6. Miss Akello

63 6 5
                                    

Es wäre einfacher um die Mittagszeit. Das redete er sich zumindest ein. Die Zentrale von Spring Rabbit war schnell gefunden und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar.

Rund um das alte Gebäude standen gefühlt hunderte Fahrräder und viele junge Menschen. Drinnen herrschte geschäftiges Treiben. Pakete wurden abgegeben und übernommen.

An den Wänden standen Spinde für die Mitarbeiter und ein Tischfußballtisch sowie ein Airhockeytisch wurden von unzähligen Leuten umkämpft. Die Lautstärke hielt sich dennoch in Grenzen. Die Belegschaft schien auffällig jung zu sein, nur eine einzige Person würde er als älter bezeichnen.

Ein Mann in seinen Fünfzigern, der hinter einem Tresen, Akten und Papiere sowie einen neumodischen Computer beherbergte, hielt ein Paket in die Luft und rief eine Adresse. Sofort sprang einer der jungen Menschen auf und lief auf ihn zu. Musste wohl der Chef hier sein. Vorsichtig trat er näher. Der ältere Mann beäugte ihn skeptisch.

"Lass mich raten, du suchst einen Job." "Äh, nein, nicht unbedingt." "Was willst du dann hier? Das ist keine Bar und auch keine Spielhalle, auch wenn sie so aussieht.", grummelte er griesgrämig, die Monobraue tief in die eisblauen Augen gezogen.

"Jo, Albert, hast du was Dringendes für den dritten Bezirk?", ein junger Mann drängte sich an Jay vorbei und hielt auffordernd die Hände hoch. Der Besitzer, Albert, drehte sich nur kurz um und reichte ihm das gerade eingelangte Paket.

"Aber vorsichtig sein. Ich will keine Beschwerden bekommen." "Ganz sicher nicht." "Und richte deiner Freundin schöne Grüße aus." Der junge Mann grinste breit und verschwand durch die Tür. "Lebt seine Freundin im dritten?"

"Das geht dich gar nichts an.", erwiderte Albert und verschränkte die Arme, "also was willst du hier. Machs schnell. Ich hab viel zu tun." "Offensichtlich. Also ich suche eine junge Frau Oona Akello. Arbeitet sie zufällig hier."

"Wer will das wissen." "Das nehme ich als ja. Mein Name ist Jay. Ich bin ein Freund von ihr." "Dann würdest du wissen, dass sie hier arbeitet. Und das schon seit einer Weile. Was willst du von ihr?" Jay verzog das Gesicht. Die Wahrheit war gefährlich und Albert zu vertrauen war ein zu großes Risiko. Aber Lügen würde zweifellos in die Hose gehen. Jay seufzte und machte den Mund auf.

Just in diesem Moment hörte er jemanden Oona schreien. Nicht nur irgendjemanden. Eine Gruppe an Menschen rund um den Airhockeytisch riefen ihren Namen. Dem Jubel nachzuschließen, hatte sie gerade gewonnen.

Jay lächelte Albert noch verlegen zu und verzog sich Richtung Airhockeytisch. Durch die Masse an Menschen beobachtete er das Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie grinste stolz und klimperte mit den langen Wimpern. Auf ihrer dunkelbraunen Haut glänzte ein leichter Schweißfilm. Die blaue Latzhose, die sie trug, betonte ihre auffälligen Kurven.

"Endlich! Endlich hab ich dich geschlagen!", tönte sie laut und zeigte dabei auf eine zierliche Blondine mit Pixiehaarschnitt. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor, aber Oona zog ihn vollkommen in den Bann. Ihre Gestik wirkte sorgenfrei und lebendig, das breite Grinsen hypnotisierend.

Lachend ließ sie sich von den andern bejubeln und umarmte ihre Gegnerin schließlich freundlich. Diese ließ es steif über sich ergehen.

"Nicht böse sein Mina. Du bleibst die zweitbeste bei Spring Rabbit." "Ich werde üben, Oonalein, und dann mach ich dich fertig."

"Bitte, probier es ruhig." Die Szene hätte für viele feindselig gewirkt, aber Jay sah die Zuneigung in ihren Augen. Albert begann Zahlen zu schreien und mit einem Mal stob die Gruppe auseinander. Wie eine gute geölte Maschine schnappte sich jeder ein Paket und seinen Fahrradhelm, danach ging es hinaus. Oona holte sich ebenfalls ein Paket, aber rannte noch mal zu ihrem Spind. Das war die Gelegenheit.

Diaspora- Erbsünde 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt