Zum Essen kommt Chester wieder nach unten und setzt sich auf seinen Platz. Anscheinend hat er sich zwischenzeitlich abreagiert, weil er nicht mehr herumflucht. Unzufrieden sieht er trotzdem aus und scheint auch nicht an einer Konversation mit seinen Schwestern interessiert zu sein. Schweigsam schöpft er sich seinen Teller voll und isst. Aber auch er bemerkt sofort, dass für eine Person weniger gedeckt wurde und sieht mich wissend an. Mit seinen sechzehn Jahren versteht Chester unsere Probleme natürlich deutlich besser als noch vor ein paar Jahren.
Plötzlich hebt sich seine Laune aber und er beginnt, witzige Ereignisse aus der Schule zu erzählen und bringt auch seine Schwestern zum Lachen.
Ich bin mir nicht ganz sicher, was seinen Stimmungswechsel verursacht hat. Will er mir dabei helfen, nicht weiter an die Dispute mit Jolene zu denken, oder liegt es daran, weil er etwas gegessen hat?
Ganz nach dem Werbeslogan 'Du bist nicht du, wenn du hungrig bist'.
Er albert mit Riley herum, hilft fürsorglich Quinn bei den Käsefäden und berichtet mir außerdem, wie viele Jobs er in der Zeitung gefunden und angekreuzt hat. Und er erzählt mir auch, wieso er vorhin so wütend war: Er befürchtet, wegen diesen beiden Jobs keine weiteren machen zu können und deshalb nicht genug Geld zusammenzubekommen, um den Schaden zu bezahlen.Im Grunde ist Chester in seiner Pubertät recht einfach und umgänglich. Natürlich hat auch er hin und wieder seine Aussetzer, aber wenn ich da an Naddys Tochter Samantha denke, oder an Hazel, oder Jay, die wirklich anstrengend und teilweise ungenießbar gewesen sind, haben wir mit Chester einen richtigen Glücksgriff gemacht. Auch Winnie jammert mir die Ohren wegen Ellie voll. Diese hat nämlich das andere Geschlecht für sich entdeckt und in Detroit ist man wohl mit vierzehn schon erwachsen - nach Ellies eigener Aussage, und deshalb dürfe sie tun und lassen, was sie will.
Ich würde ja gerne sagen, wir haben es mit Chester nur einfacher, weil er ein Junge ist und Jungs ohnehin viel einfacher gestrickt sind, aber dann denke ich an Jay, der für seine Schwester mit Sicherheit kein so gutes Vorbild gewesen ist. Insbesondere mit Dennis ist er sehr oft aneinandergeraten.
Ich erinnere mich an einen Abend bei uns im Garten. Da kam es zu einem Streit zwischen ihnen, der so eskaliert ist, dass Dennis seinen Sohn einfach gepackt und in die Bucht geworfen hat. Und weil Dennis die Leiter zu unserem Steg ebenfalls entfernt hat, musste Jay ein paar Meter schwimmen, bis er am Haus von Amber und Morgan aus dem Wasser steigen konnte. Denn zu der Zeit war der Meeresspiegel niedrig und aus dem Wasser steigen war so ohne Weiteres nicht möglich; auch nicht für einen großgewachsenen 15-jährigen Jungen mit ordentlich Muskelkraft.
Heute, sieben Jahre später, können wir über diese Situation lachen; selbst Jay tut es, der seinen Vater für diese Aktion mittlerweile sogar feiert, aber damals war das für uns alle ein Schock, wie wütend Jay geworden ist und mit welchen Worten er um sich geworfen hat, ganz zu schweigen von den Mittelfingern, die er in seiner Wut ständig gegen Dennis richtete. Ausgelöst durch ... ja, was eigentlich? Nicht einmal Jay weiß es mehr. Er hatte wohl einen schlechten Tag und sein Vater ging ihm einfach nur auf den Sack.
Ein Glück ist Chester nicht so. Er reagiert zwar oft sehr bockig, aber er zieht sich lieber trotzig zurück, anstatt verbal auf uns loszugehen. Wobei er seinem Vater gegenüber durchaus einen anderen Ton auflegt, aber noch in einem vertretbaren Rahmen ist. Noch bekommt Johnny das geregelt, aber er hat auch klar zu verstehen gegeben, andere Saiten aufzuziehen, sollte Chester zu respektlos werden. Von Jolene und mir hat er dafür grünes Licht bekommen.Bei Riley wäre es mir ganz lieb, wenn sie die Pubertät einfach überspringt. Sie kann jetzt schon ein sehr anstrengendes Mädchen sein, was also steht uns bevor, wenn dann auch noch die Hormone dazu kommen?
Wenn sie charakterlich weiterhin nach Jolene kommt, kann ich zu Milly in die Kirche gehen, um ein wenig Seelenfrieden zu finden. Von Jolene werde ich da ganz sicher keine Unterstützung erhalten, wenn sie sich selbst in unserer Tochter wiedererkennt und sie deshalb machen lässt, weil sie selbst ja rebellisch gewesen ist und ihr das überhaupt nicht geschadet hat.
Ich kann jetzt schon all die Debatten über unsere unterschiedlichen Meinungen vor meinem inneren Auge sehen.
Ich hege bei Quinn etwas Hoffnung. Wenn sie weiterhin nach mir kommt, wird es vermutlich eine sehr angenehme Pubertät. Andererseits weiß ich nicht, ob ich sie wirklich so direkt mit mir vergleichen kann. Ich hatte damals niemanden, an dem ich meine Launen auslassen konnte. Ich weiß noch nicht mal, ob ich überhaupt Launen hatte. Mein Vater war ja nie da, deshalb hat es auch keinen gestört, wie mein Zimmer aussah, oder dass Geschirr in der Küche stand.
Wegen seiner anhaltenden Abstinenz war ich schon sehr früh dazu gezwungen, erwachsen zu werden und mich selbst um den Haushalt zu kümmern. Um mein Essen, meine Wäsche und das Aufräumen.
Vielleicht habe ich deshalb meine Pubertät auch einfach übersprungen ...?
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Jolene (+ Love)
Romance{Teil 4 von 'Jolene'} Nicht immer meint es das Schicksal gut und spielt einem übel mit. Dies müssen auch Jolene und Cait erfahren, deren Beziehung nach fünfzehn Jahren ins Wanken gerät. Der Liebe wegen entscheiden sie sich für einen Schritt, mit dem...