Vor geschlossenen Türen

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Hey! Entschuldigt bitte die erneute lange Wartezeit. Aber in den letzten Monaten hatte ich kaum Zeit und Energie, um weiter an dieser Geschichte zu schreiben. Speziell dieses Kapitel hat mir echt große Schwierigkeiten bereitet, da es mir bisher persönlich am wichtigsten ist. Ich verarbeite hier meine eigenen Gefühle und Erfahrungen und wollte für die Fertigstellung daher viel Zeit investieren :) aber genug von mir – viel Spaß beim Lesen!

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Nachdem das Mädchen den Kerker verlassen hatte, ließ Severus die Tür deutlich hörbar ins Schloss fallen. Granger sollte wissen, was er von ihrer Weihnachtsgeschenkidee hielt. Er seufzte genervt und wandte sich dann wieder seinem Schreibtisch zu. Die Aufsätze der dritten Klasse warteten immer noch auf ihn. Und dieser Umstand besserte seine Laune keineswegs.

Er versuchte eine Weile den geistigen Ergüssen seiner Schüler zu folgen, doch er wurde mit jeder Minute unkonzentrierter. Irgendwann las er die geschrieben Worte, ohne dass sie auch nur etwas an Sinn zu ergeben schienen. Und das lag ausnahmsweise mal nicht an den erbärmlichen Versuchen seiner dritten Klasse, die korrekte Gefahr eines Irrwichts zu formulieren. Eine gefühlte Ewigkeit verbrachte er damit immer und immer wieder denselben Absatz zu lesen, bis er sich schließlich genervt in seinen Stuhl fallen ließ. Dabei stieß er mit dem Kopf gegen eine ziemlich dicke Ranke, die vor ein paar Minuten sicherlich noch nicht dort gewesen war.

Verfluchtes Mädchen, schimpfte er. Viel heftiger als nötig, riss er an der Ranke, an der sich in diesem Moment auch noch eine rote Blüte bildete. Jetzt, da er sowieso schon genervt war, verstärkte sich seine Wut nur noch mehr auf das „Geschenk", welches ihm gewissermaßen von Granger aufgezwungen worden war. Er fragte sich immer noch, wie die Gryffindor auf die Idee kam, ihm voller Überzeugung dieses dämliche Gewächs zu schenken.

Ganz einfach. Es ist Weihnachten und ich wollte Ihnen eine Freude machen, hörte er ihre Stimme in seinem Kopf.

„Lächerlich", kommentierte Severus diesen Gedanken laut. Warum wollte sie ihm eine Rose schenken, die auf ihre Gedanken reagiert? Das war absurd. Es musste eine andere Erklärung geben. Was hatte sie für ein Motiv? Welchen Vorteil versprach sie sich aus diesem Geschenk? Und wie kam sie überhaupt auf die Idee ihm ein Weihnachtsgeschenk zu besorgen? Das machte niemand. Niemand dachte an ihn. Warum sollte es bei ihr anders sein? Warum sollte sie, ausgerechnet sie, die ganze Zeit an ihn denken? Oder war diese Pflanze vielleicht ein Produkt aus der aktuellen Weihnachtsserie der Weasley-Scherzartikel, mit dem sie ihren Humor unter Beweis stellen wollte? Wenn ja, war sie kläglich gescheitert.

Er hegte auch so bereits eine tiefe Abneigung gegenüber Geschenken, doch die Wildrose vertiefte sie nur noch mehr. Egal ob zu Geburtstagen, an Weihnachten, zum Beginn der Schullaufbahn, zum Abschluss der Schullaufbahn, wenn Kleinkinder das erste Mal in ihre Windeln machten oder zu welchem Anlass auch immer sich Menschen krampfhaft Geschenke machten – jeder in seinem Umfeld wusste, dass er weder beschenkt werden will, noch selbst schenken wird.

Nur ein einziges Mal hatte er sich dazu herab gelassen ein Geschenk für ihn anzunehmen. Das war damals an seinem 16. Geburtstag. Obwohl er es ihr oft genug verboten hatte, schenkte ihm Lily ein kleines Päckchen, umwickelt mit grünem schimmerndem Band. Und darin befand sich ein kleiner Beutel aus Leder. Lily wusste über seine Zaubertrank-Leidenschaft genau Bescheid und schenkte ihm deshalb einen kleinen Lederbeutel, in dem er seine Zutaten verstauen konnte, wenn er nach seltenen Kräutern und Pflanzen suchte. Diesen Beutel trug er auch heute noch immer bei sich, wenn er sich erneut aufmachte, um im Verbotenen Wald neue Trankzutaten zu besorgten.
Im Gegensatz zu allen anderen Geschenken, die er jemals bekommen hat, mochte er den kleinen Beutel. Es zeigte, dass sich Lily mit ihm und seiner Leidenschaft beschäftigte und sich genau überlegte, welche Überraschung für ihn auch einen Nutzen haben würde.

Der Gedanke an Lily versetzte ihm einen Stich. Auch nach all den Jahren vermisste er sie. Er vermisste ihr Lächeln, wenn sie ihn sah. Er vermisste ihre langen Gespräche unter der Weide, als sie in den Sommerferien gemeinsam im warmen Gras lagen. Er vermisste, die Art wie sie ihm zuhörte, ohne ihn zu unterbrechen, die Art, wie sie nachfragte, ob es ihm gut geht. Er vermisste das Gefühl, jemandem wichtig zu sein. Jemanden zu haben, der sich um ihn sorgt.

Und auch, wenn er dieses Gefühl jahrelang unterdrückt und in die hinterste Ecke seines Unterbewusstseins geschoben hatte, spürte er dieses Bedürfnis in sich erneut aufkommen, als er an Lily dachte. Die Freundschaft zu ihr hatte das Bedürfnis gestillt – zumindest einen großen Teil davon. Doch mit ihr war der erste und zugleich letzte Mensch gegangen, der ihm wirklich etwas bedeutete und dem er auch etwas bedeutet zu haben schien.

Seitdem kam niemand mehr auf ihn zu und erkundigte sich nach seinem Wohlbefinden. Jeder kam und verlangte und beauftragte und forderte. Doch niemand interessierte sich wirklich für ihn. Er war für sein Umfeld nur so lange wichtig, wie er auch einen Nutzen erfüllte.
Tief in seinem Inneren regte sich der Wunsch nach dem erneuten Gefühl, jemandem wirklich wichtig zu sein und ehrlich geliebt zu werden.

Severus kannte das Gefühl gegenseitiger Liebe nicht. Selbst Lily liebte ihn nicht mit der Intensität, wie er sie liebte. Sie war seine beste Freundin, doch hatte sie ihm damals schmerzhaft und unmissverständlich klar gemacht, dass sie für mehr nicht bereit war. Er war nicht gut genug für ihn. Sie wollte ihn nicht. So wie auch sein Vater ihn nie wollte. Die einzige Person, die ihm neben Lily wirklich Liebe und Aufmerksamkeit schenkte, war seine Mutter. Er vermisste sie - und Lily.

Er fragte sich, wie es sich wohl anfühlt, selbst vermisst zu werden. Wie ist das, wenn sich jemand ehrliche Sorgen um ihn macht und Angst hat, ihm könnte etwas passieren? Würde er jemals eine Frau finden, für die er gut genug war? Die ihn einfach so akzeptiere wie er war, seine Schwächen aushielt und seine Stärken bewunderte? Eine Frau, die sich bewusst für ihn entschied – die nur ihn will und keinen anderen?

Wie schön wäre es, jemanden zu haben, der sich nach einem langen und anstrengenden Tag um ihn kümmert. Wie schön wäre die Gewissheit eine Frau zu haben, die in seinen Privaträumen auf ihn wartet. Nur um dann ihr strahlendes Lächeln zu sehen, wenn er endlich zu ihr zurückkehrt. Wie schön wäre das Gefühl von gegenseitiger Liebe und Vertrauen.

Er nahm es nicht bewusst wahr, doch er sehnte sich nach der ehrlichen Zuneigung einer anderen Person. In diesem Moment landete ein rotes Blütenblatt direkt vor ihm. Gedankenverloren nahm er es in die Hand und strich mit seinen Fingern darüber. Das Blütenblatt war makellos, fühlte sich wunderbar weich an und erinnerte ihn an Samt.

So sollte sich die Haut einer Frau anfühlen, dachte er. Er stellte sich vor, wie die weichen Finger einer Frau zärtlich über seinen Arm strichten. Plötzlich schoss ein Bild von Hermine durch seinen Geist, wie sie ihn in seinem Labor verarztete, nachdem er sich so grausam mit dem Messer geschnitten hatte. Sie hatte ihn zärtlich berührt, sich behutsam um ihn gekümmert. Sie war besorgt um ihn, suchte ihn im Krankenflügel, um nachzusehen, wie es ihm geht.

Er sah sie in einem Bett im Krankenflügel und wie sie ihn anstrahlte, als er ihr versprach sie bei ihrem Untersuchungsbericht zu begleiten. Er hörte die Freude und Dankbarkeit in ihrer Stimme und sah das ständige Lächeln, wenn sie in sein Büro kam oder ihn in den Korridoren oder der Großen Halle sah.

Er dachte an den Streit zwischen ihr und dem Weasley, der damit endete, dass sie dem Rothaarigen verbot, Severus als „schmierigen Sack" zu bezeichnen. Sie hatte ihn vor ihren Freunden verteidigt und stand für ihn ein, sodass es jeder mitbekam. Und nicht nur das. Sie behielt auch seine Geheimnisse für sich. Seit sie herausgefunden hatte, dass er der Halbblutprinz ist, hatte sie nicht mehr mit ihren Freunden darüber gesprochen oder Andeutungen in diese Richtung gemacht. Er war sich dessen sicher. Er sah es in ihren Augen.

Augen, die jedes Mal leuchteten, wenn er vor der Klasse stand oder ihr bei ihren Konsultationen etwas erklärte. Und wenn sie sich in einem Gespräch befanden, hielt sie den Augenkontakt bis zum Schluss aufrecht. Die meisten anderen Schüler vermieden das. Sie senkten die Blicke und sprachen aus Angst vor ihm kein Wort. Doch sie war anders. Sie konterte seine Gedankengänge mit durchdachten Argumenten und klugen Schlussfolgerungen. Sie hörte ihm aufmerksam zu, unterbrach ihn nie, ließ ihn bis zum Ende ausreden und stellte erst dann ihre Fragen.

Und sie reagierte mit Begeisterung, wenn er anfing ihre Fragen zu beantworten. Außer heute Morgen, als sie ihn fragte, ob er mit zum abendlichen Festessen kommen würde. Severus sah ihren zutiefst enttäuschten Gesichtsausdruck, als er darauf mit einem scharfen „Nein" antwortete. Er sah noch einmal das Bild vor sich, wie die Schülerin aufgrund der Schärfe und Endgültigkeit in seiner Stimme, zusammenzuckte, als hätte sie sich unerwartet geschnitten.

Dieser Gedankengang erinnerte ihn plötzlich an seine eigene Schnittwunde an seiner Hand. Er dachte an ihre Fähigkeit seine tiefe Verletzung mit einer bloßen Berührung zu heilen. Und er sah Dumbledore vor sich, der wissend in seinem Stuhl saß und lächelte – Liebe, hatte er gesagt.

Liebe. Konnte es tatsächlich sein? War das Weihnachtsgeschenk der Schülerin vielleicht doch kein Scherz? Wollte sie ihm vielleicht so ihre Zuneigung zu ihm zeigen?
Er ging das hohe Risiko ein und ließ das Gefühl zu, welches er bei diesen Gedanken verspürte. Warum fühlte es sich doch gar nicht so schlecht an, zu wissen, dass sich jemand die Zeit genommen hatte, um ein Geschenk für ihn zu besorgen? Sie hatte sich offensichtlich Gedanken um ihn gemacht. Und das mehr als nur einmal, wenn er sich das Wachstum der Wildrose ansah. Sollte er seine jahrelang antrainierten Fähigkeiten ignorieren und sich auf dieses Gefühl einlassen, welches er bei der Vorstellung, gemocht zu werden, verspürte?

Nein. Warum sollte er sich auf die Gefühle einer Schülerin einlassen? Warum sollte er riskieren, wieder einmal verletzt zu werden? Und warum dachte er überhaupt die ganze Zeit über sie nach?

Weil dir die Aussicht gefällt, von einer Person ehrlich gemocht zu werden, hörte er erneut die Stimme in seinem Kopf.

„Und wenn schon", sagte er laut. Noch nie hatte er sich so intensiv den Kopf über eine Person zerbrochen. Und vor allem nicht über ein Schülerin. Woher kamen auf einmal all diese Gedanken?

Severus spürte den Anflug von Kopfschmerzen und griff sich an die Nasenwurzel. Diese Art von Grübeleien konnte er nicht ausstehen. Umso überraschter war er darüber, dass er seit einer halben Stunde genau diesen Gedanken nachhing. Warum?
Wie eine Antwort auf seine unausgesprochene Frage, landete plötzlich ein weiteres Blütenblatt direkt von ihm.

Diese verdammte, gedankenabhängige Pflanze! Warum musste sie ausgerechnet auf Grangers Gedanken reagieren, deren Gehirn so gut wie nie stillstand? Schon etwas ironisch, dass sie die ganze Zeit an ihn zu denken schien und er sie ebenfalls nicht aus seinem Kopf bekam. Warum auch immer. Moment – konnte es sein, dass diese verdammte Pflanze auch seine Gedanken beeinflusste? Das musste es sein. Seit er an seinem Schreibtisch saß und das Ungetüm sich immer weiter ausbreitete, konnte sich Severus nicht mehr konzentrieren und hing Gedanken nach, die er so erfolgreich verdrängt oder noch nie zuvor gehabt hatte.

Er stöhnte genervt und beschloss die Korrektur der Aufsätze ein weiteres Mal zu verschieben. Konzentrieren konnte er sich sowieso nicht mehr und langsam wurde auch sein Schreibtisch von weiteren Ranken verschlungen. Ein Spaziergang auf den Ländereien war wohl das Beste, was er jetzt tun konnte.

Severus nahm seinen Umhang und machte sich auf den Weg. Die aufkommenden Kopfschmerzen mit frischer Luft zu bekämpfen, funktionierte bisher immer recht gut. Hoffentlich auch dieses Mal. Er lief die Kerker entlang, durchquerte die Eingangshalle und trat hinaus in die sternenklare Nacht. Die eisige Kälte tat seinen Kopf unglaublich gut und Severus merkte, wie die Schmerzen langsam weniger wurden. Obwohl sich seine Augen noch nicht ganz an die Dunkelheit gewöhnt hatten, trat er ein paar Stufen hinab und fiel beinah über einen zusammengekauerten Körper.

„Granger!", rief er überrascht. Kaum war er die Gedanken an sie los, kehrten sie mit einem Schlag zurück. „Was zum Teufel treiben Sie hier draußen!?"

Die Schülerin reagierte nicht. Sie hatte die Arme um ihre angezogenen Beine geschlungen und den Kopf auf die Knie gelegt. Und sie weinte. Doch noch viel beunruhigender war die Tatsache, dass sie nichts außer ihrem dünnen Abendkleid trug. Keinen Umhang, keinen Mantel, nichts. Sie zitterte wie Espenlaub und durch ihre Gliedmaßen schien bereits kein Blut mehr zu fließen. Granger stand offenbar kurz vor einer Erfrierung.

„Verdammt, Mädchen", murmelte er wütend. „Stehen Sie sofort auf und folgen Sie mir zurück ins Schloss!" Doch Hermine zeigte weiterhin keine Reaktion.

Der Schneefall verstärkte sich und in ihren Haaren verfingen sich immer größere Schneeflocken. Severus hatte keine Wahl. Er zog seinen Umhang aus, welcher glücklicherweise die ganze Zeit neben seinem Kamin hing und dadurch angenehm warm war. Sofort spürte er die extreme Kälte an seinem Körper, doch damit konnte er umgehen. Anders als das Mädchen vor ihm. Severus wusste nicht, wie lang sie hier schon saß, aber es war offensichtlich, dass er nicht noch mehr Zeit verlieren durfte. Behutsam legte er seinen Umhang um ihre Schultern und hob sie hoch, da sie offensichtlich nicht mehr von allein aufstehen konnte. Gerade als er sie in seinen Armen hielt, regte sie sich wieder und schmiegte sich dicht an ihn.

Anders als noch vor ein paar Minuten dachte Severus nicht weiter nach, durchquerte die Eingangshalle und lief die große Treppe hinauf – den Gryffindor-Gemeinschaftsraum vor Augen. Sie musste dringend in ein warmes Bett gelegt werden und ihren Körper nicht noch länger der eisigen Kälte aussetzen. Ihr Gemeinschaftsraum schien da die beste Lösung. Das Passwort der Gryffindors kannte er nicht, doch er war sich sicher selbst als Lehrer eines anderen Hauses dennoch Eintritt zu erwarten, wenn ein Notfall vorlag. Er erreichte den Korridor im siebten Stock. Doch zu seinem Erschrecken war das Portrait der Fetten Dame leer.

