Kapitel 8

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Kapitel 8

Es ist, als würde man bemerken, dass man gar nix kennt von seinem Ehegatten, mit dem man nun schon über Jahrzehnte verheiratet ist. Genau so wenig weiß ich über diesen Wolf - oder Werwolf? Doch ich würde gern herausfinden, woran er gestorben ist. Es scheint, dass er an Mord gefallen ist, weil diese Schrift, Vos poeniteat., sehr verräterisch aussieht. Wenn mein Traum wahr ist, wer war dann dieser Werwolf?
Meine Augen weiten sich, als Jemand von hinten eine Hand auf meinen Mund presst, sodass mein erneuter Schreckensschrei gedämpft wird. Mit der anderen Hand hält er mein Handgelenk, damit ich mich nicht umdrehen kann. Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, dass ich gerade auf einem Werwolf, meiner schlimmster Angst, hocke! Verzweifelt und immer noch versuchend, zu schreien, probiere ich, mich aus seinen Fängen zu winden. Doch ich bin zu schwach. Wir wirbeln während des Kampfes ordentlich durch das Laub, welches noch vom Herbst liegt.
Letztlich gebe ich entkräftet auf. Ich muss mich von meinem Schock beruhigen. Einatmen, ausatmen. Ganz tief. Puls beruhigen. Konzentration. Das würde mir jetzt Mom empfehlen. Aber ihr Rat hilft mir nicht zwingend weiter. Vor allem nicht, als mich dieser Jemand langsam zu sich herumdreht und ich befürchten muss, dass ich auf seinem Schoß sitze. Peinlich. Ich blicke in smaragdgrüne Augen, wie auch der Werwolf sie hatte. Nur das diese vor mir stärker, ja geradezu übernatürlich strahlen als die des Tieres.
,,Du solltest hier nicht sein. Siehst ja, was daraus werden kann." Mit einem Kopfnicken deutet er auf den leblosen Körper. ,,Nur mit Begleitung eines Imperianers. Und jetz komm. Geh entweder auf den Weg für deine Waldbesuche oder gleich ganz raus!" Er hat eine raue, bedrohliche Stimme. Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken.
Sein Gesicht ist so nah an meinem, dass ich nervös werde.
,,Äh ... natürlich ... ich äh ... wollte eh grad weg hier." Verfluchtes Stottern!
Jetzt nehmen die Augen wieder menschlichen Glanz an und ich erschrecke bereits zum dritten Mal an diesem Tag. Diese Augen gehören CUSTOS! Zum Glück hält er mich nicht mehr fest und ich kann flüchten.
Ich renne und renne, und stolpere. So schnell es halt geht. Nur leider will dieser Wald kein Ende nehmen. Laufe ich in die falsche Richtung oder im Kreis? Egal. Hauptsache weg von Custos. Er schien mir fast ein bisschen zu fürsorglich. So, wie es schon einmal der Fall war. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt, als er plötzlich hinter mir stand. Aber warum haben dann seine Augen so übernatürlich gestrahlt? Warum klang seine Stimme so anders? Und was ist ein Imperianer? Das klingt, als wäre das so eine Person - oder Kreatur - aus einem Imperium. Mein Traum kommt mir erneut in den Sinn. Auch ging es da um ein Imperium. Aber egal wie, ich werde nicht schlau aus meinem Informationen. Eher verwirrter.
Der Himmel verdunkelt sich, je weiter ich renne. Mein Haar verfilzt sich in den Ästen und Zweigen der Bäume. Meine Beine beginnen zu schmerzen und ich ringe mittlerweile um Atemluft. Eine Pause wäre jetzt nicht schlecht. Außerdem beginnt es zu nieseln. Die Tropfen werden immer größer, immer schwerer. Der Boden wird nass und schlammig und ich muss mich bemühen, nicht zu fallen oder auszurutschen. Aus dem Nieselregen wird Gewitter. Immer wenn ein Blitz den Wald erhellt, sehe ich vor mir verschiedenste Wesen. Eine Angst überkommt mich.
