𝕱ünf Tage und vier Nächte lebte ich nun bei den Mihálys. Mein Körper erlangte seine Kräfte zurück und auch die mich immerzu heimsuchende Kälte sagte sich vollends von mir los. Eines Nachmittags fragte mich Alajos, ob ich nicht mit ihm zum Markt gehen wollte, so würde ich nicht nur mehr als die Felder vor ihrer Bleibe zu Gesicht bekommen, sondern auch eine andere Seite Csejtes kennenlernen. Und so gingen wir beide einen einsamen Feldweg entlang, während die aufgehende Sonne die Weizenfelder in ihr goldenes Licht tauchte und die ersten Landarbeiter ihr Vieh über die Felder trieben. Es lag ein frischer Duft von Nadelholz und Dünger in der Luft und der kühle Atem des durch die Äcker tanzenden Windes ließ meine Sinne aufleben.
»Wie ist es da, von wo du herkommst?«, begann Alajos nach halbem Weg des Schweigens zu fragen. Während ich darüber nachdachte, was Leszete ausmachte, lebten Bilder von mir als Kind auf, wie ich die Hände meiner Eltern haltend zum Gottesdienst in die Georgskirche aufbrach. Nachdem wir der Messe beigewohnt hatten, bat ich meine Eltern immerzu, mich mit meinen Freundinnen Zsófia und Vanessza zum Spielen zu entlassen. Wir drei stiegen dann stets die Hügel hinauf und riefen unseren Eltern laut zu, wie sehr wir sie liebten. Ob sie uns tatsächlich hörten, überließen wir unserer Fantasie.
»Meine Heimat ist ein bescheidenes Fleckchen Erde, die nicht viel mehr ausmacht als die seit über drei Jahrhunderten stehende Georgskirche. Meine Gemeinde glich einer großen Familie, denn kein Gesicht war uns fremd. An christlichen Tagen, an denen wir Jesu gedachten, fanden wir uns bei der Messe zusammen und sangen heilige Lieder. Und wenn meine Eltern ihrer Arbeit nachgingen und ich meine Pflichten erfüllt hatte, traf ich mich oft und gern mit meinen zwei liebsten Freundinnen und wir verbrachten bis zum Untergang der Sonne die Stunden miteinander, sangen Folklore, spielten auf den Hügeln und sahen den vorbeiziehenden Wölklein nach.«
Die Gedanken an damals erwärmten mein Herz. Auch jetzt, während ich den Bauern bei ihrer Arbeit zusah, breitete sich ein nostalgisches Gefühl in mir aus. Freilich war ich in ein wundervolles Leben hineingeboren worden. Als ich zu Alajos hinüberblickte, begegnete ich einem innigen Lächeln. In seinen Augen spiegelten sich die Wärme der Sonnenstrahlen wider, die unseren Weg in ihrem Schein erhellten.
»Du hast eine faszinierende Art, die einfachsten Dinge zu beschreiben. Wenngleich ich diesen Ort nicht kenne, lösen deine Worte ein Gefühl der Begierde in mir aus. Der Begierde, Teil einer solch friedlichen Gemeinde zu werden.«
Wenn mich meine Beine jemals wieder nach Leszete tragen sollten, so würde ich ihm eines versprechen: »Wenn die Zeit kommt und sich der Weg vor uns offenbart, werde ich dich zu den Hügeln führen und dich in das Leben dieser Gemeinde einführen.«
Das Funkeln seiner Augen war Antwort genug, um die schöne, dankende Seele hinter ihnen zu erblicken.
—~—
Fisch, Fleisch, Brot, Gemüse, Obst und Holz: Uns umgab eine Symphonie verschiedenster Düfte, die der Markt von Csejte komponierte. In jeder Ecke befanden sich Stände, die ein vielfältiges Sortiment an Speisen, Kräutern, Felle, Lederwaren, Schmuck und weiteren Kunsthandwerkswaren darboten.
»Mutter bat uns, ihr gelbe Erbsen, Schinken und Lorbeerblätter mitzubringen. Du kannst dich gern umsehen gehen, derweil ich zu den Händlern gehe«, sprach Alajos, während er sich seinen Geldbeutel vom Hosenbund schnürte.
»In Ordnung. Wo sollen wir uns denn wiedersehen, wenn die Erledigungen vollbracht sind?«
Alajos zeigte mit dem Finger auf einen am Marktende alleinstehenden Baum, unter dem ein Musiker seine Lieder vortrug.
»Triff mich unter der Esche, wenn du fertig bist. Ich werde auf dich warten.« Und so wandte er mir den Rücken zu und verschmolz mit dem Meer des Getümmels.
DU LIEST GERADE
Angst
Historical FictionIm Ungarn des frühen 17. Jahrhunderts häufen sich die grausamen Funde von Leichen junger Mädchen in der Nähe von Burg Csejte. Die Gerüchte über die Beteiligung der Gräfin aus dem einflussreichen Haus Báthori von Ecsed an diesen Serienmorden sind wei...