Als Hermine sein Büro verließ, benötigte Severus ein paar Minuten um sich klar zu werden, was eben geschehen war. Ohne zu zögern hatte er gerade seiner Schülerin alles Mögliche über seine Kindheit verraten. Er schüttelte den Kopf über sich selbst. So viele Jahre hat er damit verbracht, Leuten nicht mehr als nötig über sich zu verraten. Und auf einmal offenbarte er einem sechzehnjährigen Mädchen all die Geheimnisse um sich und den Trank, von dem keiner etwas wissen sollte. Wie konnte es nur so weit kommen? Er verstand es nicht. Lag es an dem Umstand, dass sie ihm aufmerksam zu hörte und ihm ehrliches Mitgefühl schenkte?
Das ist erbärmlich, dachte er. Und trotzdem musste er sich eingestehen, dass es ihm aus einem unerfindlichen Grund leichter fiel mit ihr über seine Vergangenheit zu sprechen, als mit irgendjemand anderen. Selbst als er mit Dumbledore sprach, fühlte er sich seltsam entblößt und angreifbar. Doch mit ihr...
Er schob den Gedanken beiseite. Vermutlich waren seine Empfindungen immer noch aus dem Gleichgewicht, seit sie ihn mit einer Berührung von seinen Schmerzen befreien konnte. Warum sie das konnte, wusste er immer noch nicht. Vielleicht hatte der alte Mann eine Erklärung dafür.
Seufzend stand Severus auf und machte sich auf den Weg zu Dumbledore. Er musste ihm unbedingt von den Ereignissen der letzten Tage erzählen. Von Grangers plötzlichen Heilungskräften und ihrem Wunsch, ein Gegenmittel für den Visiorus-Trank zu brauen. Das konnte womöglich ihren gesamten Plan der nächsten Monate ändern.
Als Severus durch die Gänge schritt begegnete er kaum jemanden. Aus der Großen Halle drang ein lautes Stimmengewirr, was darauf schließen ließ, dass die meisten Schüler gerade ihr Mittagessen genossen. Er selbst verspürte keinerlei Hunger, sondern nur das Bedürfnis Dumbledore so schnell wie möglich zu sprechen.
„Opakes Katzenauge", murmelte Severus als er den großen Wasserspeier erreichte, der den Eingang zum Büro des Schulleiters markierte. Als die Statue zur Seite glitt und den Weg freigab, stieg er hastig die Treppen hinauf. Ohne anzuklopfen, trat er in Dumbledores Büro ein. Der alte Mann saß hinter seinem Schreibtisch und hatte ein dickes Buch und Tom Riddles Ring vor sich liegen. Als die Tür aufging, schaute er überrascht auf.
„Severus!", sagte er, leicht verwundert über den Umstand, dass der Zaubertränkemeister ihn an einem Samstagmittag aufsuchte. „Wie kann ich dir helfen?"
„Wir müssen reden", sagte Severus und verzichtete großzügig auf eine Begrüßung.
„Um was geht es? Du scheinst etwas in Aufruhr zu sein", stellte Dumbledore fest, als Severus im Raum auf und ab schritt. „Geht es um den Malfoy-Jungen?"
„Nicht direkt. Doch ihn betrifft es gleichermaßen".
„Hast du ihm endlich eine Methode gezeigt, wie er mich unauffällig aus dem Weg schaffen kann?", scherzte Dumbledore.
„Nein. Ich beobachte ihn genau. Bisher sind all seine Pläne maximal unterdurchschnittlich".
„Dann muss ich mir um ihn ja keine Sorgen machen", sagte der Schulleiter gut gelaunt. „Weshalb bist du dann hier?"
„Ich bin hier, um mit dir über Miss Granger zu sprechen".
Dumbledore schaute ihn überrascht an. Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet.
„Miss Granger? Nun, ich muss dich enttäuschen. Ich werde dir immer noch keine Erlaubnis geben, sie während des Unterrichts mit einem Schweigefluch zu belegen", klärte ihn Dumbledore lächelnd auf.
„Darum geht es nicht", sagte Severus ernst und ohne jegliche Belustigung in der Stimme. Allmählich ging ihm der Humor des Schulleiters auf die Nerven. „Ich muss mit dir einen Wunsch besprechen, den sie mir gegenüber geäußert hat".
„Und der wäre?", fragte der ältere Mann.
„Sie kam auf mich zu und fragte, ob sie bei mir ihren SMUB schreiben könne. Sie möchte an einem Gegenmittel zum Visiorus-Trank forschen".
Der Schulleiter sah ihn erneut überrascht an. Sein lockerer Gesichtsausdruck wechselte mit einem Mal zu einer ernsten Miene.