Ich muss aber weiter rennen. Sobald ich stehen bleibe, weiß ich, dass ich noch einmal vor Custos stehe. Doch es ist nicht Custos, in den ich ziemlich ungeschickt knalle, sondern Justus. Auch das noch.
,,Was machst du denn hier, Aysu?" Justus hält mich fest umschlungen. Ich werde wieder nervös. Am besten, ich versuche es gar nicht erst mit dem Sprechen, sonst stottere ich wieder.
Justus streicht mir mit seinen langen, schlanken Fingern eine nasse Strähne hinters Ohr. Eine zärtliche Geste von ihm.
,,Hab ich dir schonmal gesagt, dass du total schöne Augen hast?"
Ich glaube, ich bin verliebt. Auch ich halte meine Arme um seinen starken Oberkörper. Ein Kribbeln macht sich in meinem Magen breit. Seine brauen Augen passen einfach perfekt zu seinen blonden Haaren. Justus hat wunderschöne volle, geschwungene Lippen. Das Gewitter bemerke ich schon fast gar nicht mehr. Ich bin einfach nur glücklich, jetzt vor Justus zu stehen.
Unsere Köpfe kommen sich langsam aber sicher näher. Wenn das Wasser über sein kantiges Gesicht fließt, wirkt er noch schöner.
Und dann passiert es. Wir sind uns so nah, dass ich seine Lippen auf den meinen spüre. Von dem Gefühl noch völlig überwältigt schließe ich meine Augen und gebe mich diesem langem, wunderbarem Kuss hin. Würde ich nur noch ein Gefühl empfinden können, so würde ich mich für dieses entscheiden.
Es ist überhaupt mein erster Kuss. Sonst fanden mich Jungs immer uninteressant und ich sie auch. Aber da habe etwas gewaltig verpasst.
Wir küssen uns immer noch, als der Regen langsam nachlässt. Erst als Justus von mir ablässt, öffne ich die Augen und unsere Blicke treffen sich. Und das schöne Gefühl veklimmt langsam.
Hinter ihm kann ich einen grellpinken Schatten wahrnehmen. Aber auch die Tatsache, dass wir in einem Wald stehen, verdränge ich erfolgreich. Doch das wird mir - wie es das Schicksal so will - wieder einmal zum Verhängnis. Es ist Mona. Ich komme mir vor, als wäre hier Klassentreffen oder so.
Sie stupst Justus nur ganz leicht an die Schulter und dieser wendet sich von mir und unserer Umarmung ab. Mich überkommt das Gefühl von Einsamkeit und Trauer zugleich. Gerade als ich mich umdrehen will um davon zu rennen, hält mich Mona auf.
,,Wo willst du denn hin? Du bist neu und mitten im Wald. Du wirst schon unsere Hilfe brauchen, um hier raus zu finden." Wie sie das Wort unsere ausspricht macht mich noch betrübter.
,,Na schön. Und in welche Richtung müssen wir?"
,,In die, aus der du gekommen bist." Justus' kalte Stimme versetzt mir einen Stich.
,,Na dann ...", sage ich so anonym wie möglich und beginne im Regen los zu gehen.
Meine Klamotten sind total durchgeweicht und mir ist kalt. Ich fürchte, ich klappere schon mit den Zähnen.
Das Treffen mit Lillesol kann ich vergessen. Es ist bestimmt schon fast Abend. In der Hoffnung, dass es noch funktioniert, ziehe ich mein Handy aus der Tasche und tippe eine SMS an die ein:

Sorry, ich kann nicht kommen, außerdem regnet es noch und es ist ja eh schon zu spät. Tut mir leid.
Aysu

Der Marsch durch den Wald kommt mir viel zu lange vor. Ich kann erst unserer Haus sehen, als die Sonne schon fast untergeht. Dort dann angekommen, schmeiße ich mich zunächst völlig erschöpft auf mein Bett und denke über die Ergebnisse des Tages nach.

wolf fireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt