Kapitel 9: Heimlicher Besuch

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Er sollte hier nicht sein. Absolut nicht. Er sollte sich nicht sorgen und vor allem keine Schuldgefühle haben. 

Unruhig trat Marcus von einem Bein aufs andere und blickte immer wieder unruhig die Korridore entlang, welche jedoch verlassen von jeglichem Leben friedlich und still dalagen. Es war immerhin kurz vor Sperrstunde und er sollte sich eigentlich schleunigst in seinen Gemeinschaftsraum verziehen – doch sein Körper verweigerte den Dienst. 

Seit mehr als fünf Minuten haderte er hier mit sich selbst, starrte die Tür zum Krankenflügel an und versuchte sich auszureden, dass er hier nur der Challenge wegen hier war, und nicht etwa um zu sehen, wie schwer er Wood wehgetan hatte. 

Nein, ihm ging es hier nur darum zu wissen, wann er den nächsten persönlichen Angriff gegen den Gryffindor starten konnte. Genau, das war's. Ein ganz typisches Slytherin Ding, auszukundschaften, wie sehr man den Gegner übertroffen hatte. Tat ja sicherlich jeder, der einen Rivalen im anderen Haus hatte, oder nicht? 

Unsicher wanderte Marcus Blick wieder zur Tür. Ihm war klar, dass er nicht wirklich reingehen konnte. Was sollte er denn Madame Pomfrey für eine Geschichte auftischen? Sie würde ihm nicht glauben, dass er sich um Woods Wohlergehen sorgte. Ohne triftigen Grund, und den hatte er ja nicht, würde ihn die Hexe sicher nicht hereinlassen. 

Er ersparte sich eine peinliche Unterhaltung, wenn er jetzt einfach umdrehte und ging. Wenn das nur gehen würde! Oh, zum Teufel mit diesen Gefühlen – die natürlich nur feindschaftlicher Natur waren. 

Marcus war frustriert, etwas, das ihm in letzter Zeit einfach zu oft passierte. Und wieder war es Woods Schuld. Scheiß Gryffindor. Was auch immer Wood mit ihm angestellt hatte, es ließ ihn nicht los, es verging nicht, egal wie viel Zeit verstrich. 

Plötzlich erklangen leise Geräusche hinter der Tür des Krankenflügels. Erschrocken horchte Marcus auf. Da näherten sich eindeutig Schritte. Panik ergriff von ihm Besitz, denn auf keinen Fall sollte ihn jemals jemand hier entdecken, also nahm er die Beine in die Hand und sprintete den Flur hinunter in das nächstbeste Versteck. In diesem Fall lag das hinter einer verstaubten Statue irgendeines Zauberers. 

Marcus presste sich dicht hinter dem kalten Stein an die Wand und lauschte angestrengt, mit pochendem Herzen. 

Die Tür zum Krankenflügel wurde aufgestoßen und die Schritte eilten den Gang hinab, den er eben entlang geflüchtet war, direkt auf ihn zu. Wie erstarrt wartete er darauf, was jetzt passieren würde, den Atem angehalten. Was würde er sagen, wenn man ihn hier fand? 

Die Schritte kamen näher, waren auf Höhe der Statue, und jetzt müsste man in eigentlich auch sehen . . . aber die Person lief unbeirrt weiter, als hätte sie ihn gar nicht bemerkt. Es war Madame Pomfrey persönlich, welche es so eilig hatte, dass sie weder nach links noch nach rechts blickte. 

Als sie am Ende des Ganges um eine Ecke verschwand, atmete Marcus erleichtert auf wagte es, seine angespannte Person von der Wand zu lösen. Das war knapp gewesen. 

Er trat selbst wieder auf den Gang hinaus. Jetzt, wo die Bewacherin der Krankenstation fort war, könnte er es ja riskieren einen ganz, ganz kurzen Blick auf Woods Zustand zu werfen. Natürlich nur um festzustellen, ob er beim nächsten Mal fester zuschlagen musste. Er hatte das vorhin ja fälschlicherweise als "Sorge" betitelt. 

