Die Geschichte des Prinzen

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Hermine sah ihn perplex an. „Ihr Großvater hat diesen Trank gebraut?", wiederholte sie ungläubig.

„Ganz Recht. Also, wenn Sie mich jetzt wieder in Ruhe lassen könnten – ich habe zu tun". Er zog seine Hand aus ihrem Griff und unterdrückte ein Stöhnen, als der Schmerz zurückkehrte.

Hermine rührte sich nicht. Ihr schossen unzählige Fragen in den Kopf, die sie alle mit einem Mal stellen wollte.
„Steckt er also auch hinter den Vorfällen in Surmatch Heath?"

„Das tut er".

„Aber warum... Wie kam es... Wusste irgendjemand davon?", sprudelte es aus ihr heraus.

Snape seufzte genervt. „Außer mir, weiß bis heute niemand, wer es war".

„Wie haben Sie es herausgefunden?", fragte Hermine. Die Lösung des Rätsels um diesen Trank schien endlich in greifbarer Nähe.

„Ich war ein talentierter und neugieriger Junge. Viele Dinge, die ich damals gelernt habe, hätte ich nicht wissen dürfen".

„Wollen Sie damit sagen, er hat Ihnen das Brauen des Trankes beigebracht?", fragte Hermine und dachte dabei an ihre eigene Kindheit zurück. Oft saß sie mit ihrer Großmutter zusammen, die ihr an stürmischen Herbsttagen zeigte, wie sie Hüte und Socken stricken kann. Hermine hielt es für wahrscheinlich, dass auch ihr Professor einige Fähigkeiten von seinem Großvater gelernt haben könnte.

„Nein", entgegnete Snape entschieden. „Ich habe ihn nie kennengelernt. So, wie den Rest meiner Familie".

„Das ist traurig. Was war der Grund dafür?", fragte Hermine. Sie war nicht sicher, ob sie überhaupt danach fragen durfte, aber zu ihrer Erleichterung antwortete Snape.

„Ich lebte mit meiner Mutter und meinem Vater weit weg von jeglicher Zauberei".

„Ungewöhnlich. Normalerweise ziehen magische Eltern ihr Kind doch in der Zaubererwelt auf", überlegte Hermine laut.

„Wie kommen Sie darauf, dass meine Eltern beide Zauberer waren? Nur meine Mutter besaß magisches Blut. Ich gab mir nicht umsonst den Namen Halbblutprinz".

„Oh. Natürlich", sagte Hermine, der dieser Zusammenhang erst jetzt auffiel. Sie wusste nicht, warum sie zuvor überzeugt war, er sein ein Reinblüter.

„Aber warum verließ Ihre Mutter die Zaubererwelt? Haben die Vorfälle in Surmatch Heath etwas damit zu tun?"

Snape sah sie einen Moment prüfend an. Sie schien sich ernsthaft für seine Geschichte zu interessieren. Während ihres gesamten Gespräches hat sie ihn noch nicht einmal unterbrochen. Sie dachte mit, stellte kluge Fragen und zeigte scheinbar ehrliches Mitgefühl. War das der Grund, weshalb er plötzlich so viel von sich preisgab?

„Es war einer von vielen Gründen, ja".

„Mh", machte Hermine und überlegte. „Aber wenn niemand wusste, wer hinter diesen Angriffen steckt, wieso musste sich dann Ihre Familie trennen?"

„Weil es zu einem Zwischenfall mit meiner Großmutter kam. Eines Tages erwischte sie ihn dabei, wie er einer Frau den Trank verabreichen wollte. Sie war außer sich vor Wut und Scham und stellte ihn zur Rede. Doch aus Angst, sie könne sein Geheimnis verraten, sorgte er dafür, dass sie ihr Wissen mit ins Grab nahm", erklärte er in einem so gleichgültigen Ton, dass Hermine eine Gänsehaut bekam.

„Er hat sie... umgebracht?", flüsterte sie schockiert. Snape zuckte nur mit den Achseln.

„Ob es Absicht oder ein Unfall war, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es ihm eine Zelle in Askaban einbrachte".

Hermine ließ seine Worte einige Minuten auf sich wirken und gab Snape die Möglichkeit, über die ganze Situation nachzudenken. Er war von sich selbst überrascht, dass er seiner Schülerin nahezu jede Frage zu seiner Familiengeschichte beantwortete. Durch ihre cleveren Fragen fiel ihm im ersten Moment gar nicht auf, wie viel er ihr schon preisgegeben hatte. Er wollte es sich selbst nicht eingestehen, doch Hermine war eine gute Gesprächspartnerin. Sie hörte ihm aufmerksam zu und kombinierte alle Fakten zu einem Gesamtbild. Nicht wie jeder andere versuchte sie seine Geschichte zu verstehen und nicht nur das zu hören, was sie hören wollte.

Er schmunzelte leicht, als er sie zusammengesunken auf ihrem Stuhl sitzen sah, die Hände in ihrem Schoss und offenbar damit beschäftigt, die letzten Minuten zu verarbeiten. Er konnte die Gedanken in ihrem Kopf praktisch rattern hören und fasste dann einen Entschluss.

„Möchten Sie etwas trinken, Miss Granger?", fragte er in die Stille hinein. Hermine sah irritiert zu ihm auf, als sie mit einem Mal aus ihren Gedanken gerissen wurde.

„Was?", fragte sie verwirrt.

„Ob Sie etwas trinken möchten?", wiederholte er mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme.

„Ich...ja, sehr gern", sagte sie und wunderte sich über sein plötzliches Angebot.

Snape stand auf und ging zu einer kleinen Kommode in der Ecke. Hermine beobachtete ihn, wie er zwei Gläser und eine Flasche mit Kürbissaft herausholte und sich dann wieder an seinen Schreibtisch setzte. Doch bevor er ihre Gläser befüllen konnte, kam ihm Hermine zuvor, schnappte sich die Flasche und begann den Kürbissaft auszuschenken. Snape sah sie fragend an.

„Ich dachte nur, Sie könnten mit Ihrer verletzten Hand die Flasche nicht ohne Schmerzen halten", beantwortete sie seine unausgesprochene Frage. Snape konnte sich nicht entscheiden, was er dabei fühlen sollte. Ein kleiner Teil von ihm freute sich über ihre Geste, doch ein anderer Teil wollte ihr die Flasche aus der Hand reißen. Er war durch seine Verletzung nicht völlig unfähig oder abhängig von ihrer Hilfe.
Hermine bekam von seinem inneren Kampf nichts mit. Sie nahm sich ein Glas und setzte sich zurück auf ihren Stuhl. Doch bevor sie einen Schluck trank, schaute sie noch einmal in ihr Glas, als wolle sie die Qualität des Kürbissaftes prüfen.

„Schon gut, ich habe ihn nicht vergiftet", sagte Snape leicht grinsend.

Hermine schenkte ihm ein warmes Lächeln, trank einen Schluck und versank dann augenblicklich wieder in ihren Gedanken.
Snape beobachtete sie. Das Thema schien sie nicht loszulassen. Es wunderte ihn, dass über ihrem Kopf keine Rauchwölkchen aufstiegen, wo doch ihr Gehirn auf Hochtouren zu laufen schien.

„Miss Granger, ich sehe Ihnen an, dass Ihnen noch etliche Fragen auf der Zunge liegen. Sie werden dieses Büro nicht verlassen, bevor Sie nicht die ganze Geschichte des Trankes gehört haben, richtig?"

„Nein, Sir. Wären Sie bereit sie mir zu erzählen?", fragte sie hoffnungsvoll.

„Nun, wenn ich Sie jemals wieder loswerden möchte, habe ich keine Wahl, oder?"

Hermine lächelte ihn an. Sie wusste es sehr zu schätzen, dass er sich ihr gegenüber so öffnete. Warum er das tat, wusste sie nicht. Doch sie war dankbar für diese Gelegenheit, mehr über ihn zu erfahren.

„Was ist geschehen, nachdem Ihr Großvater nach Askaban kam?", fragte sie und nahm den Faden wieder auf.

„Meine Mutter floh. Vermutlich ohne vorher groß darüber nachzudenken".

„Wohin ist sie gegangen?"

„In den Norden Englands. Sie fand Unterschlupf in einem kleinen Bergarbeiterdorf".

„Warum ist sie allein in die Muggelwelt geflohen? Ihr muss doch klar gewesen sein, dass sie dort völlig hilflos sein würde. Ganz ohne Magie".

„Sicher. Doch sie konnte in diesem Moment nicht rational denken. Ihre intakte Familie zerbrach innerhalb weniger Tage. Niemand war mehr für sie da. Sie war zu diesem Zeitpunkt gerade volljährig und konnte mit den Erlebnissen nicht umgehen", erklärte er ruhig und nippte an seinem Glas.

„Und was ist dann passiert?", fragte Hermine, die seine Vorgeschichte unglaublich spannend fand.

Nur Wer Zusammen Ist, Ist Nicht AlleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt