Kapitel 1
Dad und ich sitzen im Flugzeug nebeneinander. Er liest zur Ablenkung ein Buch und ich male. Wenn ich das tue, kann ich am besten nachdenken, und genau das brauche ich jetzt, um einen klaren Kopf zu bekommen.
Vor unserer Abreise hat Dad mir alles genaustens erklärt, dass wir in Wernigerode, nahe am Waldrand wohnen, auf einer ruhigen Straße im Harz. Gestern musste ich noch Aicha lebe wohl sagen. Sie ist - oder war - meine beste Freundin und wie man sich vorstellen kann, fiel mir der Abschied sehr schwer.
Das Grab von Mom ist es jetzt, was ich vor mir sehe. Als ich das letzte Mal davor stand, um mich auch von meiner Mom zu verabschieden, verspürte ich das Stechen in der Brust so stark, wie noch nie zu vor. Schmerzt Abschied immer so sehr? Es ist das erste mal, dass ich umziehe, daher kommt mir alles noch so unbekannt vor. Aber ich wünsche es auch keinem, der noch nie umgezogen ist - es ist das schrecklichste Gefühl, nach dem Tod der eigenen Eltern. In den letzten drei Monaten habe ich sehr wenig Appetit gehabt, daher sehe ich auch sehr abgemagert aus. Um Dad steht es nicht viel anders. Aicha meinte, sie wäre auch gern so dünn, aber ich selbst fühle mich nicht wohl in meiner Haut.
Unter mir zieht die Landschaft vorbei, während die Spätfrühlingssonne untergeht. Es sind atemberaubende Bilder und ich versuche sie, so gut es geht, mir einzuprägen, um sie später auf das Papier zu bringen.
Ich wende meinen Blick ab und beobachte Dad. Er sieht noch mehr mitgenommen aus als ich.
,,Dad?"
,,Ja, meine Kleine?"
,, Sie ist doch noch da, oder? Sie ist in unseren Herzen und lebt darin weiter, oder?" Meine Stimme zittert etwas und ich hoffe, dass das niemand mitbekommt, was wahrscheinlich doch der Fall ist, denn Dad sieht mich besorgt von der Seite an.
,,Sie wird uns immer begleiten. Und den Wald mochte sie immer am liebsten. Dir wird es sicher auch gefallen, Aysu.", versucht er mich zu trösten. Ich würde jetzt gerne etwas erwidern, doch ich habe einen Klos im Hals. Also nicke ich nur und male wieder gedankenverloren an meinem Bild weiter.Ich sitze im Krankenhaus neben Mom. Sie sieht mich fast leblos an. Tränen rollen mein Gesicht hinunter. Ich weiß, dass sie jetzt sterben wird.
,,Aysu, Kleine, du wirst die Macht in dir nicht abschütteln können. Du wirst kämpfen müssen und Schmerz überwinden. Aber verspricht mir eins, gib niemals auf." Ihre Stimme klingt zittrig, verzweifelt und schwach, doch ihre Worte sind von großer Bedeutung. Ich weiß nicht, was sie mit Macht meint, daher bin ich erst einmal nur verwirrt. Dennoch nicke ich. Ich will, dass sie auch in ihrer letzten Stunde noch einmal glücklich sein kann. Das Nicken erfüllt seinen Zweck, denn sie lächelt.
,,Danke. Ich liebe dich, Aysu, vergiss das nicht", sie flüstert so leise, dass ich mich zu ihr herunterbeugen muss um sie zu verstehen. Aber wie könnte ich vergessen, dass sie mich liebt? Ich verdränge den Gedanken und schaue sie liebevoll an.
Dann schließt sie die Augen. Dieser Anblick versetzt mir einen Stich. Ihre Hand, die ich halte, wird kälter, aber sie lächelt. Und das ist das einzigste, was jetzt für mich zählt. Ich spüre ihren Puls nicht mehr und werfe einen vorsichtigen, verzweifelten Blick zum EKG. Es ist nur noch ein Strich zu sehen, einfach ein Strich. Nichts weiter. Ich starre Mom an, ihr Brustkorb hebt und senkt sich nicht mehr. Sie ist tot. Mein Blick verschwimmt und ich beginne zu weinen.Verschreckt wache ich aus meinem Traum auf. Das war eindeutig ein Flash Back.
Ich sehe mich um und bemerkte, dass wir zur Landung ansetzten. Eine Landung ins Ungewisse.
Wenn ich so daran denke, neben einem Wald zu wohnen, bekomme ich schon so ein unbehagliches Gefühl. Wälder könnte ich noch nie leiden. Vielleicht liegt es daran, das ich schon einmal einen riesigen Wolf gesehen habe, der mich angeknurrt hat. Aber dann ist Mom gekommen und er ist verschwunden. Mom meinte, nachdem ich ihr das erzählte, ich hätte wieder im stehen geträumt. Aber sie hat so nachdenklich ausgesehen. Seit dem meide ich den Wald und seine Bewohner, aus Angst, ich würde den riesigen Wolf wieder sehen. Ich kann nur hoffen, dass es nicht auch in Deutschland nur so von Wölfen wimmelt.
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wolf fire
Paranormal,Ich sitze im Krankenhaus neben Mom. Sie sieht mich fast leblos an. Tränen rollen mein Gesicht hinunter. Ich weiß, dass sie jetzt sterben wird. ,,Aysu, Kleine, du wirst die Macht in dir nicht abschütteln können. Du wirst kämpfen müssen und Schmerz...