24 - Die Rückkehr der Sternenseherin

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"Die Gerechtigkeit ist Licht, die Ungerechtigkeit ist Finsternis."

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AMELA

Die Seife aus Sandelholz und Honig flutschte Amela beinahe aus den Händen. Schon seit die Sonne untergegangen war, wusch sie die Teller im Hinterhof.

Runa nahm seufzend die kleine Schüssel entgegen, welche Amela ihr hinstreckte und trocknete sie mit ihrem viel zu nassen Tuch ab.

„Heute waren es noch mehr als gestern", meinte Runa und strich sich mit dem Handrücken ein paar blonde Strähnen von der Stirn.

Amela nickte gedankenverloren. Heute waren es tatsächlich mehr hungernde Menschen gewesen, die sich in die Schlange gestellt hatten, in der Hoffnung, sie könnten etwas von dem Griessbrei mit Kamelbutter abbekommen, den sie in Unmengen über den drei Herden gekocht und an die Bedürftigen verteilt hatten.

Die Arbeit in der Armenküche, welche sie seit wenigen Tagen im Frauenhaus betrieben, war zermürbend. Den ganzen Tag hatte Amela Runa in der Küche geholfen. Es war nicht die Arbeit einer Prinzessin, aber Amela hatte die Ablenkung gebraucht. Besonders nach den Neuigkeiten von der Front.

Eine weitere, zerschmetternde Niederlage und massenhaft tote blaue Krieger.

„Morgen machen wir einen Kessel mehr", meinte Amela bloss.

Es gab hungrige Mäuler zu stopfen. Darauf wollte sich Amela konzentrieren. Der Krieg im Nordwesten, der mit jedem Tag näher zu rücken schien, spielte ihnen nicht in die Hände. Menschen rannten aus Angst vor den scharfen Säbeln der Dohad und ihren Kriegsbiestern davon, suchten in der Stadt und hinter ihren wackligen Mauern Zuflucht.

Wie lange Azoul halten würde, konnte keiner wissen. Das Erdbeben hatte bereits so viel zerstört und die Dohad würden die Stadt wahrscheinlich innert kurzer Zeit in Grund und Boden trampeln.

„Einen Kessel mehr", stimmte Runa der Entscheidung der Prinzessin zu.

Amela trocknete sich die Hände ab und goss das Seifenwasser in die Bodenrinne. Sie sehnte sich nach ihrem Bett und der beruhigenden Wärme von Sinans Körper neben ihr.

Da kitzelte etwas ihre Instinkte, so intensiv, dass sie den Rücken durchstreckte und beinahe den Waschtrog aus den Händen fallen liess.

Runa blickte sie verwirrt an. „Was ist?"

Ihre Freundin musste denken, dass ihr ein Schmerz vom vielen Schleppen und Stehen durch den Körper gejagt war. Beim allmächtigen Dschinn, die Prinzessin hatte sich noch nie in ihrem Leben körperlich so verausgabt, wie die letzten Tage, aber das hier war kein Schmerz!

Es kribbelte auf Amelas Haut. Überall.

Sie kannte dieses Gefühl!

„Bitte lass es wahr sein!", stiess sie aus und liess alles stehen und liegen.

Runa blieb perplex im Hinterhof zurück. Es zog Amela hinaus, denn das Signal kam von draussen. Von der Strasse. Von der Dunkelheit der Nacht.

Von den Sternen.

„Bitte. Bitte. Bitte", murmelte Amela sich selbst zu und durchquerte die Eingangshalle des Frauenhauses. „Bitte lass es wahr sein."

Die Amme Shir war gerade dabei, die Öllampen im Empfangsbereich zu löschen, als Amela die Tür aufriss und hinaus in die Nacht trat.

„Bitte, allmächtiger Dschinn, bi–"

Sie blieb wie angewurzelt stehen.

Durch die schmale Pforte, welche den Vorgarten des Frauenhauses von der Strasse trennte, wurde ein weisses Pferd hereingeführt. Es hatte keine Zügel, doch folgte das Tier einer Reiterin, die den Wasserfall an blauem Hängerosmarin, der über dem Torbogen wuchs, sanft zur Seite schob, damit sie beide hindurchschreiten konnten.

Zwischen Wunsch und WirklichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt