[Fünf] - Falsche Hoffnungen

498 64 24
                                    

Schon am nächsten Morgen kontaktiere ich Amber, um ihr von dem Brief des Anwaltes zu erzählen, den mein Vater beauftragt hat, um bei mir Unterhalt einzufordern.
Amber reagiert so, wie es eigentlich auch mein erster Impuls gewesen wäre: Sie lacht herzlich.
»Was zum Geier ist mit euren Vätern nur schief gelaufen?«, stellt sie die rhetorische Frage. »Da sind wir den einen los, fängt der andere an, uns auf die Nerven zu gehen.«
Seufzend stimme ich ihr zu.
Nachdem der Admiral vor zehn Jahren endgültig eingesperrt und dann auch sehr schnell zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, versuchte er es noch insgesamt drei Mal, in Berufung zu gehen und sein Urteil zu kippen. Vergeblich.
An seinem 70. Geburtstag vor drei Jahren erlitt er schließlich einen Herzinfarkt, an dem er auch verstarb.
Während Milly in fassungslose Trauer verfiel, reagierte Jolene recht herzlos auf diese Nachricht.
Bis zum Ende hatte der Admiral behauptet, nichts Falsches gemacht zu haben und war überzeugt, im Recht zu sein.
Auch wenn es Milly zunächst das Herz brach, so war es für uns alle die Erlösung, denn dadurch endete endlich das Prozedere, ständig wieder mit ihm konfrontiert zu werden. Diese zerstörerische Ära ist endgültig vorbei.
Ja, Amber hat recht: Und jetzt fängt mein Vater an. Allerdings halte ich diesen Mann nicht für so gefährlich und zerstörerisch, wie den Admiral.
Deshalb hoffe ich, Amber wird den Versuch meines Vaters ganz schnell in den Boden stampfen. Jolene und ich haben genug Sorgen und Probleme, da brauchen wir nicht noch weitere.

Amber erklärt sich sofort bereit, mir bei der Angelegenheit mit meinem Vater zu helfen und freut sich sogar darauf, sich mal wieder mit einfachen, zivilen Problemen zu beschäftigen. Die ganzen wirtschaftlichen Streitigkeiten zwischen den Großunternehmen wären auf Dauer ermüdend. Zumal Jolene mit BNS ja momentan wieder neue Partnerschaften plant und entsprechend Verträge ausgehandelt werden müssen.
Weil sie aber bereits einen sehr vollen Terminkalender hat und mich während ihrer Arbeitszeit nirgends dazwischen schieben kann, schlägt sie mir vor, sie später zu Hause aufzusuchen.
Zunächst bin ich davon nicht begeistert, weil es mir widerstrebt, dass sie sich auch nach ihrer Arbeit noch mit sowas beschäftigen muss, aber sie weiß mich zu besänftigen, in dem sie mir versichert, sich nur einen ersten Eindruck zu verschaffen und alles andere von ihrem Büro aus zu erledigen.
Erst da stimme ich ihr zu.

Pünktlich um halb vier stehe ich vor der Schule und warte auf meine beiden Töchter. Die Schulglocke hat eben geläutet, aber bisher gehört keines der Kinder, die gerade aus dem Gebäude gerannt kommen, mir.
Wie jedes Mal bin ich gespannt darauf, wie lange ich wieder warten muss - vor allem auf Riley. Jeden Tag macht sie es aufs neue spannend. Kommt sie direkt? Verträumt sie ihre Zeit? Muss sie wieder nachsitzen? Oder hat sie mich vergessen? Denn auch das kommt durchaus vor. Vor allem an einem Dienstag, wenn Chester nach der Schule sein Baseballtraining hat. Zu gerne setzt sie sich dann auf die Zuschauertribüne und sieht dabei zu.
»Hey, Cait!«, höre ich eine weibliche Stimme nach mir rufen.
Oh, bitte nicht. Innerlich seufze ich, nach außen aber setze ich ein freundliches Lächeln auf, als Oli bei mir ankommt. Seit etwa fünf Jahren ist sie von ihrer Frau geschieden und im Besitz des alleinigen Sorgerechts für deren Tochter Whitney - die Chester im Übrigen auch heute noch äußerst komisch findet. Und seit sie davon Wind bekommen hat, dass Jolene und ich getrennt sind, ist Oli unerträglich anhänglich.
In Gedanken flehe ich meine Töchter an, nicht zu lange auf sich warten zu lassen, damit Oli nicht doch noch eine Verabredung aus mir herauspresst. Denn genau das versucht sie jedes Mal und bisher konnte ich mich immer gut herausreden.
»Hatte dir letzte Woche ein paar Mal geschrieben, aber vermutlich hast du noch keine Zeit gefunden, mir zu antworten.«
Wenn ich eins seit der Trennung von Jolene gelernt habe, ist es, Oli nicht zu freundlich anzulächeln, weil sie das sonst falsch interpretiert und noch aufdringlicher wird. Deshalb ist mein entschuldigendes Lächeln vorsichtig.
»Viel um die Ohren«, antworte ich - und das ist noch nicht mal gelogen.
»Zum Glück ist meine Tochter bereits aus dem Gröbsten raus und meine Ex-Frau führt ihr eigenes Leben. So bleibt viel Zeit für mich übrig«, erzählt sie mit einem leichten Lachen.
Wieder nur sehr zurückhaltend lächle ich als Antwort.

Jolene (+ Love)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt