5. Ein neuer Auftrag

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Nach ein paar Stunden Programmierarbeit für einen Kunden knackte es ordentlich in Jays Schulter. Er streckte sich angespannt und bemerkte den kalten Tee zu seiner Linken. Erdbeertee. Er hatte so gut gerochen, aber seine Arbeit an diesem Programm hatte in völlig vereinnahmt.

"Kann ich Ihnen noch etwas bringen?", fragte die höfliche Kellnerin und hielt ihr elektronisches Eingabegerät in den Händen.

"Äh.", Jay sah auf seine Uhr. Fast sieben am Abend. Es wurde Zeit, dass er sich auf den Weg zu seiner Verabredung machte. Auf keinen Fall wollte er zu spät kommen. Lächelnd verneinte er und packte seine Sachen zusammen. Es war bereits dunkel draußen, der eisige Wind vom Vormittag war nur schlimmer geworden. Da in gut zwei Stunden die begrenzte Ausgangserlaubnis in Kraft trat, waren nur noch vereinzelt Menschen zu sehen.

Jay steckte die kalten Hände in die Jackentaschen und rückte seine Tasche zurecht. Der Laptop war nicht schwer, aber unhandlich, er sollte sich eine neue Tasche besorgen. Nach einigen Minuten Fußweg kam ein Lokal in sein Blickfeld. Ein Irish-Pub, ziemlich heruntergekommen.

"All-Saints-Pub", stand in großen, grünen Buchstaben über der Tür zusammen mit einem kleinen Kobold. Paddy. Für eingeweihte war der Name des Kobolds Paddy. Die roten Backsteine der Fassade hatten auch schon mal bessere Zeiten gesehen, aber da die Beschränkungen einen Großteil der Kundschaft wegfallen ließen, hatte es der Besitzer schwer anstehenden Reparaturen nachzugehen.

Jay trat in den abgedunkelten Raum, der Zigarettenrauch war dicht und die sanfte Hintergrundmusik ein irischer Klassiker. Die Wände waren mit alten Fotos tapeziert, Hollywood-Schönheiten und alten schwarz-weiß Aufnahmen.

Paloma, die Besitzerin sah ihm hinter dem Tresen stehend entgegen. Sie war um die sechzig, schneeweiße Locken umrahmten ein runzeliges Gesicht. Für ihr Alter und die Dinge, die sie zweifellos miterlebt haben musste, hatte sie sich ihre Haltung und Schärfe bewahrt.

Niemand konnte sie leicht hinters Licht führen. Weder die Regierung noch etwaige Spione. Aus diesem Grund war sie einer der Wächter für das Tunnelsystem der Taube.

"Jay, Süßer, dich habe ich ja lange nicht gesehen." "Hi, Lomi, hast du wieder einen deiner berühmten Zitronenkuchen gebacken?", bei dem Wort Zitronenkuchen, zog sich ein breites Grinsen auf ihr Gesicht. "Natürlich, heute ganz frisch. Setz dich, ich bring dir gleich ein Stück."

Jay bedankte sich und setzte sich in den hintersten Teil des gedrungenen Pubs. Außer Jay waren nur wenige Gäste zu geben, die meisten starrten bekümmert in ein Glas Guinness oder stopften sich reihenweise Pommes in den Mund. Kaum saß er, trat Paloma um die Ecke und stellte ein großes Stück Kuchen vor ihn auf den viereckigen Tisch. Ein Glas Wasser stellte sie daneben.

"Ich hoffe es schmeckt. Und ich mach dir auch noch einen Deal. Der Kuchen geht aufs Haus, wenn du mir ein paar Säcke Kartoffeln aus dem Keller hochträgst. Mein armer Rücken schafft das nicht mehr."

Lächelnd stopfte Jay sich ein großes Stück Kuchen in den Mund und stöhnte. Palomas Backkünste waren wirklich außergewöhnlich. "Mach ich gerne.", murmelte er zwischen Bissen. Die ältere Frau strich ihm liebevoll über die Haare und stellte sich wieder hinter den Tresen, um dort an den Rechnungsbüchern ihres Lokals zu arbeiten.

Es war ein trauriger Anblick. Paloma hatte sich dieses Geschäft mit ihrer Frau aufgebaut. Eine rothaarige Irin, die auf den Bildern ein unglaubliches Lächeln zur Schau stellte. Sie war vor ein paar Jahren an Krebs gestorben und hatte Paloma nur den Pub hinterlassen. Er war alles, was die alte Dame noch von ihrer großen Liebe hatte.

Und seit dem Serum und IZANAGA hatte er stück für stück seinen Glanz verloren und fraß sich mit unglaublicher Gier durch Palomas Ersparnisse. In wenigen Monaten würde sie den Laden dichtmachen müssen. Alleine diese Aussicht schien sie mit einer ewig trauernden Aura zu umgeben. Jay nahm den letzten Bissen und stand auf.

Diaspora- Erbsünde 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt