10. Frisch aus dem Gefängnis

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Seine Augenlieder waren so verdammt schwer. Er musste dringend pinkeln schaffte es vor den unzähligen Augen seiner Mitgefangenen aber nicht und zu allem Übel war ihm vor lauter Hunger schlecht.

Als die Sonne endlich durch die kleinen Fenster strahlte war es, als würde ein kollektives Seufzen durch die Gefangenen gehen. Keiner von ihnen schien auf Ärger aus und bis auf die Unterdrückung seine körperlichen Bedürfnisse war es eine ruhige Nacht gewesen.

Mit der Sonne kam leben in das Polizeipräsidium. Er hörte Schritte und Stimmen, das gelegentliche Klimpern von Kaffeetassen. Seine Augen zuckten nervös zur Uhr an der Wand. Jeden Moment...jeden Moment musste ein Beamter reinkommen und sie entlassen. Jay zählte die Sekunden, um sich abzulenken. Um punkt sieben kam endlich ein Polizist herein.

Er wirkte ausgeruht, trug eine Kaffeetasse und ein Lächeln im Gesicht. "Guten Morgen, mein Herren. Es freut mich, dass Sie sich die Nacht über so gut benommen haben. Nach einem kurzen Gespräch und einer Unterschrift werden wir Sie in die Hände ihrer Verwandten geben. Wer niemanden hat wird von unserer Streife nach Hause gebracht."

Die Männer drängten sich ungeduldig gegen die Zellentür. Jeder wollte der erste sein, doch Jay musste die Information erst verdauen. Wenn seine Familie informiert worden war, gab das mehr als Ärger. Seine Mutter machte sich ohnehin nichts als Sorgen. Diese kleine Episode würde ihnen das Herz brechen.

"Jonathan Haller?" "Anwesend." "Das würde ich meinen. Du kommst mit mir.", der Polizist deutete ihn zu folgen. Mit schlurfenden Schritten kämpfte er sich den Gang zum Verhörzimmer. Als sie an einer Toilette vorbeikamen, konnte er es nicht mehr aushalten.

"Kann ich? Bitte, ich muss schon so dringend." "Wieso haben Sie das nicht in der Zelle erledigt." "Weil da zu viele Menschen waren. Bitte." Der Polizist erbarmte sich seufzend. "Du hast dreißig Sekunden. Zwing mich nicht, dich da rauszuholen."

"Danke.", Jay lief los. In seinem Leben war er noch nie so froh gewesen sich erleichtern zu können. Nie wieder würde er seine privattoilette zuhause mit denselben Augen sehen. Hastig beeilte er sich zurück. Zumindest würde er nun auf die Fragen antworten können und nicht nur das Rauschen in seinen Ohren hören. Der Polizist brachte ihn in einen fensterlosen Raum mit einem Tisch und drei Stühlen. Erinnerte Jay erschreckend an einen dieser Krimifilme. Misstrauisch setzte er sich hin, der Beamte ihm gegenüber.

"Name?" "Denn wissen Sie schon." "Name?" "Jonathan Haller." "Beruf." "Student." "Sie wurden nach der Ausgangsbeschränkung ohne Genehmigung oder Grund aufgegriffen. Und hier steht, dass Ihre Begleitung die Flucht ergriffen hat und Sie sich gewährt haben."

"Das ist gelogen. Es war vor der Ausgangsbeschränkung. Ich würde niemals danach unterwegs sein und die Polizisten waren äußerst grob." "Ist das der Grund, weshalb Sie flüchten wollten?"

Nein, scheiße, der Grund war, dass er einer Rebellengruppe angehörte und sich eine Verhaftung nicht leisten konnte. Er musste schnell etwas sagen oder lügen oder der Mann ihm gegenüber würde ihm keinen Glauben schenken. "Ich wollte nicht mit ihr gesehen werden. Sie ist...die beste Freundin meiner Freundin. Und meine Freundin ist echt eifersüchtig.", er hoffte inständig, dass er ihm glauben würde. Der Beamte lehnte sich zurück.

"Aha, das würde auch ihre Flucht erklären. Passt perfekt. Schade nur das in der Realität niemals alles perfekt passt. Was verheimlichen Sie?"

"Gar nichts.", er schob Panik. Harte Panik, "ich bin einfach nur ein äh...Programmierer und..äh arbeite an einem Projekt für die Regierung. Ich habe nichts zu verbergen. Wenn Sie mir nicht glauben, rufen Sie im Büro von Herrn Dilo Gökmen an. Er kann es bestätigen."

Der Name eines Regierungsmitglieds wirkte wahre Wunder. Sofort änderte sich die überlegene Haltung des Polizisten. Er räusperte sich und verschwand aus dem Raum. Jay hielt nicht viel von Beten und Hoffen, doch in diesem Augenblick hoffte er inständig das Gökmen ihn nicht ans Messer liefern würde.

Diaspora- Erbsünde 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt