Kapitel 11
Elenya Borray sieht mich mitfühlend von der Seite an. Mein Blick wandert auf das Fenster zu. Kurz vor Sonnenuntergang. Wahrscheinlich ist es jetzt schon halb acht. Also noch eine halbe Stunde zu verstreichen.
,,Du brauchst eine Mentorin", meint jetzt die Pythonissam und ich wende mich wieder ihr zu. ,,Deine Mom kann es dir nun nicht erklären. Du brauchst jemanden, der dir das alles beibringt. Noch weist du mit deinen Fähigkeiten nichts anzufangen." Fähigkeiten?
,,Und wer soll das dann sein?"
,,Ich."
,,Du?"
,,Ja, ich."
,,Und woher weißt du das alles?"
,,Ich war eine gute Freundin deiner Oma." Elenyas Blick verschleiert. Trauer?
,,Auch eine Imperatrix?"
,,Ja, sie war es auch, eine sehr gute sogar. Jetzt wandelt sie als Elfe. Wie deine Mom." Ein Stich in meiner Brut erinnert mich daran, als ich vorsichtig nicke. Auch mich überkommt die Trauer.
,,Da sie es dir aber nicht richtig zeigen kann, werde ich euch helfen. Hast du morgen Zeit?"
Ich denke an das Kino mit Justus, mein Bauch beginnt allein bei dem Gedanken verrückt zu spielen. ,,Nein. Am Dienstag? Geht das?"
,,Ja. Am besten wäre jeden Tag Training. Aber gut. Montags gönnen wir uns also immer eine kleine freie Zeit. Naja, ich muss dann auch schon wieder weiter. Andere Patienten, verstehst du?" Elenya Borray lächelt mich fröhlich an. Ist das normal, dass ihre Stimmung sich so schnell ändert oder nur vorgetäuscht?
Die Schwester steht auf und verlässt den Raum. Ich habe keine Lust, länger hier zu sitzen und mich zu langweilen, daher möchte auch ich mich in diesem riesigem Krankenhaus umschauen.
Meine ersten Schritte sind noch etwas unsicher, aber damit komme ich klar. Außerhalb des von der Tür verriegeltem Raumes bietet sich mir ein vielleicht 200 Meter langer, menschenleerer Flur, dessen Wände mit Bildern bestückt sind. Ich sehe sie mir näher an. Auf dem einen ist eine ältere Dame, die Ähnlichkeiten mit Elenya hat, gemalt. Darunter steht, dass sie Leiterin und vor allem auch die beste Krankenschwester ist. Kein Wunder für eine Pythonissam, die heilen kann.
Auf dem nächsten Bild ist ein Patient abgebildet mit der Unterschrift, dass er der bekannteste und auch beliebteste aller Patienten ist.
Noch ehe ich weiter die vielen Bilder der einzelnen Personen betrachten kann, öffnet sich eine Tür am Ende des Flures. Ich sehe, wie ein Mann mittleren Alters hineingestürmt kommt. Er ist käseweiß im Gesicht und rennt geradewegs auf mein Zimmer zu. Geht hinein. Kommt wieder heraus. Mit noch mehr weiß im Gesicht - falls das überhaupt funktioniert. Dann blickt er sich um, als würde er etwas oder jemanden suchen. Er entdeckt mich. Kommt zu mir. Bei jedem weiterem Schritt kann ich besser erkennen, wer das ist und erschrecke. Dad.
Warum ist er so blass? Jetzt steht er direkt vor mir und seine hellbraunen Augen mustern mich sorgenvoll.
,,H-hallo ... Dad. W-was ist ... los mit d-dir?" Ich stottere schon wieder. Aber nicht wegen Nervosität, sondern wegen der Angst, dass etwas schlimmes passiert sein könnte.
,,Mom. Elfe Nina. Sie hatte eine Vision." Elfen können also Visionen haben. Wieder etwas neues.
,,Was denn für eine?" Ich will es gar nicht wissen.
