Kapitel 3

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𝕯unkelheit umgab mich. Kein Ton war zu hören, kein Duft wahrzunehmen und keine Gestalt zu sehen. Schritt für Schritt bewegte ich mich in das unendliche Nichts zu einem mir unbekannten Ziel. Aus der Ferne erklangen gedämpfte Stimmen, die, je weiter mich meine Beine trugen, immer lauter wurden und die Form einer aufgebrachten Masse annahmen. In der Dunkelheit formten sich Schatten, deren Gestalten vom Licht der lodernden Fackeln deutlicher wurden. Die Erscheinungen stürmten mit Äxten an mir vorbei und ließen Gefühle von Zorn und Rache auf ihrem Weg zurück. Ein fürchterlicher Schauder lief mir über den Rücken und es schien, als wollte sich mein Herz einen Weg durch meinen Brustkorb bahnen. Die Schreie verstummten, die Lichter erloschen; plötzlich vernahm ich das leise Weinen eines Kindes. Fernab stand ein junges Mädchen, ihr Kleid blutrot gefärbt. Die schwarzen Haare lagen schützend auf ihren blassen, bebenden Schultern. Eine bedrohliche Präsenz umgab ihre zarte Gestalt, die, ehe ich ihr Gesicht erkennen konnte, sie in die Dunkelheit hüllte. Einzig ihr bitterliches Weinen hallte immerzu in meinen Ohren wider.

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Wenn ich etwas in Erfahrung bringen wollte, so war der Markt wohl der bestmögliche Ort der Informationsbeschaffung. Ich plante etwas, das mich nun seit Tagen in meinen Gedanken heimsuchte und eine ausreichende Vorbereitung erforderte. Ich hatte nur eine Chance und die musste ich richtig nutzen.

»Dein Kartoffelbrot sieht wieder einmal mehr als herrlich aus, Lukács. Bitte gib mir eines davon.«

Ilka und ich standen vor dem Brotstand eines, wie sie mir sagte, sehr guten Freundes von ihr. Sie prahlte zuvor, dass es von Vorteil sei, einen Bäcker als Freund zu haben, so sei einem immerzu gewiss, gutes Brot für einen günstigen Preis bekommen zu können.

»Du schmeichelst mir, Ilka. Aber wer ist das junge Fräulein in deiner Begleitung? Etwa deine zukünftige Söhnerin?«

Bei der Frage des Bäckers spürte ich, wie das Blut mir sichtlich ins Gesicht stieg. Ehe ich diese Vermutung verneinen konnte, antwortete Ilka in einem mir kuriosen, amüsierten Ton: »Ach, nicht doch! Die Antwort hierauf steht noch in den Sternen geschrieben, aber wer weiß...«, Ilka legte plötzlich ihren Arm um den meinen, »wir fanden Evièka im Wald und nahmen sie bei uns auf, seither ist sie wie eine Tochter für mich.«

Ein schmerzhaftes Ziehen ergriff mein Herz, als meine Gedanken zu Alajos wanderten. Seit jener Nacht waren zehn Tage vergangen. An zwei von ihnen sprach er kein Wort zu mir und wenn, dann nur flüchtig. Am dritten begab er sich schließlich auf eine Reise und blieb seither fern. Auf meine Frage, wo er denn hingegangen sei, antworteten mir Ilka und Gellért bloß, dass er Arbeit in der Nachbargemeinde gefunden hätte, um dort mehr Geld zu verdienen, dennoch ließ mich das Gefühl nicht los, dass ich der Grund seines frühen Fortgangs von Daheim war.

»Bäcker, hast du noch etwas von deinem Kartoffelbrot übrig?«

Plötzlich stand eine unbekannte Frau neben uns. Ihrer Kleidung nach zu urteilen war sie niemand aus der Länderei, sondern bezog mutmaßlich eine höhere Position. Unerwartet trafen sich unsere Augen. Mein Körper begann zu beben und ich musste an einst zurückdenken, als ich sterben sollte. Ich spürte eine unheilvolle Präsenz in diesen Augen, in denen doch auch ein Hauch von Kummer verborgen lag.

»Geht es dir gut, Evièka? Du bist so blass! Und deine Hände!« Ilkas warmer Griff holte mich aus meiner Starre zurück. Ich wollte nur fort. Fort von diesen Augen, fort von ihr.

»Mir geht es gut. Lasst uns heimgehen, wo wir doch erledigt haben, wofür wir gekommen sind«, antwortete ich rasch und nahm das von Ilka erworbene Brot an mich. Und während wir uns aufmachten, konnte ich noch immer ihren Blick auf mir spüren. Wie ein Messer, das sich durch mich hindurchbohrte.

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