Er huschte den Weg zurück, öffnete die Tür nur einen spaltbreit und zwängte sich dann hindurch in den im Dämmerlicht liegenden Raum. Als er sich umsah, stellte er fest, dass die meisten Betten nicht belegt waren, mit Ausnahme einer relativ jungen Hexe (er vermutete eine Zweitklässlerin) welche beim genaueren Hinsehen schlimme Brandblasen auf Gesicht und Hals aufwies. 

Sie schlief, genauso wie Wood, den er kurz darauf fast am entgegengesetzten Ende des Raumes erblickte. Zögerlich näherte er sich ihm. 

Marcus wusste, dass er sich beeilen sollte, denn er hatte ja keine Ahnung, wann Pomfrey zurückkehren würde. Vielleicht wollte sie nur schnell etwas hohlen, dass sie dringend brauchte, was ihre Eile erklären könnte. Mit einigen Metern Abstand blieb er stehen und besah sich den Gryffindor. 

Wood war blass und der Effekt wurde durch das fehlende Licht nur noch verstärkt. Er hatte eine kleine Schramme über der Augenbraue, die wohl von der unangenehmen Bekanntschaft mit dem Boden unter den Torringen herrührte. Sicherlich hatte er sich beim Fall mehrere Rippen gebrochen, nicht zu vergessen war aber vor allem der Schaden, der durch den Klatscher entstanden war. Wie schlimm hatte der ihm wohl zugesetzt? 

Unweigerlich wagte sich Marcus noch etwas näher an das Krankenbett seines Feindes heran, bis er direkt neben Wood stand. Nachdenklich, aber eingehend, betrachtete er ihn für einige Sekunden, wobei er in seltsamen Gedanken schwelgte, die ihm noch nie zuvor wichtig gewesen waren. 

Sollte er sich bei Wood entschuldigen? Aber wofür? Er hatte eigentlich nur das getan, was er immer tat, nämlich andere mutwillig verletzt. Kam ja beim Quidditch schließlich vor. Und in den Regeln stand nicht beschrieben, dass nur die Treiber Schläger und Klatscher benutzen durften. 

Foul hin oder her, er hatte sich einfach nur auf das Spiel konzentrieren wollen und Wood mit seinem dämlichen Gegrinse hatte eben gestört (und ihm vor allem mehr abgelenkt, als er jemals zugeben würde). Trotz alledem hatten sie verloren, was schon seit Jahren nicht mehr vorgekommen war. Diese Niederlage war mehr als erdrückend gewesen. 

Marcus biss sich plötzlich auf die Lippe und der Schmerz brachte ihn augenblicklich in die Wirklichkeit zurück. In Gedanken schwelgen war doch eigentlich auch nicht sein Ding. Wieder etwas, an dem Wood Schuld war. Diese ganzen verdammten Veränderungen in seinem ganzen Wesen trieben ihn noch in den Wahnsinn! 

Unschlüssig wanderte sein Blick zwischen dem Gryffindor und dem Boden zu seinen Füßen hin und her. Was brachte ihm das Ganze hier eigentlich? Nichts und wieder nichts. Wood war noch immer ausgeknockt und würde sicher noch ein paar unschöne Tage hier im Krankenflügel verbringen. Er wusste ja selbst, dass selbst mit Magie nicht alles auf Knopfdruck zu heilen war. 

Marcus hatte es geschafft und ihn erfolgreich aus dem Verkehr und seiner eigenen Reichweite gezogen. Keine unerwünschten Ablenkungen, keinen Drang Wood anzusprechen, auch wenn es nur zu provokanten Zwecken war. Wahrscheinlich hatte er sich damit einen großen Gefallen getan – auch wenn es sich falsch anfühlte. 

Als Wood im Schlaf leise aufstöhnte, wohl vor Schmerzen, zuckte Marcus zusammen. Er sollte jetzt am besten gehen. Mit geballten Fäusten riss er sich zusammen und huschte auf lautlosen Sohlen davon und ließ den verletzten Gryffindor zurück, den Geist mit allerlei unschönen Gedanken bewölkt.

Als er endlich seinen Gemeinschaftsraum erreichte, fühlte er sich auf einmal so ausgelaugt, als würde er selbst auf der Krankenstation liegen. Nicht auf die anderen reagierend, die wissen wollten wo er gewesen war, lief er schnurstracks auf sein Zimmer und warf sich aufs Bett. Was passierte nur mit ihm?

Chasing you down againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt