17. Kaya

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Irgendwo zwischen gespielter Gleichgültigkeit und getrockneten Tränen, würde ich immer noch an mein Handy gehen, wenn sie mich anrufen würde. Irgendwann um kurz vor Mitternacht, stelle ich mein Handy auf laut, um da zu sein, wenn sie mich anruft oder mir eine Nachricht schreibt, aber im Endeffekt melden sich nur alle anderen, aber nicht die Person, von der ich eigentlich gehofft habe, dass sie sich melden wird. Aber warum sollte sie auch? Eigentlich hätte ich ihre private Handynummer löschen sollen, als sie mir ihre dienstliche Handynummer gegeben hat. Ich hätte ihren Status und die Fotos, die sie in ihrem Urlaub gemacht hat, ignorieren sollen. Ja, ich hätte das alles ignorieren sollen, nur um sie dann trotzdem darauf anzusprechen, weil ich finde, dass sie eine tolle Fotografin ist. Und jedes Mal rede ich mir ein, dass es das letzte Mal war und meine Gefühle für sie nur noch Vergangenheit sind. Bis sie mir dann wieder schreibt, auf meinen Status antwortet oder ein neues Bild hochlädt. Bis wir uns dann wieder sehen und sie mir alles mögliche erzählt, bis wir lachen und ich ihr wieder zuhöre, aber gleichzeitig auch versuche, zu verdrängen, wie sehr ich danach wieder verletzt sein werde, weil sie zurück gehen wird. Zurück zu ihrem Mann, ihrem Leben ohne mich. Aber wieso oft sorge ich mich um sie, während sie mich schon wieder vergisst. Aber wenn ich könnte, würde ich jeden Schmerz von ihr nehmen, jede Last von ihren Schultern, ihr die ganzen Teile von meinem Herzen geben, obwohl sie doch der Grund ist, dass es nicht mehr so wirklich funktioniert. Irgendwo zwischen Bruchstücken und jedem schmerzenden Stich, den sie mir unabsichtlich versetzt, ist mir ihr Lächeln immer noch wichtiger als meins, wenigstens ein repariert das Herz, das ist ja besser als keins. Nur wünsche ich mir manchmal, dass sie, um zu fliegen, mich nicht immer fallen lassen müsste. Auch wenn sie gar nicht weiß, was ich für sie fühle.

Zugegeben, es ist schon etwas kindisch, aber ich habe mir unsere Zukunft in leuchtenden Farben ausgemalt, wie ein Mandala. In letzter Zeit geht es mir nicht gut, trotzdem komme ich durch. Ich lebe die Hölle in meinen Träumen, deswegen schlafe ich nicht mehr. Irgendwie weiß ich selbst nicht mehr, wer ich bin oder was ich möchte und das bringt mich ganz schön durcheinander. Die rosarote Brille ist verstaubt, trotzdem setzt sie mir sie ab und zu noch auf. Wenn ich diese Brille trage, bekommt sie alles, was sie braucht. Alles giftige fühlt sich so gut an, doch am Ende ist es Gift. Wer zu viel will, der kriegt am Ende nichts. Ich will nicht mehr auf Wolke sieben, jetzt habe ich Höhenangst, seitdem ich das letzte Mal dort war. Wie oft habe ich mir geschworen, sie morgen aus meinem Gedächtnis zu löschen, denn ich weiß, dass das mit ihr nicht echt ist. Aber dann ist der nächste Tag gekommen und ich bringe es nicht übers Herz. Ich brauche eine Lebensphase, in der sie nicht eine Phase ist und ich glaube, ich brauche etwas, das meinen Kopf von ihr befreit. Denn letztendlich reicht es mir nicht mehr, dass Max mir sagt, dass das Leben eben so ist. Manchmal sind wir zu zweit in einem Raum, aber ich bin allein und ich frage mich so oft, ob sie gerade überhaupt will, dass ich da bin, dass ich bleibe. Das kenne ich schon eine Weile, es ist immer das Gleiche. Alle unsere Lichter sind aus, ich habe meine ehrliche Liebe verkauft und letztendlich ist sie nicht das, was ich eigentlich brauche. Und plötzlich klingt ihr Name nicht mehr nach zu Hause. So doof es auch klingen mag, es ist wahr, dass die Zeit alle Wunden heilt. Es ist wahr, dass die Stimme der Person, die du liebst, nicht für immer, wie Musik in deinen Ohren klingt Und dass das hoffen und warten am Ende doch noch den Sommer bringt. Es ist wahr, dass der Klang ihres Namens aufhört, mir das Lied der Sehnsucht zu singen und irgendwann werde ich aufhören, mich an sie und ihre Anerkennung zu binden. Irgendwann wird mein Herz nicht mehr anfangen, bei jedem einzelnen Gedanken an sie auf und ab zu springen, denn wenn mein ich nur ein wenig mit meinem Schmerz verweilte und ihr Name plötzlich nicht mehr nach zu Hause klingt, wache ich irgendwann auf und bemerke auf einmal, dass ich sie nicht mehr brauche und dass es wahr ist. Da sind einfach keine Schmetterlinge mehr in meinem Bauch. Das hört sich eigentlich ganz gut an, oder? Nur leider ist da noch etwas. Sind es Schmetterlinge? Ich weiß es nicht. Momentan fühlt es sich eher an, als wären in meinem Bauch tausend Rasierklingen.

Vielleicht musste ich sie erst verlieren, um mich selbst zu finden. Ich verbringe meine Zeit jetzt wieder überwiegend allein und ich versuche, nicht mehr an sie zu denken. Jetzt habe ich das Gefühl, mich nicht mehr verstellen zu müssen und einfach wieder ich selbst zu sein. Ich meine wirklich ich selbst, so ganz ohne Angst, etwas falsches zu sagen, ganz ohne das ewige klarstellen und einseitiges entschuldigen an scheiß schwierigen Tagen. Jetzt habe ich endlich wieder Zeit, mich selbst zu entdecken und mich nicht in etwas zu verlieren, das sowieso keine Zukunft hat. Eine Zeit lang hatte ich das Gefühl, nur durch ihre Anwesenheit atmen zu können und mich auch nur auf ihre Anerkennung zu fixieren. Ich glaube, da habe ich mich verloren und ich habe sie verloren, aber irgendwie muss ich mich wieder finden. Ich finde sie immer noch nett, oder so. Keine Ahnung, mit Gefühlen bin ich nicht so gut. Und wenn sie mich auch noch mögen würde, wäre das schon irgendwie ganz cool. Billigwein und Zigaretten. Auf dem Balkon, nur mit ihr. Der Geruch nach Regen und schlechten Geschmack. Sie und ich. Ich und sie. Nur wir, in einer Welt mit Billigwein, Zigaretten und tiefgründigen Gesprächen. Ich habe den Chat mit ihr gepinnt, das ist normalerweise unmöglich. Das habe ich bis jetzt auch noch nie getan, aber selbst wenn ich es nicht tue, würde ich permanent auf ihr Profilbild und ihren Status schauen. Ich weiß, dass ich für sie nur eine Kollegin bin, für mich bedeutet sie aber die Welt. Das ist so verdammt unfair. Warum kann ich mich nicht einmal in jemanden verlieben, der sich auch für mich interessiert? Warum verliebe ich mich immer in Leute, die zwanzig Jahre älter sind, als ich? Was will mir mein Hirn damit sagen? Wenn ich über die wahre Liebe sprechen müsste, würde ich über sie reden und ich weiß, das habe ich auch schon über andere gesagt, aber irgendwie fühlt es sich so an, als hätte ich vorher keine Liebe erfahren. Es fühlt sich so an, als wäre Kaya die einzige, die mich versteht, ohne zu wissen, was sie mir bedeutet. Sind meine Standards so hoch, dass ich niemanden kennen lernen werde, der mir auch nur ansatzweise das gibt, was mir Kaya gibt? Vielleicht sind meine Standards wirklich zu hoch, aber Jay lernte Spanisch für Gloria. Claire und Phil sind das absolute Traumpaar. Cam und Mitchell hörten Lily immer zu. Und Manny? Er war einfach immer er selbst. Habe ich zu hohe Standards, weil ich zu viel Modern Family geschaut habe und mir genau so eine Familie und so eine Beziehung wünsche? Vermutlich schon. Ich könnte Kayas Phil sein, aber offensichtlich hat sie schon einen Phil, der sie täglich zum Lachen bringt und der sie glücklich macht.

Und bei all den Gefühlen, ist da auch noch mein Borderline. Die Diagnose ist für mich die reinste Katastrophe. Ich fühle mich nirgendwo zugehörig, ich fühle Emotionen gefühlt tausendmal stärker, ständig habe ich Stimmungsschwankungen, die ich absolut nicht kontrollieren kann. Ich bin ständig am Handy, weil ich Angst habe, dass ich etwas verpasse oder dass sich jemand über mich lustig macht. Ich denke rund um die Uhr über die Szenarien nach, die niemals auftreten werden . Ich habe mir über die Jahre ein paar Verhaltensweisen angeeignet, um meine Emotionen zu regulieren. Ich stehe im ständigen Konflikt mit mir selbst. Ich hasse meinen Körper so sehr, dass ich ihm früher die schlimmsten Dinge angetan habe. Ich bestrafe mich selbstständig für Dinge. Früher körperlich, heute mit Gedanken. Ich bestrafe mich auch für die Dinge, für die ich nichts kann ich dissoziiere am Tag ungefähr fünf mal und erlebe dabei ganz oft einen Filmriss. Wie oft bin ich in wichtigen Situationen abgedriftet und habe Konversationen versaut und meines Erachtens nach dadurch auch meine Zukunft. Ich wollte Sanitäterin bei der Bundeswehr werden, seit ich acht Jahre alt bin, aber es geht nicht. Das war mein Traum, Menschen in Kriegsgebieten das Leben zu retten. Aber wie soll ich das schaffen, wenn ich nicht einmal mein eigenes retten kann? Ich isoliere mich von meiner Familie und meinen Freunden, Dates habe ich auch nicht viele, ich versuche die Anzahl so gering wie möglich zu halten. Ich habe einfach viel zu viel Angst, verletzt oder abgestoßen zu werden. Ich brauche Aufmerksamkeit, um zu verstehen, dass ich gemocht werde, gleichzeitig hasse ich Aufmerksamkeit bis auf den Tod. Auf viele wirke ich komplett irre, geisteskrank, manipulativ oder was auch immer. Früher haben mich viele Leute in meinem Alter beleidigt, gemobbt oder geschlagen. Andere haben mich nicht ernst genommen, mich ausgelacht oder mir Tipps gegeben, wie ich am besten mein Leben beenden kann. Ich war jahrelang in Therapie und habe viele Dinge über meine Krankheit und mich gelernt. Auch heute noch wünsche ich mir, dass ich sie nicht hätte. Sie hat und sie wird mir vieles kaputt machen.

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