,,Das kann ich dir jetzt und hier nicht sagen Lass uns nach Hause fahren, dein Aufenthalt im Krankenhaus war lange genug."
,,Okay. Wann und wo sagst du es mir?"
,,Mal sehen." Damit packt mich mein blasser Dad beim Handgelenk und schleift mich in sein Auto, das er sich vor kurzem erst anliefern lassen hat. Auf der Fahrt schweigen wir. Ich lehne meinen Kopf an die Fensterscheibe und beobachte, wie jetzt die Sonne untergeht. Was hat Elfe Nina gesehen? Es muss etwas schlimmes gewesen sein, sonst wäre Dad nie so blass geworden. Aber ich traue mich nicht, unser angespanntes Schweigen zu brechen und nach zu fragen.
An unserem Haus angekommen schweigen wir immer noch. Ich, weil ich Angst habe und Dad vielleicht, weil er sich Worte zurechtlegt. Erst als die Wohnungstür ins Schloss fällt, beginnt er zu reden.
,,Aysu, du bist eine Imperatr-"
Weiter kommt er nicht, da ich ihn unterbreche. ,,Ich weiß." Jetzt schaut er mich so verdutzt an, dass ich mir das Lachen verkneifen muss.
,,Oh." Denkpause.
Mir zu lange Denkpause. ,,Du wolltest mir über die Vision von Elfe Nina erzählen", helfe ich ihm auf die Sprünge.
,,Äh, ja. Also deine Mom hatte eine Vision," Soweit bin ich auch schon. ,,in der sie dich und Mr. Noyan gesehen hat. Kämpfend. Die Vision hat gezeigt, was passiert, wenn du verlierst. Die Imperianer wurden gefoltert und es gab nur noch ein riesiges Stadtteil. Wobei, Stadtteil ist vielleicht der falsche Begriff, eher ein ganzes Imperium. Ohne weitere Unterteilungen."
Jetzt schwindet auch mir das Blut aus dem Gesicht. Wenn ich nicht bald mit dem Training beginne, werde ich auf jeden Fall eine Niederlage widerfahren und mein Volk - darf ich es überhaupt so bezeichnen? - wird durch den Terror untergehen! Wer weiß, was noch alles passieren würde?
Verzweifelt schauen wir uns an. Dad scheint nachzudenken. Wahrscheinlich fragt er sich, woher ich über die Imperianer Bescheid weiß.
,,Custos hat mir davon erzählt", beantworte ich das Unausgesprochene.
,,Wer ist denn Custos?"
,,Werwolf. Aus meiner Klasse. Mein Banknachbar."
,,Oh." Erneute Denkpause.
,,Kann ich in mein Zimmer? Es ist schon halb neun. Morgen ist wieder Schule." Daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Dieser Jemand in mir steuert meine Sprache ziemlich gut.
,,Ja. Schlaf schön. Ich ... darf ich mich noch ein wenig mit Mom unterhalten oder soll ich sie dir überlassen?"
,,Nein, nein. Ist schon okay. Ach und, ich komm morgen erst gegen fünf nach Hause. Ich treff mich mit 'nem Kumpel", sage ich verschwörerisch.
,,Na dann will ich euch mal nicht eure Zweisamkeit rauben." Er zwinkert mir zu. Die Anspannung hat von uns abgelassen.
,,Danke Dad, du bist der beste. Gute Nacht!"
Ich gebe ihm noch ein Küsschen auf die Wange und hüpfe frohen Herzens die Treppen zu meinem Zimmer hinauf. Ich will heute nicht mehr über dieses ganze Imperium-Zeugs nachdenken. Wenigstens einen Abend.
Mit Gedanken an den Kinobesuch in Begleitung von Justus schlafe ich lächelnd ein.
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wolf fire
Paranormal,Ich sitze im Krankenhaus neben Mom. Sie sieht mich fast leblos an. Tränen rollen mein Gesicht hinunter. Ich weiß, dass sie jetzt sterben wird. ,,Aysu, Kleine, du wirst die Macht in dir nicht abschütteln können. Du wirst kämpfen müssen und Schmerz...