„Tatsächlich? Wie kommt sie darauf? Hast du ihr davon erzählt?", fragte Dumbledore, der jedoch nicht daran glaubte. Ein überaus nützlicher Vorteil von Severus' Verschlossenheit war es, dass Geheimnisse und Pläne bei ihm so gut wie sicher waren.
„Nein", sagte Severus erneut. „Es war ein...unglücklicher Zufall. Doch das ist jetzt unwichtig. Sie war mir gegenüber sehr motiviert und sah aus, als wolle sie sofort mit dem Brauen beginnen".
„Ich schätze Miss Granger. Und ihr Vorhaben. Doch uns muss bewusst sein, dass wir sie unmöglich in unsere Pläne einweihen können. Das Brauen sollte nicht beinhalten, dass sie mehr über die Höhle und das Medaillon erfährt. Du musst vorsichtig sein. Je mehr Zauberer davon wissen, desto unsicherer ist der Erfolg unserer Pläne. Aber solang sie sich ausschließlich auf das Gegenmittel konzentriert, sollte das kein Problem sein. Die entscheidende Frage ist, wie hoch du eure Chancen einschätzt, ein Gegenmittel zu brauen. Du kennst den Trank und die Zutaten am besten. Aber Miss Granger könnte dir in dieser Hinsicht von großem Vorteil sein".
„Bisher blieb ich zum Glück davon verschont, meine und ihre Teamfähigkeit zu testen. Es würde mich sehr wundern, wenn wir harmonieren".
Der Schulleiter verschränkte die Hände. „Nun, davon mal abgesehen ist Miss Granger eine sehr kluge und ehrgeizige Schülerin. Wenn du sie mit deinem Wissen unterstützt, kann euer Vorhaben durchaus von Erfolg gekrönt sein".
Severus hielt seinen Blick ausdruckslos. „Ein Gegenmittel zu brauen, welches den Trank des Medaillons vollständig neutralisiert, ist nicht möglich. Doch wir könnten es schaffen, einen Teil der Wirkung ein wenig abzuschwächen, sodass er dich nicht umbringen wird. Zumindest nicht sofort".
„Dagegen hätte ich nichts einzuwenden. Von welchem Teil der Wirkung sprechen wir? Von den Visionen, den Lähmungen oder den Schmerzen?", fragte Dumbledore ernst.
„Von der Lähmung. Sie wird durch das Gift einer Gebirgspflanze ausgelöst. Zufälligerweise kenne ich das Gegenmittel genau - es ist der Rot-Efeu. Bisher fehlte mir nur die Zeit, diesen zu besorgen und zu verwerten".
„Mh. Rot-Efeu wächst nahe der Höhle, in der das Medaillon versteckt liegt. Ich plane eine längere Reise dorthin, um herauszufinden, was genau mich im Inneren der Höhle erwartet. Wenn ich zurückkomme, werde ich ein paar Pflanzen mitbringen".
„Sehr gut. Achte beim Pflücken auf die saftigen und dunkelroten Blüten. Sie eignen sich am besten. Halte sie beim Transport mit dem Kopf nach unten. So bleibt die Flüssigkeit über viele Stunden in der Blüte", erklärte Severus.
Es war wichtig, dass der Schulleiter genau wusste, wonach er suchen und die Blüten behandeln musste. Diese Pflanzen waren nicht leicht zu finden und schon gar nicht einfach zu transportieren. Normalerweise hätte er den Rot-Efeu selbst besorgt, doch er konnte keine langen Reisen unternehmen, da er in Hogwarts gebraucht wurde. Er musste weiter unterrichten, den Malfoy-Jungen im Auge behalten, sicherstellen, dass Potter keine Dummheiten anstellte und jetzt musste er auch noch Granger mit ihrem SMUB beschäftigen. Somit war es ihm unmöglich auch nur länger als drei Tage nicht in der Schule zu sein.
„Wie wirkt sich denn der Trank aus, sollte ich das Gegenmittel zu mir nehmen?", fragte Dumbledore, der genau wissen wollte, was ihn möglicherweise erwartete.
„Das enthaltene Gift wird nur deine Muskeln angreifen, nicht aber deine inneren Organe. Du wirst normal atmen können".
„Interessant".
„Die Schmerzen werden dich aber dennoch wahnsinnig machen. Ebenso die hervorgerufenen Visionen. Du wirst nicht mehr wissen, wo du bist".
„Ich werde vergessen, wo ich bin. Es wird mich von meiner Aufgabe ablenken", murmelte Dumbledore.
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Nur Wer Zusammen Ist, Ist Nicht Allein
FanfictionHermine befindet sich im sechsten Jahr auf Hogwarts. In diesem Jahr müssen die Schüler eine umfangreiche Untersuchungsarbeit ablegen. Dafür wünscht sich Hermine Professor Snape als Betreuer. Doch dieser scheint davon nicht begeistert zu sein. Hat er...