36 - Lügen und Zweifel

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Ich forderte sie auf, da wollte sie nicht; als ich sie aber gehen ließ, fing sie an zu bereuen.

☆☆☆

Zafar erwachte erst am späten Nachmittag, als die Hitze so unerträglich geworden war, dass ich mir ein Palmenblatt zur Hilfe genommen hatte, um uns frische Luft zuzuwedeln. Ein Wundheiler hatte es mir netterweise gebracht.

Der Sandleser ächzte, was ich als gutes Zeichen deutete. Seine Augen öffneten sich und schossen hin und her, während er vermutlich zu fassen versuchte, wo er sich gerade befand. Seine Pupillen bargen ihre gewöhnliche, dunkelgoldene Tönung in sich.

Ein enormer Stein fiel mir vom Herzen.

Zafar drehte den Kopf in meine Richtung. Eine irritierte Zuckung ging durch seine gespaltene Augenbraue, jene, die er sich mit der heftigen Kopfnuss nochmals aufgeschlagen hatte. Jasmilas Heilkräfte hatten die Wunde zwar verschlossen, aber eine zarte, rosa Linie deutete noch darauf hin, an welcher Stelle seine Haut aufgeplatzt war.

„Wie geht es dir?", fragte ich.

Ein Grummeln ertönte, dann hievte er seinen Oberkörper in eine aufrechte Position. Mit den Beinen trat er die Decke zur Seite.

„Warum liege ich im Lazarett?", ging er keineswegs auf meine Frage ein.

„Erinnerst du dich nicht?"

Den Blick, den er mir zuwarf, war streng. Er schien wieder der alte Zafar zu sein.

„Erinnern woran?"

Ich machte eine kreisende Gebärde, welche das Chaos um uns herum umfasste, das noch niemand weggeräumt hatte. Zafar liess den Blick über die demolierten und mittlerweile leeren Pritschen, den aufgewühlten Sand und das Blut am Boden schweifen.

Sein verwirrter Ausdruck verriet mir, dass er es tatsächlich nicht mehr wusste. Ich schluckte leer und rief mir ins Gedächtnis, dass es nicht er gewesen war, der agiert hatte, sondern die Dunkelheit. Sie war weit — viel zu weit — in seine Seele vorgedrungen.

„Du bist auf deine eigenen Männer los", verriet ich.

Zafar versteifte sich.

„Du hast sie schlimm zugerichtet. Zwei deiner Männer hast du bewusstlos geprügelt und einem Wundheiler hast du beinahe den Schädel eingeschlagen. Wir mussten dich überwältigen." Ich machte eine Pause, um ihm Zeit zu geben, alles zu verarbeiten. „Dann kam Jasmila ins Zelt. Du bist auf sie los wie ein tollwütiger Wolf."

Zafar starrte mich voller Entsetzen an. „Ich – was? Ist sie – wie geht es ihr?"

Er machte Anstalten, aufstehen zu wollen, doch ich hielt ihn an der Schulter zurück und zwang ihn, sitzen zu bleiben. Nach all dem, was geschehen war, hielt ich es für schlauer, wenn er liegen blieb. Er hatte sich mit diesem Anfall verausgabt. Wir wussten nicht, ob seine Kräfte fürs Aufstehen ausreichten.

„Sie ist wohlauf", beruhigte ich ihn. „Sie hat nur einen Sprung in der Lippe und ist mit dem Schrecken davongekommen. Es ist nichts, was sie nicht selber heilen kann."

Zafar sank zurück in sein Kissen, lehnte den Rücken an den Kopf seiner Pritsche und starrte ins Leere.

„Ich kann mich an nichts erinnern ...", murmelte er.

Das hatte ich befürchtet.

„Woran erinnerst du dich als Letztes?"

Zafar begann zu überlegen. Sein Blick hing in der Luft, während er die Bilder seines Gedächtnisses wachrief.

Zwischen Wunsch und WirklichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt