Kapitel 5

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Kapitel 5

Nach diesem anstrengendem Vormittag bin ich endlich im Bus auf dem Weg nach Hause. Nur leider ist der Bus ziemlich voll, sodass ich stehen muss. Und, wie es das Schicksal so will, steigt Custos ein und stellt sich direkt neben mich. Auf diese Enge muss ich leider seinen Duft einatmen. Ein leichter Hauch von Aftershave. Eigentlich gar nicht so schlecht. Verdammt, dieser Typ macht mich noch ganz verrückt!
,,Äh ... ich müsste da jetzt raus. Kannst du mich vielleicht durch lassen?" Ich zittere total. Aber warum nur?
,,Ich muss hier auch raus, Aysu." Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit.
Die Tür öffnet und Custos und ich steigen aus.
,,Zieh dir mal was besseres an. Deine Klamotten - geht gar nicht!" Jetzt ist der Moment gekommen, an dem ich ihn hassen sollte. Ich schaue an mir herunter. Das leichte T-shirt betont nicht meine Figur, genau so wenig, wie meine Jeans. Ich will nicht, dass jemand sieht, wie abgemagert ich mittlerweile bin.
,,Also ich finde es nicht schlimm", entgegne ich leicht gereizt.
Ich wende mich ab und gehe schnurstracks zu unserem Haus. Dad ist noch nicht da. Also verschwinde ich in meinem Zimmer.
Für meine Hausaufgaben brauche ich knapp zwei Stunden, bis ich mich endlich auf mein Bett legen kann und die Decke anstarre.
Die Elfe erscheint. Mir fällt das Gespräch mit Custos wieder ein. ,,Ich hab dich gestern und letzte Nacht beobachtet. Nina war auch da. Sie ist meine Mentorin. Immer zu Vollmond zeigt sie mir die Jagd, die Verteidigung und der gleichen. Aber letzte Nacht, da hat sie mir dich gezeigt. Und sie meinte, dass du unsere letzte Hoffnung auf Frieden sein wirst, wenn du 17 bist."
Was hatte er damit gemeint? Wer ist Nina? Wie konnte er mich beobachten? Warum lernt er die Jagd, die Verteidigung? Warum nur bei Vollmond? Auf dieser Welt herrscht doch Frieden, oder?
Die Elfe schaut mich mit ihren himmelblauen Augen wissend an. Kann sie sprechen? ,,Wer bist du?" Ich zittere etwas.
,,Ich bin Elfe Nina. Unserer Welt droht der Untergang, wenn du uns nicht hilfst. Als Elfe bin ich machtlos." Ihre Stimme ist wunderschön. Zärtlich und so tieftraurig.
,,Kannst du mir ein paar Antworten geben?"
,,Natürlich, Aysu."
Ich stutze. ,,Woher kennst du meinen Namen?"
,,Den kennt hier jeder."
,,Wen meinst du mit ,Wir'?"
,,Die Bewohner deines Imperiums."
,,Was für ein Imperium?"
,,Je mehr du fragst, desto schwächer werde ich. Noch zumindest. Wenn du 17 bist, beginnt deine Ausbildung. Wir wissen, dass nur du uns helfen kannst."
Elfe Nina ist schon während unserem Wortwechsel blasser geworden. Nun ist sie ganz verschwunden.
Ich höre die Haustür plautzen. Dad muss da sein. Die beste Gelegenheit, ihn zu fragen, ob er Elfe Nina kennt oder ob er sie sehen kann.
,,Na Aysu, wie war dein Tag", ruf er gut gelaunt die Treppe hinauf.
,,Ja, er war scheiße. Ich habe schon Bekanntschaft mit einem total idiotischem Custos gemacht. Er sieht aus wie ein Grufti. Außerdem ist Mr. Noyan mega fies zu mir. So wie Mona. Und bei dir so?" Das sollte ich gewiss nicht antworten. Allein, weil es Dad Sorgen bereiten würde.
,,Naja. Ich denke, ich sollte ihn als ganz gut einschätzen. Und wie war dein Tag so?" Jetzt steht er an meinem Türrahmen, noch in schicken Arbeitssachen.
,,Auch ganz gut. Ich habe ein eigenes Büro mit Blick auf's Grüne. Wunderbar." Er schwärmt ja richtig. Allerdings bezweifle ich, dass es ihm wirklich so unglaublich gut gefällt. Schließlich ist Mom nicht hier.
Mit leerem Blick schaue ich zu meiner Decke hoch. Elfe Nina beobachtet uns. Ihre Augen sind nass geworden. Hat sie geweint?
,,Dad? Schau mal an die Decke. Siehst du sie auch?"
Dad folgt meiner Bitte und wird kreidebleich.
,,Wen?", fragt er tonlos. Seine gute Laune sinkt bis in den Keller.
,,Elfe Nina. Sie sieht aus wie Mom."
,,Noch nie gehört." Er macht auf dem Absatz kehrt und geht zurück in die Küche. Ich starre ihm hinterher. Er muss sie gesehen haben. Sonst wäre er nie so blass geworden. Und er muss sie kennen. Warum kennt er sie, ich aber nicht? Weiß er von dem Imperium? Aber das wichtigste ist doch: woher weiß er das?
Ich schaue wieder zur Decke hinauf, doch Elfe Nina ist bereits weg.
Noch bevor ich mir weiter Gedanken darüber machen kann, vibriert mein Handy. Ein kurzer Blick darauf und ich verfalle noch mehr in Panik:

Wir sehen uns Samstag Nacht im Wald. Sei um 12:00 Uhr am Rande der Lichtung. Ich werde dir Antworten auf deine verrückten Fragen geben können.

Wer ist das? Woher hat dieser Jemand meine Nummer? Will man mich entführen? Oh je. Bitte nicht das, mir wird schlecht. Außerdem ist dieser Jemand ziemlich unhöflich. Aber ich habe im Moment lauter verrückte Fragen. Und die kann ich nicht einfach so verdrängen. Heute ist Donnerstag. Ich habe also noch knapp zwei Nächte, um mich zu entscheiden. Jetzt allerdings habe ich noch nicht die geringste Lust dazu, in diesen Wald zu gehen. Schließlich kann ich ihn nicht ausstehen.
,,Du solltest dahin", flüstert eine zärtliche Stimme. Ich erschrecke förmlich. Fast hätte ich geglaubt, es wäre Mom gewesen, doch als ich Richtung Decke blicke, woher die Stimme kam, erkenne ich, dass es Elfe Nina war.
Ich weiß, dass sie verschwindet, wenn ich sie zu viel frage. Also muss ich mich zurückhalten. ,,Okay. Ähm ... dann schreib ich demjenigem zurück, wenn das nicht verboten ist." Fast hätte ich gefragt, ob ich ihm zurückschreiben soll. Glück gehabt.
,,Natürlich. Ich würde es dir sogar empfehlen, meine Kleine", zwinkert sie mir lächelnd zu.
So schnell wie ich es nur kann, trommle ich auf meine Tastatur ein:

Wer auch immer du bist - ich werde kommen.
Aysu

Ich lege mein Handy weg und bedanke mich noch bei Elfe Nina, dass sie so nett zu mir ist, dann gehe ich runter in die Küche, um Dad beim Abendbrot machen zu helfen. Aber als ich unten ankomme, sehe ich ihn nur verzweifelt den Kopf in die Hände gestützt am Tisch sitzen.
,,Äh" Ich beschließe, es vorerst zu ignorieren. ,,Dad? Was gibt es heute zu Essen?"
,,Mach dir was Leckeres, Liebes, ich muss nochmal los. Meine zweite Schicht beginnt gleich." Er sieht nicht einmal zu mir auf, als er die Worte leise ausspricht.
,,Wann bist du wieder zu Hause?"
,,Gegen zwölf. Gute Nacht dann" Seit wann ist er denn so unfreundlich und kalt? Dad steht einfach auf und geht. Und ich bin wieder allein da. Super.
Ich habe keinen Appetit und steige die Treppe wieder hoch. Auf meinem Bett angekommen wünschte ich, Elfe Nina würde erscheinen und mich trösten. Doch sie kommt nicht. Ich fühle mich so allein wie noch nie zuvor. Wenn auch nur eine einzige Person hier wäre. Mir fällt ein, dass ich Custos meine Handynummer gegeben habe. Aber ich habe nicht Seine. Sonst könnten wir uns jetzt schreiben oder gar treffen. Verdammt, was denke ich mir hier bloß? Ich kann Custos nicht ausstehen. Er hat Lilli gesagt, sie solle gefälligst weggehen. So etwas macht man doch nicht! Die Freunde einer beliebigen Person einfach so aus Langeweile, weil einem danach ist, verscheuchen!
Irgendwas läuft bei mir echt total schief. Ich sehe übernatürliche Kreaturen an meiner Zimmerdecke, die sich bewegen, und spreche sogar mit ihnen. Na gut, mit dem Werwolf habe ich noch kein einziges Wort gewechselt, aber trotzdem. Und dann verwirrt mir noch Irgendjemand meine Gedanken. Super. Ein Blick aus meinem Fenster lässt mich schaudern. Nachts sieht der Wald noch gruseliger aus. Wie konnte ich nur dem zustimmen, mich mit einer mir unbekannten Person - oder Kreatur - in diesem Wald zu treffen? Dazu auch noch Mitternacht?
Trotz der unbehaglichen Gedanken, die in meinem Kopf herumschwirren, schlafe ich schließlich ein. Morgen muss ich noch den letzten Tag Schule überstehen und dann ist endlich Wochenende. Ich freue mich schon auf ein paar freie Tage. Wenn ich nicht mitten in der Nacht in den Wald müsste.

wolf fireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt