⭐ Kapitel 15 ⭐

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"Wenn du ihm nicht hilfst, stirbt er!" Ich hatte Angst, mit der verzweifelten Mutter zu gehen, aber er war noch so jung. Wenn mich niemand sah, würden sie im Dorf nichts davon erfahren. "Ich werde bei Sonnenuntergang eine Medizin bringen", versprach ich ihr. "Aber lass dich nicht bei meinem Haus sehen, sonst gerätst du in Schwierigkeiten." Sie nickte, zog ihr Tuch tief ins Gesicht und verschwand durch das Zwielicht meines Gartens in Richtung des Dorfes. Seufzend schloss ich die Tür. Nun musste ich eine Medizin herstellen. Ich wusste nicht, ob ich alles da hatte. Ich schaute in meinen Vorräten nach, aber das Eisenkraut war schon beinahe aufgebraucht. Alles andere hatte ich noch da. Kein Wunder, die Grippewelle hatte einige verzweifelte Leute zu mir getrieben und das hatte meine Vorräte erschöpft. Ich zog meinen schmutzigen Mantel an und machte mich mit einem Weidenkorb auf die Suche.

Auf dem Weg pflückte ich noch ein paar schöne Brennesseln und Haselnussbaum-Blätter, aber es dauerte ein wenig, bis ich Eisenkraut fand. Als ich wieder an meiner Hütte ankam, schmerzten meine Füße und der leichte Weidenkorb wog schwer in meiner Hand. Eine streunende Katze schlich mir um die Beine und bettelte nach einem Fraß, doch ich hatte nichts und sie schlüpfte an mir vorbei in das kühle Dunkel der Hütte. Ich stellte den Weidenkorb auf den Vorsprung aus Steinen an der Wand, auf dem ich kochte. Links daneben stand der Ofen, in dem ich immer noch die Glut glühen ließ.

Ich schmiss noch etwas trockenes Laub in die Glut und ein paar kleine Äste, um den Ofen etwas anzufeuern, da ich ihn gleich zum Kochen brauchte und mir kalt war. Dann steckte ich die Kerzen an der Flamme an, ich stellte sie links und rechts von mir auf die Unterteller. Nun breitete ich die Zutaten auf der freien Fläche aus und holte meine restlichen Utensilien. Ich schlug mein Buch der Schatten auf und blätterte darin, bis ich die richtige Seite fand, was nicht lange dauerte, da ich sie in letzter Zeit oft gebraucht hatte. Ich überflog die verschnörkelten Symbole und flüsterte die Anweisungen vor mich hin.

Als ich fertig mit dem gewöhnlichen Ritual war, nahm ich den fertig gefüllten Topf, deren Inhalt sich dort hinein bewegt hatte, ohne dass ich einen Finger gerührt hatte. Immer wieder überraschte mich meine eigene Macht. Ich legte den Deckel drauf und räumte den Rest ordentlich an seinen Platz, während das Gemisch auf dem Herd köchelte und seinen Geruch im ganzen Raum verbreitete. Ich holte die Holzkiste mit dem Schmuck aus ihrem Versteck unter den Dielen heraus, wickelte sie aus ihrem Tuch und strich über den mit Malereien verzierten Deckel. Mit einem heißen Eisenstab hatte ich darauf geschrieben:
MEMENTO MORI MORTALIS ES. Das war Lateinisch und bedeutete: Erinnere dich des Todes, du bist sterblich.

Ich steckte den Schlüssel, der um meinen Hals hing, ins feine Schlüsselloch und nahm den kostbaren Stein heraus, den ich vorsichtig mit beiden Händen aus seinem Polster nahm und an meine Stirn hielt, um meine Kräfte zu laden. Schwere Krankheiten zu heilen kostete viel Energie und ich war noch nicht einmal fertig.

Ich zeichnete an meinem Kohlebild weiter und streichelte die schlanke Katze, deren Fell trotz des fehlenden Heimes weich war, bis die Sonne unterging und ich mich auf den Weg machen musste. Unterwegs begegnete ich zwei Reitern, die trotz der späten Stunde auf dem Weg in die nächste Stadt waren. Sie fragten mich nach dem Weg und ich erklärte ihn.

Der kleine Junge lag zitternd und schwitzend im Bett und war so blass, als wäre er bereits tot. Ich legte ihm die Hand auf die Stirn, sie war so warm, dass es sich so anfühlte, als könne ich mich an ihr verbrennen. Ich setzte ihm die Ampulle mit dem Gebräu an die Lippen, er hatte Mühe zu schlucken und hustete. "Nicht ausspucken", ermahnte ich ihn. "Ich denke, du musst das ganze austrinken." Er schluckte tapfer und verzog das Gesicht. Wahrscheinlich war es etwas bitter, kleine Kinder mochten ja kein Bitter. Ich reichte der Mutter ein Glas, in dem noch mehr von dem Brau war. "Davon sollte er jeden Tag nach einer Mahlzeit eine Schöpfkelle trinken, bis es ihm besser geht. Dann reicht wahrscheinlich ein Esslöffel, bis es leer ist. Aber er muss es aufbrauchen." Die Mutter dankte mir erleichtert, weinte ein paar Tränen um ihr krankes Kind und ließ mich schließlich gehen. Noch in derselben Nacht wurde ich mit Fackeln und Mistgabeln aus meinem Haus getrieben und festgenommen. Am nächsten Tag banden sie mir einen Stein um den Bauch und schmissen mich damit ins Wasser. Wer hatte mich gesehen? Wer hatte mich verraten?

Ich hielt die Luft an und versuchte panisch, den Knoten zu lösen. Meine Fingernägel schmerzen und meine Hände wurden vom rauen Seil ganz wund. Das Wasser war furchtbar kalt, es schmerzte in allen Gliedmaßen. Mein Kopf pochte und meine Lunge war kurz vorm Bersten. Ich hätte vielleicht Magie anwenden können, aber Wasser war definitiv nicht mein Element. Ich hielt Minuten aus, doch dann musste ich es einfach tun: Ich atmete ein und saugte das Wasser gierig in meine Lunge ein. Schon bald merkte mein Körper, dass etwas schief lief und versuchte, das Wasser wieder auszuhusten, aber das klappte nicht. Ich würgte und winselte, aber es half nichts. Langsam wurde alles schwarz um mich. War das also mein Ende? Sah so der Tod aus?

Keuchend wachte ich in einem warmen Bett auf. Es brauchte einen Moment, bis ich verstand, wo ich war und wer ich war. War das nur ein Traum gewesen? Warum fühlte er sich dann selbst jetzt noch so real an? Die Erinnerungen, die ich in dem Traum hatte, waren selbst jetzt noch meine Erinnerungen, sie lagen wie ein Schatten über den echten, die genau so wirlich wirkten wie die, die nicht wahr sein sollten. Ich stand auf. Als meine Füße den kalten Holzboden berührten, kam ich schließlich wieder in der Realität an. Was für ein Traum, und er war so real gewesen. Besonders der letzte Teil. Meine Lunge brannte und mir war kalt. Ich hustete. War das Wasser, das ich da hinauf hustete? Nein, ich fing an, herunzuspinnen. Wahrscheinlich hatte ich mich im Schlaf verschluckt. Ging das überhaupt?

Ich setzte mich an meinen Schminktisch und zündete die Kerzen darauf an, da es noch nicht ganz hell war. Dann sah ich in den Spiegel vor mir. Ich sah ein 15-Jähriges Mädchen mit vom Schlaf zerzausten Haaren und einem natürlichen Gesicht, es trug keine Schminke. Ihr Nachthemd war schwarz, doch nicht ganz. Es war fast nur ein grau. Es sah müde aus. Ich streckte die Hand nach ihm aus, genau wie mein Spiegelbild. Unsere Fingerspitzen waren nur Zentimeter voneinander entfernt. Doch als wir den Raum schlossen, berührte ich nur Glas. Abrupt zog ich meine Hand zurück und schluckte. Was war bloß los mit mir? Ich schob den Hocker zurück und stand auf, um zu meinem Kleiderschrank zu gehen. Dabei ließ ich meine Zehen, beinahe wie eine Tänzerin, über den Boden gleiten und das kalte Holz spüren. Ich sog die stickige Luft ein. Ich schlich zu meinem Fenster und öffnete es, schob mich dann auf die Fensterbank und sah auf die Bäume hinunter. Unten erkannte ich im dämmrigen Licht der aufgehenden Sonne und der Straßenlaternen die parkenden Autos, ich sah jemanden, der mit seinem Hund spazieren ging, einen Jogger und den Asphalt des Gehwegs und der Straße. So viel Asphalt. Wie viel Uhr war es überhaupt? Ich streckte den Kopf, um meine Uhr von meiner Sitzposition aus zu sehen. Es war halb sieben. Unter der Woche stand ich so früh auf, aber für die Ferien war das sehr ungewöhnlich. Ich hatte Durst und schlich mich in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Die Schlafzimmertür meines Vaters stand offen. Er lag im Bett, alleine. Ich seufzte. Auch das musste ich mir gestern eingebildet haben.

Mortalis (German Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt