
Draussen wurde es allmählich dunkel.
Erschrocken darüber, dass ich einfach die Zeit vergessen hatte, sprang ich auf die Beine.
„Oh beim Sultan!", stiess ich aus. „Ich muss zurück! Wali wartet bestimmt schon auf das Abendessen."
Allein die Vorstellung, dass er zum Zelt zurückgekehrt war und es verlassen vorgefunden haben könnte — kein Feuer, das Wärme speicherte, keine Mahlzeit, die auf ihn wartete —, verursachte mir Bauchschmerzen. Vielleicht würde er erstmals richtig wütend auf mich werden. Er hatte schliesslich nur Eines von mir verlangt: Ihm eine ergebene Gefährtin zu sein.
Und ich hatte ihn komplett vergessen.
Meine Grossmutter erhob sich. „Er wird sich gedulden können."
„Nein, Sitty, das geht nicht", entgegnete ich und ging zum Ausgang.
Ihre Hand schnellte hervor und hielt mich zurück. Überrascht über ihre Forschheit und Kraft drehte ich mich um. Ihr Ausdruck hatte sich plötzlich verändert. Weg war die Unbeschwertheit von unserem Gespräch.
„Bitte, Najmah." Ihre Stimme klang merkwürdig belegt. „Bleib hier."
„Ich würde gerne, aber ich kann nicht."
So sehr ich auch länger bleiben wollte, ich durfte meinen Ehemann nicht vernachlässigen. Ich machte noch einen Schritt in Richtung Ausgang und erwartete, dass Sitty mich losliess.
Doch das tat sie nicht. Stattdessen zerrte sie an meinem Arm und zu meinem Schock begann sie zu weinen. Erst floss nur eine Träne über ihre eingefallene, gefurchte Wange, dann unzählige.
Ich erstarrte. „Sitty?"
Sie verharrte auf ihrem Teppich und weinte leise, ihre Hände hob sie an ihr Gesicht, um sich dahinter zu verstecken.
Ich legte den Kopf schief, trat näher heran und streckte meinen Arm nach ihr aus. Als sie ihre Hände von ihrem Gesicht zog und ich die Sorge, die tiefe Trauer und den Schmerz darin sah, meinte ich fast, ein Stechen in meinem eigenen Herzen zu spüren.
„Oh Najmah!", schluchzte sie und lehnte sich an meinen Körper. Sie klammerte sich an mich. „Bleib hier! Bitte bleib hier!"
Ich verstand die Welt nicht mehr und hüllte meine Arme um sie. Ein schweres Gefühl drückte mir auf die Brust, wie eine Art Ahnung. Ich konnte es nicht einordnen.
„Das geht nicht, Sitty. Es ist schon so spät. Ich muss zu meinem Mann."
Ein leises Schluchzen war zu hören, gefolgt von einem zittrigen Schniefen. Es brach mir mein Herz, sie so zu sehen.
DU LIEST GERADE
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Fantasy☆ Band II ☆ Gefangen in ihrer Zeit ergibt sich Najmah dem Schicksal, das sie seit Beginn ihrer Abenteuerreise erwartet hatte: Ein Leben ohne Magie, in welchem sie die treue Frau eines Nomaden wird. Die Rückkehr in den Palast von Azoul und in ihr Leb...