Kapitel 5

185 10 32
                                    

𝕯er Raum, den ich betrat, ließ seine Gäste wissen, dass hier eine Person hauste, die nur das Beste vom Besten besaß. Möbel aus Mahagoni-Holz, Teppiche aus Tierfellen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, und mit Gold verzierte Kerzenständer und Gemälderahmen befanden sich überall, wo ich hinschaute. Vor mir thronte eine Frau mittleren Alters auf einem mit Miniaturen verzierten, glänzenden Holzthron. Ihre Finger waren geschmückt mit goldenen Ringen, die Juwelen jeglicher Art zierten. Ihre helle Haut hüllte ein violettes Seidenkleid, dessen weiße Rüschen mit der Blässe ihrer Haut verschmolzen. Hochgesteckte, pechschwarze Haare umrahmten das für das reife Alter der Herrin eher ungewöhnlich jugendliche und doch anmutige Gesicht. Die großen braunen Augen, die auf mich gerichtet waren, strahlten eine einschüchternde Autorität aus. Ihre schmalen, roten Lippen formten sich zu einem zarten Lächeln, die feine Falten um ihre Mundwinkel bildeten.

»Du bist also meine neue Magd«, sprach die grófnő.

Sie war es zweifellos. Diese Stimme war jene, die ich in einstiger Nacht gehört hatte. Ich hatte sie gefunden. Ich senkte meinen Kopf und verneigte mich vor der Herrin dieser Burg.

»Ich hoffe, dass ich Euch mit meinen Diensten zufriedenstellen kann.«

Die Burgherrin erhob sich und näherte sich mir. Ich spürte, wie sie mich musterte. Ihre Blicke schienen sich tief in meinen Leib zu bohren. Wenngleich mein Geist Ruhe bewahrte, so konnte ich nicht das Zittern meines Körpers unterbinden. Er fürchtete sich vor dieser Frau.

»Sag mir, warst du vorher an einer anderen Burg beschäftigt gewesen?«

»Nein, Herrin.«

»Und deine Familie?«

»Ich bin allein, Herrin.«

Die Schritte stoppten. Ich musste mich beherrschen, den Blick gesenkt zu halten, doch als plötzlich diese schneeweißen Hände mein Kinn ergriffen und meinen Kopf nach oben hoben, blickte ich in unendlich leere Augen. Mein eigenes Gesicht spiegelte sich in diesen großen, dunkelbraunen Augen wider und ich erkannte erst jetzt, wie sehr sich meine Furcht in diesen erkennen ließ. Es waren solch schöne und doch von jeglichem Leben verlassene Augen.

»Ich weiß nicht warum, aber dein Gesicht scheint mir vertraut.« Mit gesenkter Stimme fuhr sie fort: »Dem Tod zu entkommen, schaffen nur wenige. Und die Wenigen verdienen es, für diese Leistung gelobt oder ein zweites Mal bestraft zu werden.« Ich spürte, wie sich meine Glieder verspannten und ich versuchte, dem eisernen Blick der Burgherrin zu entweichen. Mein Körper fürchtete sich vor ihr, denn er hatte nicht vergessen, was sie ihm angetan hatte. Doch diesmal entschied ich mich, nicht mein Körper zu sein, sondern auf meinen Geist zu hören, denn in der Dunkelheit der Unruhe und des inneren Konflikts ist sie die Stimme, die einen wieder zum Licht der Klarheit führt. Die grófnő war durchaus geschickt darin, ihre Gedanken und Stimmungen hinter ihrer strengen Miene verschleiert zu halten, doch ich wusste, dass sie meine resiliente Reaktion nicht erwartet hatte. »Nun gut. Ich denke, dass ich aus dir großen Nutzen ziehen werde. Geh nun und erledige deine Aufgaben. Sollte ich dich zu sehen wünschen, werde ich nach dir rufen lassen.«

Ich verbeugte mich ein letztes Mal und ehe ich mich versah, stand ich wieder vor jener großen, hölzernen Tür, die mir einen kleinen Einblick in die prunkhafte Welt der grófnő gewährt hatte. Der Mann, der mich zu ihr gezerrt hatte, stand neben mir.

»Ich vergaß, mich vorzustellen. Mein Name ist János, aber alle hier nennen mich Fickó. Ich bin der Hausmeister hier auf der Burg.«

János war kaum größer als ich, hatte eine eher magere Gestalt, dünnes, blondes Haar und war noch recht jung. Seine blauen Augen strahlten anders als bei den anderen etwas Gutmütiges aus. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er mir oder jemand anderem schaden wollte.

AngstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt