13 - Ein gefährlicher Gefallen

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„Jeder Knoten wird von jemandem gelöst."

☆☆☆

Seine Augenpartie hatte zwar erschreckend viel Ähnlichkeit mit jener des Palastbibliothekars, aber der Mann, welcher neben meiner Grossmutter stand, war nicht Adil. Trotzdem schlug mir mein Herz bis zum Hals.

„Du bist arg früh dran", tadelte Sitty den Besucher.

Dieser strich sich mit den Fingern durch die schwarzen, kurzen Haare. Er trug keinen Kopfbedeckung wie die meisten Männer in Kesh und obwohl er eindeutig ein Wüstennomade sein musste, hatte er eine fast vornehme Ausstrahlung.

Es war, als stünde ein Adliger vor mir.

„Ich konnte nicht mehr warten", erklärte er. „Entschuldige, Nour, ich war so aufgeregt!"

Meine Grossmutter seufzte, doch es war kein genervtes Seufzen, denn sie erwiderte sein Lächeln.

Ihre Hand deutete auf mich. „Das ist meine Enkelin, Najmah", stellte sie mich vor.

Das war der Moment, in dem ich mich demütig vor ihm hätte verbeugen müssen, doch ich schaffte es nicht, denn ich musste seine sanften Gesichtszüge mustern, die unter seinem stoppeligen, kurzen Bart versteckt waren. Und diese hellen Augen, die wie klares Wasser in einem Brunnen aus Kristall schimmerten.

„Najmah, das ist Araf. Unser Nachbar. Er hat sich vor Kurzem entschieden, sesshaft zu werden."

Ich brachte keinen Ton über meine Lippen.

Arafs Blick haftete auf mir und schien meine Intensität zu erwidern. Er wirkte von meiner Erscheinung ebenso überwältigt wie ich von seiner und ich wusste nicht, ob es an meinem blauen Auge lag, welches ich selbst mit Kopftuch nicht zu verbergen vermochte, oder an etwas anderem.

Meine Grossmutter schaute von mir zu Araf und wieder zurück. „Kennt ihr euch bereits?"

Ich schaffte es noch immer nicht zu sprechen. Zum Glück übernahm unser Besucher das Wort.

„Wir kennen uns nicht", erwiderte er und legte seine Hand aufs Herz.

Ich stutzte, als er seinen Kopf respektvoll zum Gruss neigte. Das war nicht die kasbahrische Begrüssung.

„Aber ich glaube, wir sind uns auf den Gassen von Kesh bereits einmal begegnet", fügte er an und schenkte mir ein Augenzwinkern.

Meine Kehle wurde trocken. Ich musste mehrmals schlucken, bis ich es schaffte, Worte in meinem Mund zu formen.

„Sehr erfreut, dich kennenzulernen, Araf", brachte ich endlich hervor.

Seine Augen kräuselten sich mit dem warmen Lächeln, welches mir galt.

„Die Freude ist ganz meinerseits, Najmah Beduni, Enkelin der berühmtesten Ausbildnerin von Kesh."

„Bitte, Araf", meinte Sitty und deutete auf den Teppich am Boden neben der Stelle, an welcher ich schon seit Tagen verweilte. „Setz dich doch zu uns. Ich koche gleich Tee auf und dann können wir alles besprechen."

Araf nickte und trat mit einem höflichen, langsamen Gang in die Stube. Seine Augen wanderten über die spärliche Innenausstattung, dann liess er sich im Schneidersitz zu Boden gleiten. Er stützte seine Arme auf den Oberschenkeln ab und beobachtete Sitty dabei, wie sie den Tee zubereitete.

Ich setzte mich mit genügend Abstand zu Araf ans Fenster und musterte ihn von der Seite. Es war erstaunlich, wie sein Profil jenem des Wüstenprinzen aus Azoul glich, doch war seine Stirn nicht vor Verdrossenheit verzerrt — so, wie es bei Adil die meiste Zeit der Fall gewesen war — nein, seine Gesichtszüge waren entspannt, zufrieden, fröhlich.

Zwischen Wunsch und WirklichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt