Kapitel 4

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𝕬m nächsten Morgen wanderten Gellért und ich den Berghügel hinauf, auf dem die Burg von Csejte herausragte. Während in der Ferne die Sonne ihre ersten Strahlen auf das Land warf, drehten sich meine Gedanken darum, wie mein erstes Treffen mit der grófnő werden würde und welchen Dingen ich von nun an entgegentreten müsste. Tief in meinem Herzen wusste ich, dass ich mich zu einem Ort der tiefsten Dunkelheit begab, doch wer würde ihren Machenschaften ein Ende setzen, wenn sich nicht eine als erste erhob? Meine Zukunft war noch ungeschrieben und die ihre ebenfalls. Ich wusste nur eins: Jemand musste ihrem Wahn Einhalt gebieten. Wenngleich das Leben ewig war und der Tod nur die Geburt in eine metaphysische Welt, erachtete ich das Morden dennoch als falsch und die Erfahrung dessen als Selbstverstümmelung der Seele.

»Wir sind fast da«, sagte Gellért. Als ich aufsah, erblickte ich die steinernen Fassaden der Burg. Wie wir uns dem Tor näherten, sah ich neben der positionierenden Wache keine andere als Dorotya Semtész, die uns bereits zu erwarten schien. Nachdem wir ihr gegenüberstanden, hob sie ihre Mundwinkel zu einem zarten Lächeln an und sprach: »Willkommen, Gellért. Fickó erwartet dich bereits im Innenhof vor dem Nordturm. Fräulein Eszes, bitte folgt mir. Ich führe Euch zu Eurer zukünftigen Kammer und werde Euch die Bereiche zeigen, für die Ihr zuständig sein werdet.«

Gellért und ich warfen uns einen letzten Blick zu, als er schließlich in Richtung Norden aufbrach und ich Frau Semtész folgte. Sie geleitete mich zu Stufen, die hinunter zum unteren Teil der Südburg führten und erklärte: »In diesem Teil werdet Ihr Euch größtenteils aufhalten. Da Ihr Euch nun unter den Diensten der ehrenwerten grófnő befindet, werde ich von nun an die Formalitäten beiseitelassen. Nun, hier befinden sich die Wohnräume der Bediensteten, deine Kammer ist am Ende dieses Ganges auf der rechten Seite. Die Küche und Waschkammer befinden sich direkt gegenüber. Wenn du die Stufen dort hinaufgehst, gelangst du zu den Ställen.«

Als wir die Stufen wieder hinaufgingen, kam uns eine Dame mittleren Alters mit einem Korb Wäsche unter den Armen entgegen und wollte gerade an uns vorbeigehen, da tippte ihr Frau Semtész auf die Schultern und sprach: »Katarína, darf ich dir Evièka vorstellen? Sie wird hier ab heute als Magd arbeiten und dir zur Hand gehen.«

Katarína murmelte etwas vor sich hin, setzte sich jedoch im selben Moment dasselbe gespielte Lächeln auf, das mir Frau Semtész die ganze Zeit präsentierte.

»Wenn es dir genehm ist, lasse ich sie jetzt in deiner Obhut.«

Katarína nickte und drückte mir den vollen Wäschekorb in die Arme. »Folge mir«, befahl sie und setzte ihren Weg fort, ohne auf mich oder eine Reaktion zu warten.

Ohne ein weiteres Wort miteinander gewechselt zu haben, betraten wir eine Wäschekammer, in der nur gedämpftes Licht durch die kleinen Bleiglasfenster fiel. Auf den Regalen lagen sorgfältig gefaltete Leinentücher und in der Ecke stand ein großer, robuster Holztisch, der durch die unzähligen Wasch- und Bügelarbeiten sehr abgenutzt aussah. Es überraschte mich, dass mir nur wenige andere Bediensteten zu Gesicht kamen, denn freilich musste doch jemand, der so viel wie die grófnő besaß, einen ebenso angemessenen Haushalt vorweisen.

»Warum sind hier nur so wenige Bedienstete anzutreffen?«, fragte ich meiner Neugierde wegen. Katarína stellte sich an ein mit Wasser gefülltes Fass und befahl mir mit einer Handbewegung, ihr den Wäschekorb herzubringen. Ich tat es ihr gleich und begann, die Kleidung mit dem Bleuel zu schlagen.

»Sie sind alle auf die Burgen und Schlösser, die im Besitz unserer Herrin liegen, verteilt worden«, antwortete sie nach einer Zeit des Schweigens und fuhr fort: »Die grófnő hatte sich nach dem Tod des báró dazu entschieden, mehr Zeit auf Burg Csejte zu verbringen und sucht daher immer wieder nach Einwohnern, die ihr hier zur Hand gehen können.« Sie konzentrierte sich nun auf das Schrubben auf ihrem Holzbrett. Damit machte sie mir unter anderem klar, dass das Gespräch vorerst für beendet galt und ich sie nicht mit weiteren Fragen löchern sollte. Ich tat es ihr gleich und verbrachte den Rest des Tages damit, mich in meine Pflichten unterweisen zu lassen.

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