„Verflucht", sagte er, suchte die Bilder links und rechts nach ihr ab, doch konnte sie nicht finden.

„Suchen Sie etwas, Professor?", fragte das Portrait eines kleinen Mädchens links von ihnen.

„Die Fette Dame", antwortete Severus knapp.

„Die ist heute Nachmittag ausgegangen. Wann sie zurück kommt ist nicht sicher. Doch zeitnah wird es nicht", erklärte sie ruhig, doch der Gesichtsausdruck des Tränkemeisters ließ das Mädchen zusammenzucken. Severus hatte keine Zeit mehr. Er konnte hier nicht ewig warten, bis die Fette Dame zurückkehrt.

„Warum gerade heute?", knurrte er und überlegte. Es gab nur eine weitere Möglichkeit. Der Krankenflügel. Severus drehte sich um und eilte durch die Gänge. Langsam wurde die Zeit knapp, Granger wurde immer kälter und seine Arme immer schwächer. Wenn er sie nicht bald irgendwo absetzten konnte, würde er sie nicht mehr lang halten können.

Er erreichte den Korridor, der sie geradewegs zum Krankenflügels bringen würde. Doch nicht weit von ihnen hörte er plötzlich das unverkennbare Gackern von Peeves. Gerade als Severus mit Hermine in Arm um die Ecke bog, kam der Poltergeist hektisch auf ihn zugeflogen.

„Es gibt kein Entkommen mehr! Das Schloss verschließt seine Mauern!", rief er lautstark und sorgte dafür, dass Severus erneut einen Anflug von Kopfschmerzen spürte. Davon ausgehend, dass der Poltergeist wieder einmal nur zusammenhangloses Geschwafel von sich gab, setzte der Tränkemeister seinen Weg fort. Doch weit kam er nicht. Der Blutige Baron schwebte aus einem leeren Klassenzimmer links von ihnen und versperrte ihnen den Weg.

„Guten Abend, der Herr Professor", begann er. „Wohin führt Sie der Weg?"

„Zum Krankenflügen", antwortete Severus. „Und ich habe es eilig. Wenn Sie also den Weg freimachen würden-"

„In den Krankenflügel?", wiederholte der Geist des Slytherin-Hauses. „Davon würde ich Ihnen abraten. Gerade ist nicht weit von hier ein Kessel in die Luft geflogen und füllt die Gänge mit schwarzem Rauch. Das Schloss wird sie hindern auch nur in die Nähe des Krankenflügels zu kommen", erklärte der Blutige Baron und flog ohne ein weiteres Wort davon.

Severus schnaubt verächtlich. Auch, wenn der Geist nicht für Scherze bekannt war, wollte er ihm nicht glauben. Eine einfache Kesselexplosion, die die Schutzmagie des Schlosses auslöst und die Bewohner davon abhält, das betreffende Gebiet zu betreten? Wie lächerlich. Doch als würde Hogwarts auf seine zweifelnden Gedanken reagierten, bildete sich vor ihnen plötzlich eine magische Barriere, die den gesamten Korridor ausfüllte. Der Weg in den Krankenflügel war tatsächlich versperrt.

„Das darf doch nicht wahr sein", fluchte Severus. Das Mädchen in seinen Armen begann stärker zu zittern. Er hörte leise, verzweifelte Geräusche. Was nun? Es gab keine Möglichkeit in ihren Gemeinschaftsraum zu kommen, da die Fette Dame für unbestimmte Zeit ihr Portrait verlassen hatte. In den Krankenflügel kamen sie jetzt auch nicht mehr. Wie sollte er Granger jetzt in ein warmes Bett bringen, damit sie nicht völlig unterkühlte? Wo konnte er sie hinbringen? Er hatte keine Idee mehr. Obwohl – es gab noch eine weitere Möglichkeit...

„Nein. Auf keinen Fall", kommentierte er seinen unausgesprochenen Gedanken. „Sie wird nicht in meinen Privaträumen schlafen!"

Doch hatte er eine Wahl? Er konnte sie unmöglich in diesem Zustand sich selbst überlassen. Als Lehrer hatte er die Verantwortung für sie. Er hatte einen Eid ablegen müssen, der besagt, Schüler, die in einer bedrohlichen Situation sind, mit allen Mitteln zu beschützen. Mit allen. Auch, wenn das hieße eine Schülerin aus Gryffindor in seine Privaträume mitzunehmen und diese dort zu versorgen. Und genau das musste er jetzt tun. Es gab keine andere Möglichkeit.

Die gesamte Situation innerlich verfluchend lief er den ganzen Weg hinunter in die Kerker und betrat gemeinsam mit Hermine sein Wohnzimmer. Die kleine dunkle Couch, die gleich neben dem Kamin stand, schien perfekt für sie. Severus legte sie vorsichtig darauf ab und wollte seinen Umhang von ihr nehmen, um diesen mit einer dicken Wolldecke zu ersetzten. Doch Hermine hielt sich krampfhaft daran fest. Fast schon, als würde ihr Leben davon abhängen diesen Umhang zu behalten. Aus irgendeinem Grund berührte ihn diese kleine, vielleicht auch nur unterbewusste Geste. Hier in seinem warmen Wohnzimmer reichte ihr auch ein dünner Stoff, um sich wieder vollständig aufzuwärmen.

Severus beschloss sie schlafen zu lassen, bis sie sich besser fühlte. Er selbst setzte sich in seinen Sessel, welcher etwas weiter weg vom Kamin stand, und schlug das Buch auf, welches er am Abend zuvor begonnen hatte.
Etwa eine Stunde verging ohne, dass sie sich regte. Doch plötzlich ließ ein dumpfer Aufschlag Severus von seinem Buch aufblicken. Sein Umhang war von dem Mädchen gerutscht und auf dem Boden gelandet.

Augenblicklich begann sich Hermine auf dem Sofa zu bewegen. Wachte sie langsam auf oder träumte sie? Ihre Atmung und Bewegungen wurden unruhiger. Severus beobachtete sie fasziniert von seinem Sessel aus. Es war das erste Mal, dass er jemals jemandem beim Schlafen zusah. Dass es ausgerechnet seine Schülerin aus Gryffindor war, hätte er selbst niemals für möglich gehalten.

Auf einmal begann besagte Schülerin leise zu sprechen: „Bitte nicht. Ich weiß, was fehlt. Bitte...mehr Zeit...". Sie klang ängstlich, fast schon verzweifelt. Gleich darauf fing sie erneut an zu zittern. Severus stand auf, lief zum Sofa. Ein paar Sekunden lang überlegte er, ob er sie jetzt mit einer Wolldecke zudecken sollte, doch er entschied sich dagegen. Severus hob seinen Umhang auf und legte ihn Hermine wieder über ihren Körper. Er konnte sehen, wie sie sich entspannte.

„Bleibt hier", murmelte sie schläfrig. „Bitte!"

„Ich bin da, Hermine", sagte er beruhigend. Doch gleich darauf starrte er sie erschrocken an. Hatte er sie soeben „Hermine" genannt? Er war froh, dass sie schlief und seinen verbalen Ausrutscher nicht mitbekam. Zumindest glaubte er das.

Gerade wollte er sich wieder seinem Buch zuwenden, als ihm ein kleines Stück Papier auffiel, welches neben dem Sofa lag. Er bückte sich und hob es hoch. Es war kein einfaches Stück Papier. Es war ein Foto – besser gesagt ein Familienfoto. Überrascht stellte er fest, dass es sich um ein nichtmagisches Bild handelte. Niemand bewegte sich darauf. Severus erkannte acht erwachsene Personen und ein etwa 10-jähriges Kind. Nun, es könnten auch zwei Kinder sein, wenn er den Haufen von Tüchern mitrechnet, in dem sicher ein Neugeborenes eingewickelt war.

„Meine Familie", erklärte eine schläfrige Stimme. Severus erschrak sich für einen Moment, doch ließ sich nichts anmerken. Er war fest davon überzeugt, dass Hermine schlafen würde. Doch jetzt blickte sie ihn zwar müde aber auch lächelnd von unten an.

„Sie sind wach", stellte er überflüssigerweise fest. „Würden Sie mir erklären, was Sie zu der Annahme brachte, ein dünnes Abendkleid wäre ausreichend für einen nächtlichen Aufenthalt draußen in einem Schneesturm!?"

Hermine lächelte müde. Sie konnte sich kaum an die letzte halbe Stunde erinnern. „Das ist ein wenig kompliziert", gab sie zu.

Severus schnaubte. „Ich denke, ich bin durchaus in der Lage Ihren Gedanken zu folgen". Besonders, wenn Sie in diesem Zustand sind.

Nur Wer Zusammen Ist, Ist Nicht AlleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt